Panda-Propaganda

Mehr oder weniger sanft werden Journalisten in China dazu bewogen, über süsse Pandas zu schreiben. Foto: Beti Gorse (iStock)
Als ich heute Morgen mein Büro betrat und mein Blick auf das Sofa in der Ecke fiel, erschrak ich kurz. Ich presste mir beide Hände vor die Augen, hielt die Luft an und gefror zu einer Statue.
«Hey», sagte eine Stimme. «Du!»
Mist, dachte ich, er hat mich gesehen.
«Hey», sagte der Panda auf meinem Sofa, «schreib mal was über mich.»
«Ich schreib nicht über Pandas», sagte ich. Stille.
«Nicht mal über mich?» Er warf kokett den Kopf zurück.
«Nö.»
«Menno», sagte er.
Er trollte sich in unseren Hof, schloss sich dort ein und frass den halben Bambus kahl. Nach ein paar Tagen sass er wieder auf dem Sofa.
«Hey», sagt er. «Du. Schreib über mich.»
«Nein», sagte ich. «Dich gibts überhaupt nicht. Du bist eine Erfindung der Kommunistischen Partei.»
Er verpasste mir eine mit seiner Tatze.
«Aua», brüllte ich. «Ich blute.»
«Das bildest du dir jetzt ein», sagte er. Und nach einer Weile: «Mimose.»
«Du hast mich blutig gekratzt!»
«Kann gar nicht sein», sagte er.
«Hä?»
«Ich bin so niedlich. Ich tu keiner Fliege was zuleide.» Er klimperte mit den Augenlidern.
Er schnurrte. «Nö», sagte ich.
Er surrte. Ich schwieg.
Er gurrte. «Hach», entfuhr es mir (gegen meinen Willen).
«Hehe.» Der Panda (hämisch).
«Vergiss es.» Ich.
Tatzenhieb. Schrei. Blut.
«Hab dich nicht so», sagte er. «Du schreibst doch sonst auch über jeden Mist.»
«Ja. Aber nicht über Pandas.»
«AAABER über Menschenrechte. IMMER schreibst du über Menschenrechte.»
«Ja», sagte ich. «Bin schliesslich ein Mensch.»
«Und ich? Etwa nicht?»
«Du bist ein Panda.»
«Eben», sagte der Panda. «Schreib mal ausgewogen. Schreib über Pandarechte.»
«Dich gibts gar nicht. Du bist eine Erfindung der Partei.»
«Na und?», sagte der Panda. «Haben erfundene Geschöpfe keine Rechte?»
«Wo hast du denn das her?», fragte ich. «Von Richard David Precht?»
«Hör mal zu», sagte er, und als ich keine Anstalten machte, hob er seine Tatze. Ich hörte zu. Dann erzählte er, von seiner Heimat Sichuan, von den Stollen tief unter den Bergen. Wo Propagandakader – viele wegen Korruption ins Bergwerk geschickt – in grossen Trupps einfahren, um Pandafotos und Pandavideos und seit neustem auch Pandaklickstrecken aus dem Flöz zu brechen. Fotos und Videos sind das, die der Tanz- und Akrobatiktrupp einer geheimen Pandazuchtstation im hinteren Teil der Stollen in eigens eingerichteten Studios dreht. Bis zur Erschöpfung.
«Die Social-Media-Kanäle der ‹Volkszeitung› füllen wir im Alleingang, Tag für Tag», sagte der Panda auf meinem Sofa. «Kennst du das Video von den Pandas, die vom Baum plumpsen? Ich bin der, der auf dem Kopf landet.» Er seufzte. «Es war die Hölle. Tag und Nacht tollpatschig Abhänge hinabrollen, bis wir überall schwarze Flecken hatten.» Er blickte an sich hinab, flüsterte: «Ich war mal weiss, schneeweiss, von Kopf bis Fuss.» Und dann die Purzelbäume, fuhr er fort. «Purzelbäume im Schnee schlagen, immer noch einen und noch einen, bis dir der Bambus im Maul festfriert, derweil der Regisseur brüllt ‹Das geht noch goldiger!›.»
«Wow», sagte ich. Und hatte längst begonnen, mitzuschreiben.
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