«Welcome to Harmony»
Aus der Pandapedia: Bodo Ramelow ist keine Bärenkatze, sondern ein linker Politiker und deutscher Ministerpräsident. Er war einmal bei den Tataren, deren vollelektronische Verwaltung er seither bewundert. Letzteres konnte man soeben in der Zeitung lesen. Ich wette, nach Tatarstan ist Bodo Ramelow einzig deshalb gefahren, weil er sich schon in frühester Kindheit den Reim zurechtgelegt hatte, wer etwas über E-Government wissen wolle, der müsse «zu den Tataren fahren». Ästhetische Genugtuung über die Perfektion dieser Verse mischt sich bei mir mit Neid, weil auch ich schon einmal haarscharf an Tatarstan vorbeigeschrammt bin und die Götter der Poesie mir damals – mehr als fünfzehn Jahre ist das her – denselben Reim schenkten. Bloss war ich zu blöd, etwas Gutes daraus zu machen. Auszug aus meinem Frühwerk (ich halte mir jetzt mal Augen und Ohren zu): «Wir fu-hu-ren zu den Ta-tu-hu-ren / … ne, noch mal … / wir fa-ha-ren / zu den Ta-ta-ha-ren/ Bis zum Ural / war’s ne Qual / hint in Sibirium / fiel ich ins De-li-ri-um.» Den Rest erspare ich Ihnen.

«Wir fa-ha-ren / zu den Ta-ta-ha-ren»: Blick auf Kasan, die Hauptstadt von Tatarstan. Foto: Keystone
Ich habe auch eine Entschuldigung: Ich sass da mit einem singenden Mongolen in einem alten Mercedes mitten in der sibirischen Steppe auf dem Weg von Berlin zum Gebrauchtwagenmarkt von Ulan Bator und hatte schon zehn Tage kaum geschlafen. Das mit dem Delirium war nicht gelogen. Na ja, Hut ab, Verseschmied Ramelow, Ihre Verschmelzung des Kalauers mit dem bürokratischen Überraschungsmoment ist jedenfalls von meisterhafter Lakonie und rechtfertigt allemal die Reisekosten nach Tatarstan, denn wo bliebe der poetische Kitzel, wenn man sich das E-Government lediglich «von den Polen holen» oder «in Litauen klauen» müsste. (Auch wenn der Rechnungshof mit Sicherheit anmerken wird, man könne danach ja auch in Schwaben graben oder es den Bayern aus den Rippen leiern.)
Einen hab’ ich noch. Also, räusper: «Wer wissen will / wie das mit den Hochgeschwindigkeitszügen funktioniert / der kann das» – Tusch – «bei den Chinesen nachlesen.» Na? Nein? Läuft nicht? Moment, warten Sie mal, neuer Versuch: «bei den Chinesen lesen». Also: ohne «nach». Wegen der Metrik … Nein? Hm. Auch gut. Aber «Hochgeschwindigkeitszug», meine ich mal, wäre selbst für den Poeten Ramelow eine Herausforderung. Egal, ich habe meine Überleitung, da bin ich skrupellos. Diese Woche bin ich nämlich mal wieder Zug gefahren. Und habe wieder gestaunt: Infrastruktur, das können Diktaturen. China hat längst das grösste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt. Peking–Shanghai in unter fünf Stunden. Hammer. Tolle Züge dazu, und sie alle tragen den Namen «Harmonie». Untertanen, die harmonisch unterwegs sind, also vorzugsweise selig lächeln, finden autoritäre Herrscher nämlich gut.
Das Schöne ist, dass die Ansagerin im Zug einen in makellosem Englisch begrüsst. «Welcome to harmony», säuselte sie das letzte Mal. Und kurz vor dem Aussteigen in Shanghai flüsterte sie mir ein «Goodbye in harmony» hinterher. Auch diese Woche wieder. «Welcome to harmony», begrüsste mich die samtene Stimme. Und als wir einfuhren in den Endbahnhof, hub die Fee hinter der Lautsprecherbox erneut an, uns zu ermahnen, all unsere Habseligkeiten einzupacken. Ich freute mich schon auf das «Goodbye in harmony», da hauchte sie stattdessen: «We wish you a nice life.» Keinen schönen Tag. Ein schönes Leben. Wumm. Das schwang noch lange nach.
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