Absurdes in Zeiten der Dunkelheit

Die Dinge sind nicht mehr lustig, oder? Ein chinesischer Fischer. Foto: Getty Images

Die Zeiten sind beschissen. Links die Hölle von Aleppo, rechts der Untergang des Westens und mitten in Peking der Kolumnist, der einst den Auftrag bekam, diese Zeilen hier möglichst unterhaltsam zu füllen, und der doch gerade am liebsten nur schreien möchte. Aber wenn du einen solchen Schrei nimmst und in kleine Streifen filettierst, dann ergibt das am Ende auch nicht viel mehr als einhundert Zeilen, und dazu beschwert sich der Nachbar, weil schreien tut er schon selbst, und das stösst ihn jetzt nur noch tiefer in die Depression, danke auch.

Aber es ist schon eine ernste Frage, ob das jetzt sein muss: federleichte Zeilen in die zentnerschweren Zeiten hinauspusten, ob das nicht zumindest abgrundtief sinnlos und komplett überflüssig ist. Zu der Annahme neigte ich zuletzt, obwohl wir in China ja Erfahrung haben mit der Wertschätzung des Absurden in Zeiten der Dunkelheit. Jeder hat da seine eigenen Grenzen, ich erinnere mich an den Bekannten, der einst einen Nachrichtendienst verantwortete mit dem Titel «70/30». Das war eine Anspielung auf das Verdikt der KP, die nach dem Ende der Kulturrevolution offiziell befand, Mao Zedong sei alles in allem zu 70 Prozent doch ein guter Typ gewesen und nur zu 30 Prozent ein nicht ganz so guter, wobei die 40 Millionen Toten des Grossen Sprungs nach vorn wahrscheinlich zu den 30 Prozent zählen, so genau weiss man das nicht, weil darüber hier nicht geredet wird. In seinem «70/30» beschrieb der Bekannte R. stets wunderbar ironisch Dialektik und Wahnwitz des «Sozialismus chinesischer Prägung».

Die Zukunft ist gekidnappt

Später traf ich R. in Frankfurt wieder, und er erklärte mir, warum er die Ironie in Sachen Peking längst aufgegeben hatte: «Die Dinge sind jetzt einfach nicht mehr lustig», sagte er ernst. Die Dinge in China sind heute noch ein gutes Stück weniger lustig, und dennoch, ich gestehe es, hatte ich in den Jahren seither nicht weniger Freude daran, die Absurdität chinesischer Prägung in all ihrer Pracht herauszumeisseln. Jeder hat seine eigenen Grenzen. Ich persönlich stosse an die meinen, seit ich weiss, dass die Weltherrschaft an das Trio Trump-Putin-Xi übergeht. Seit das Absurde mir ins Frühstück spuckt und ins Abendessen und dazu meine Träume und meine Zukunft kidnappt.

Mein erstes Opfer war ein ahnungsloser Redaktor, der mich fragte, ob ich nicht etwas Leichtes verfassen könne zu den in China zensierten Dickerchen-Witzen über Nordkoreas Kim Jong-un, ein paar geistreiche Zeilen über das Spannungsfeld Macht, Körperfülle und Schwarzer Humor. Ein Ansinnen, das ich kurz zuvor noch wohl pflichtgemäss amüsiert abgearbeitet hätte, das mir aber in der Keimphase meines Entsetzens so auf den Magen schlug, dass ich den Armen abwatschte mit einer Tirade über Massenmörder in Wochenendkolumnen, die sich gewaschen hatte und die mir im Nachhinein ziemlich unangenehm ist.

Lähmung und Düsternis hatten mich im Griff, und zwar ziemlich genau bis zu jenem Tag vor zwei Wochen, an dem ich mein Laptop in einem Café beim Lamatempel auspackte. Vier Kellner bedienten mich, die alle ein Namensschild trugen. Die ersten drei hiessen, der Reihe nach, Sky, Fly und Melody, und zum ersten Mal seit Wochen wurde mir poetisch zumute. Dann trat der vierte an meinen Tisch, und der hieß «Maybe». Mit einem Mal war mir ganz leicht ums Herz, für ein paar wertvolle Minuten und leichte Zeilen.

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Ein Kommentar zu «Absurdes in Zeiten der Dunkelheit»

  • Frank Rosebrock sagt:

    Wunderbar poetisch, dankeschön. Pflichtartikel müssen manchmal unangenehm sein. Auch wenn ich im Innersten doch auch gern publizieren würde, schreibe ich halt doch lieber insgeheim an meinem Buch und an meinen ungereimten Kürzestgeschichten. Sofern ich denn vor lauter Broterwerbsarbeit überhaupt dazu komme. Unbeschwerten Gruss nach China.

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