Das andere Brasilien

Welttheater

Heiss ist es selten hier: Velofahrerin am Strand von Brasilien/Schönberg. Foto: jhnnsstnbrg (flickr)

Urlaub ist, wenn es kalt ist. Also nicht Peking. In Peking ist es jetzt heiss. So heiss, dass die Männer in meiner Gasse obenrum nackt herumlaufen. Ich gehe dann weg. Ich gehe nach Brasilien. Also mein Brasilien, nicht Olympia-Brasilien. Heckenrosen-Brasilien, nicht Mord-und-Totschlag-Brasilien. Das mit den wilden Kaninchen, den Himbeeren und der Bundeskegelbahn. Das Brasilien, wo man die Salatblätter mit Heringsschwänzen beschwert, damit sie nicht wegfliegen. 24217 Brasilien, Landkreis Plön. Ostseeküste. Wo die Brezen aus Lakritz sind und die Grossmütter aus Nougat. Eine Handvoll Häuschen, ein Deich und der Imbiss Brasilia.

Welttheater

Kein Witz: Brasilien ist ein Ortsteil von Schönberg, Holstein. Foto: PD

Die Menschen in meinem Brasilien sind ein feiner, gelassener Menschenschlag. Sie sprechen hier nicht Portugiesisch, sondern Brasilianisch. Das Wort «kalt» gibt es in ihrer Sprache nicht. Sie behelfen sich mit «nicht heiss». In diesem Jahr ist es besonders nicht heiss. Manchmal haben sie in Brasilien ein Wetter. Dann sagen sie: «Heute ham wir wieder ein Wedder.» Für das Wetter in Brasilien gilt vor allem eines: «Das Wedder is’ gut fürn Teng.» Die Brasilianerinnen deswegen allesamt: tadelloser Teng. Sprührengteng. Weil hier nie so richtig klar ist, wann die Nacht dem Tag Platz macht, grüssen sich die Brasilianer den ganzen Tag lang mit «Moin». Mit «Moin» ist man immer auf der sicheren Seite.

Neulich war Sommerfest an der Seebrücke. Auf dem Plakat stand: «Da fliegt die Kuh». Das ist Brasilianisch für: Heute mal zwei Stunden lang kein Mau-Mau-Spielen unterm Vordach, also gingen wir hin. Es war nicht heiss, und es war besonders gut fürn Teint. Ich hatte drei Euro fürs Dosenwerfen bereitgelegt, aber um den Wurfarm bewegen zu können, hätte ich mich aus Ostfriesennerz und Daunenmänteln pellen müssen, da liess ich es.

Neben Brasilien liegt Kalifornien

Auch in unserem Brasilien gibt es einen Strand. Dass man den Strand benutzen kann, darauf weist der Strandbenutzungsgebührenautomat hin. Der Sand ist so weiss und so fein, als sei er vom Mond gerieselt. Es ist Zaubersand. Die Ostsee ist nicht heiss. Manchmal ist sie sogar verdammt nicht heiss. Schwimmen kann man aber auch. Zum Beispiel im Subtropischen Badeparadies am Weissenhäuser Strand.

Die Kriminalität ist gering, selbst Richtung Mittelstrand, wo oft Südländer herumlungern, sogar Bayern. Mord und Totschlag sind gestattet lediglich dienstags zwischen elf und zwölf im Ferienzentrum Holm, wo dann der Kasperl dem Krokodil nachstellt. Die verwahrloste Jugend besteht im Wesentlichen aus meinem Achtjährigen, der bisweilen noch zur Mittagszeit im Schlafanzug und mit ungeputzten Zähnen den Bollerwagen um die Siedlung zieht. Eines der aufsehenerregendsten Verbrechen der letzten Jahre beging der Urlauber Horst P. aus Dortmund-Scharnhorst, der den Strand benutzte, ohne am Strandbenutzungsgebührenautomaten seine Gebühren zu entrichten. Die «Kieler Nachrichten» berichteten.

Jedes Jahr einmal wird auch den Brasilianern richtig heiss. Daran erkennt man, dass der Sommer zu Ende ist. Sie sitzen dann gemeinsam um ein Lagerfeuer in der Mitte der Siedlung und feiern den letzten Ferientag. Die Kinder grillen Stockbrot. Dazu wickeln sie Teigfetzen um einen Stock, halten sie ins Feuer, bis sie verkohlt sind, und werfen sie ins Gebüsch. Dann freuen sich alle aufs nächste Jahr.

Neben Brasilien liegt Kalifornien. In Kalifornien haben sie auch manchmal ein Wetter.

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5 Kommentare zu «Das andere Brasilien»

  • Albert Fiechter sagt:

    Wer den Ostseekuesten-Radweg (Flensburg-Luebeck) abfaehrt, kommt da vorbei. Es sind Retorten-Feriensiedlungen mit 0-8-15-Architektur. Nichts Aufregendes. Es gibt interessantere Orte an der Strecke, die zum Absteigen einladen. Warum veroeffentlichen Sie nicht etwas z.B. ueber Eckernfoerde oder Heiligenhafen oder Neustadt in Holstein, etc.? Diese aus Geldgier aus dem Boden gestampften Bauten sind ueberfluessig und der Natur zuwider.

    • Michael sagt:

      Jou Albert, aber die schweizer Skiretortendörfer öffnen Dir das Herz oder ? Das hat in Brasilien nichts mit Retorte zu tun, man hat halt Häuser gebaut, die optisch in die Landschaft passen. Scheinbar hast Du an Brasilien aus irgendeinem Grunde schlechte Erinnerungen…

  • Stefan Sollberger sagt:

    ich war da und kann bestätigen dass es so ist. brasilien und kalifornien existieren. 😉 das beste war beim strand von schönberg als wir nach sonnenschirmen fragten und man und nur komisch angeschaut hat und meinte: das sie hier nicht der süden. hier benutzt man strandkörbe oder sonst was. aber keine sonnenschirme. 😉

  • Albert Fiechter sagt:

    Wer den Ostseekuesten-Radweg (Flensburg-Luebeck) abfaehrt, kommt da vorbei. Es sind Retorten-Feriensiedlungen mit 0-8-15-Architektur. Nichts Aufregendes. Es gibt interessantere Orte an der Strecke, die zum Absteigen einladen.

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