Von wegen italienische Küche!

(Flickr/South African Tourism)

Globalisiertes Alltagsessen mit exotischen Zutaten: Pizzaiolo in Südafrika. (Flickr/South African Tourism)

Viele Römer haben noch nie von Alfredo Di Lelio gehört. Dem grossen Alfredo. Obschon er einer der weltberühmtesten Römer überhaupt war, ohne je aus Rom weg gewesen zu sein. Dafür kennen ihn die Amerikaner, ja vielleicht kennen ihn sogar alle Amerikaner. Mit Vornamen. Drüben hält man ihn für den Inbegriff der Italianità, wenigstens der kulinarischen, für den obersten Bannerträger der Cucina italiana. Und das ist gerade mal wieder ein Problem – in Italien.

Die Geschichte nahm ihren Lauf 1914 in einer kleinen Osteria an der Via della Scrofa, nicht weit vom Pantheon. Ihr Betreiber, Alfredo Di Lelio, setzte damals ein Nudelgericht auf die Speisekarte, das bald seinen Vornamen tragen sollte. Die Fettuccine Alfredo waren einfach und deftig, viel Parmesan und noch mehr Butter. Erfunden hatte er sie, um seine Frau Ines zu stärken, die nach der beschwerlichen Geburt ihres ersten Sohnes, Alberto II., doch eher schwach auf den Beinen war. Und weil sie auch noch schmeckten, nahm er sie ins Menü auf. Zwei Stars aus Hollywood, auf Hochzeitsreise in Rom, waren so angetan, dass sie «Alfredo, the King of the noodles» Besteck in massivem Gold schenkten. Der Mythos reiste mit ihnen zurück nach Amerika.

Seither stehen dort in jedem Restaurant, das mit italienischer Kost wirbt, die Fettuccine Alfredo ganz oben auf der Karte. Als wären sie an sich schon eine Bürgschaft fürs Italienische. In Italien findet man die Fettuccine Alfredo allerdings nirgends. Und so kommt es oft vor, dass Touristen auf Italienreise nach allerlei vermeintlich italienischen Gerichten fragen, die sie endlich mal im Original kosten möchten, die es hier aber nicht gibt. Oder gar nie gegeben hat. Nie geben wird. Nie geben soll! Zum Beispiel die «Spaghetti with Meatballs», mit grossen Fleischklössen. Man kennt sie aus alten Gangsterfilmen. In Italien aber kennt man sie nicht.

Sünden auf der Pizza

«La Repubblica» widmete den «gefälschten Mythen» und «profanierten Rezepten» nun eine ganze Seite. Bei der Gelegenheit erinnerte die Zeitung wieder daran, dass auch die Spaghetti alla bolognese eine fremde Erfindung sind, eine Traditionslosigkeit sondergleichen. Unlängst sorgte die «New York Times» für Empörung, weil sie ihren Lesern eine Kochanweisung für Rigatoni alla bolognese bianca an die Hand gab, für eine Fleischsauce ohne Tomatensugo also. Mit Bologna hat sie wenig zu tun. Und natürlich müsste man auch mal über die vielen exotischen Garnierungen reden, die es im Ausland auf eine Pizza schaffen: Ananas, Fritten, Austern. Sünden!

Was italienisch klingt, kommt eben gut an, und zwar mittlerweile auf der halben Welt. Das italienische Essen ist zum globalisierten Alltagsessen geworden. In guten Zeiten sind die Italiener einfach nur stolz darauf. In Krisenzeiten wie diesen rechnen sie aber vor, wie viel im Ausland mit pseudoitalienischen oder gefälschten Produkten mit italienischen Namen verdient wird, halblegal oder illegal – mit chinesischem «Pecorino» aus Kuhmilch etwa, wo er doch aus Schafmilch sein müsste, mit brasilianischer «Mortadella Siciliana», die eigentlich aus der Emilia käme, und mit «Parma Salami» aus Mexiko. Es sollen 60 Milliarden Euro im Jahr sein.

Übrigens, ein römisches Restaurant serviert die Fettuccine Alfredo. Das Lokal heisst Il vero Alfredo, der wahre Alfredo, geführt vom Enkel, Alfredo III. Besucht wird es wohl vor allem von Amerikanern. Die Fettuccine kosten 19 Euro.

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18 Kommentare zu «Von wegen italienische Küche!»

  • Bruni Giordano sagt:

    In Lissabon habe ich nach überall sich wiederholenden
    „bacalao“ Empfehlungen verzweifelt eine ital. Osteria
    aufgesucht, trotz persönlichem Befehl, nur Lokalküche. Bella Ciao der
    Name (Ausgang Metro Caixa). Politisch interpretiert hätte ich bei
    Bella Ciao, sofort abhauen müssen. Aber nein, es war die beste
    ital. Küche, die ich jemails genossen habe, nicht nur in Italien, weltweit.
    Schliesslich habe ich in einer Woche fast die ganze Menukarte
    ausprobiert, und am Schluss dem Chef und den beiden Angestellten
    eine Schweizer Uhr geschenkt, absolut verdient, und sogar zu wenig.
    Und für diejenigen, welche den politischen Zusammenhang von
    Belle Ciao nicht kennen.. Dies ist die „Hymne“ der
    Kommusten! Der Chef stammt aus dem roten Gürtel Italiens!

    • Peter Schoeffel sagt:

      Für Leute, die in Lissabon den ewigen Bacalhao satt haben, noch ein Restaurant mit authentischer italienischer Küche: Come Prima an der Rua do Olival.

  • Giovanni Tarantella sagt:

    Brasilien, das Land, dass die meisten italienischstämmigen Migranten der Welt beherbergt, hat eine lange Tradition von Gastronomia Italiana alla Brasiliana. Besuchen Sie doch mal den Mercado Municipal in São Paulo und essen Sie einen Sanduíche de Mortadella com Provolone.

  • Robert "Bobby Bacala" Baccalieri, Jr. sagt:

    Und zu Spaghetti mit Meatballs und überhaupt MEATBALLS (oder als Beilage oder Vorspeise), auch wenn nicht original italienisch, die besten esse ich jeweils im Max, 181 Duane St. in Manhattan! Ja das sind wirklich die besten Meatballs auf der ganzen Welt! Besser gehts nicht….überhaupt isst man dort göttlich. Und wenn wir schon dabei sind: FETTUCCINE al SUGO TOSCANO! Unglaublich köstlich! Mann, habe ich nun Kohldampf!

  • Walter Rohner sagt:

    Noch schlimmer! Die Italiener werden auf allen ihren TV-Kanälen mit Werbung für (Fertig-)Food aus Deutschland bombardiert. Die deutsche Selbstüberschätzung kennt wohl keine Grenzen. Ausgerechnet Deutschland, das bis vor wenigen Jahren in der Küche England-Niveau hatte.

  • Hans sagt:

    Auch der deutschsprachige Raum hat sein Pendant zu den „Fettucine Alfredo“.
    Piccata (alla) Milanese kennt in Italien kein Mensch.

    • Marcus Ballmer sagt:

      Ach was, ich habe in Apulien und in den Abruzzen oft Piccata Milanese erhalten. Ist eine meiner Lieblingsspeisen. War übrigens nicht als Touri dort.

    • Pitt Almeida sagt:

      Doch. Der Ursprung der Wiener Schnitzel. Piccata milanese hatte ich letzthin in Mailand.

      • Lou sagt:

        Heisst es nicht bistecca alla milanese? Zumindest das panierte Schnitzel. Piccata ist nur mit Ei getränkt.

  • Cybot sagt:

    Das ist doch völlig normal und geht keineswegs nur der italienischen Küche so, sondern so ziemlich jeder anderen auch. In jedem Sushi-Restaurant gibt es California Rolls, mittlerweile sogar in Japan, obwohl sie amerikanisch sind. Chinesisches Essen hat mit dem, was in China gegessen wird, auch nur wenig gemeinsam. Und mit Döner brauchen wir wohl gar nicht erst anzufangen…

    • Pitt Almeida sagt:

      Bestellen Sie in Bologna Spaghetti bolognese, und der Beizer wirft Sie raus oder empfiehlt Ihnen Fettucine con ragu.

  • Christoph Bögli sagt:

    1. Gefälschte oder irreführend gekennzeichnete Produkte sind nun wirklich etwas ganz anderes als modifizierte, somit nicht „authentische“ Rezepte. Das zu vermischen ist ziemlich fragwürdig.
    2. Kulinarik war noch nie in Stein gemeisselt, sondern ein fliessender Prozess, basierend auf Einflüssen von innen wie aussen. Plakatives Beispiel: Tomaten kennt man in Europa erst seit dem 16.Jh., all die ikonischen Tomatengerichte der italienischen Küche entstanden darum erst (lange) später – sind diese darum auch nicht wirklich italienisch?
    3. Wenn Kochkultur exportiert wird, verliert man wohl oder übel die Kontrolle darüber. Aber das ist völlig normal. Fragen Sie mal die Japaner (Nutella-Maki-Sushi!), Portugiesen (Peri-peri-Chicken), Chinesen (fast alles), etc. was die im Ausland so finden..

    • Christoph Bögli sagt:

      PS: Weiterentwicklung tut den meisten Gerichten durchaus gut, tragisch ist daran fast nie etwas. Im schlimmsten Fall sieht man halt schlecht gemachte Spaghetti Bolognese oder Pizza mit Ananas, im besten Fall gibts aber US-italienische oder japanisch-italienische Fusion-Küche, die „authentische“, in Tradition erstarrte Italiener uralt aussehen lässt..

    • Pitt Almeida sagt:

      Nutella-Maki-Sushi: Mein Tag ist gerettet. Piri piri-chicken: eines der besten Gerichte unserer angolanischen Haushaltshilfe. Die Piripiris kommen Übrigens aus der Karibik und heissen in Portugal und den Palops „malaguetas“

  • Markus sagt:

    Na ja, seit ich vor ein paar Jahren auf Sizilien gesehen habe, wie Einheimische im Restaurant Pizzen assen mit Pommes frites drauf, bin ich mir auch nicht mehr so sicher, was die original italienische Küche ist.

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