Kirche und Kommunismus

A page boy holds up a bible during a Christmas mass at a Catholic church in Beijing December 24, 2014. Christmas is not a traditional festival in China but is growing in popularity, especially in more metropolitan areas where young people go out to celebrate, give gifts and decorate their homes. The words on the cover read, "gospel". REUTERS/Kim Kyung-Hoon (CHINA - Tags: SOCIETY RELIGION) - RTR4J5ZL

Eine Weihnachtsmesse in Peking. Foto: Kim Kyung-hoon (Reuters)

Ich leide an Gnadenvergiftung. Das habe ich höchstinstanzlich, also fast, vom katholischen Pfarrer in Peking nämlich. «Wie halten Sies denn mit der Religion, Herr Strittmatter?», fragte er mich letztes Jahr so nebenbei. Daraufhin hob ich an, von meiner Kindheit im tiefsten bayerischen Allgäu zu erzählen, wo mich einmal die bigotte Jungfer aus der ersten Bank beim Empfang der heiligen Kommunion des Hostiendiebstahls überführte. Nach der Messe schleifte sie mich am Ohrwatschl hinter sich her zum Pfarrhaus. Der Pekinger Pfarrer lauschte eine Weile, bevor er in lautes Lachen ausbrach. «Verstehe», keuchte er, «Gnadenvergiftung.» Bingo, dachte ich, danke, heiliger Mann.

Auf jeden Fall bin ich seither ziemlich immun gegen Heilsversprechen jeder Art. Die des Kommunismus inklusive. Gerade die. Ich habe hier schon einmal über die Parallelen zwischen der KP Chinas und der CSU referiert. Dabei sind diejenigen zur katholischen Kirche noch frappierender: Hier wie da eine Riege alter Männer, die über mehr als eine Milliarde Menschen gebietet. Die ihnen das Paradies verspricht und Dogmen vorsetzt und sich dabei in die intimsten Details ihres Sexuallebens einmischt. Die sie in die Sicherheit des Glaubens hüllt, ihnen aber auch Furcht in ihre Herzen pflanzt. Dazu eine paranoide Bürokratie, die ihr Vorbild in einem zwei Jahrtausende alten imperialen System hat. Auf beiden Seiten das Missionarische, die Umarmung der Propaganda, die Beschwörung des Ritus und die wöchentliche Einbestellung der Schäfchen zum Hochamt (die Sonntagsmesse dort, die freitägliche politische Schulung hier). Aber auch das Ringen zwischen Reformern und Reaktionären und die wachsenden Selbstzweifel. Fast könnte man von einer Zwillingsexistenz sprechen, hätte nicht mittlerweile die Kirche unter Papst Franziskus die KP Chinas punkto Reformeifer abgehängt.

Kirche wie KP haben den Anspruch, den Menschen zu einem besseren zu formen. Und so ist eine zentrale Figur im Narrativ beider Apparate der Mensch, der sich dem verweigert: der Sünder. Er ist der Saboteur ihres Konstrukts. Die Bestrafung des Sünders ist zweitrangig, wichtiger sind Reue und Beichte (Confessiones). Die KP Chinas hat die Beichte gerne öffentlich, sie stellt die Sünder im Staatsfernsehen aus. Oder sammelt ihre Geständnisse in Buchform: 100 von ihnen lässt die Disziplinarkommission nun drucken. Mit dabei der 2013 verurteilte Eisenbahnminister, der mit den 18 Konkubinen und den fast 400 Wohnungen. «Hätte ich als einstiger Bauernjunge doch nur mehr der Sache der Eisenbahn geholfen…», schreibt er. Nicht allen geht die Reue leicht von der Hand. Verhaftete Beamte fragen ihre Inquisitoren Chinas Staatsmedien zufolge oft nach Musterbeichten, die sie dann abschreiben können.

Jetzt kann ich es ja gestehen: Ich habe das damals auch getan, im Beichtstuhl in Weiler im Allgäu. Beichten kopiert. Schwester Kunigunde hatte uns zur Kommunion die zehn Gebote in mehrere Hundert Untersünden aufgefächert. «Ich war unkeusch a) in Gedanken, b) in Taten» zum Beispiel. Gott bewahre. Lieber merkte man sich Unverfänglicheres: «Beten vergessen» war passabel, «den Namen des Herrn missbrauchen» ging auch immer. Dann fünf Vaterunser und zehn Ave-Maria, und man verliess die Kirche wie neugeboren. Ein neugeborener Scheinheiliger. Die Gnadenvergiftung erwischte mich erst später.

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8 Kommentare zu «Kirche und Kommunismus»

  • Peter Aletsch sagt:

    Wer einmal über den Chinesische Bürgerkrieg gelesen hat, wird erschrecken ob der Greueltaten, die so nicht einmal in Europa seit 1800 stattfanden. Ein bisschen Mässigung und Mitleid in Sinne des Christentums tut gut.

  • Nick Schaefer sagt:

    Man könnte das natürlich auch positiv formulieren: Wo bis vor kurzem in China und in Europa noch das blindwütige Recht des Stärkeren galt, da hat die christliche Soziallehre es doch so weit gebracht, dass wir jedem Menschen eigene Rechte zugestehen. Auch wenn das die Rechtsbürgerlichen wieder abschaffen möchten, und dafür die Feudalsklaverei wieder einführen möchten. In China hat die KP das zutiefst christliche Grundprogramm übernommen. Wenn man als Masstab nicht den Idealzustand, sondern den horrenden Vorzustand, verwendet, dann schlägt sich die KP nicht mal so schlecht. Aber: „Gut“ ist tatsächlich anders. Da bleibt noch viel zu tun. Auch in der gegenseitigen Toleranz zwischen den Heilsbringern.

  • Beutler Kurt sagt:

    Schade für den Platz. Es wäre schön, etwas über die chinesische Kirche zu lesen und nicht nur über die Vorurteile des Reporters. Man könnte viel Schöneres über die chinesische Kirche und ihre Leiden in Schwachheit herausfinden.

  • Laila Müller sagt:

    Ich bin mündig. Deshalb habe ich mich nicht für die KP entschieden. Deshalb habe ich mich weder für die katholische noch reformierte Kirche entschieden.
    Deshalb habe ich mich für Jesus Christus entschieden – durch ihn erlebe ich Gnade.

  • Waldmeier Elisabeth R. sagt:

    Kai Strittmatter, sie sind extrem ehrverletzend und zudem noch geschmacklos. Dieser Artikel entwürdigt die gläubigen Christen in China bis auf den Grund. Der Glaube an Gott wird dermassen ins Lächerliche karikiert, dass ich in der Schweiz eine Klage einreichen würde. Eine Frau fragte mal ihren Schutzengel: Will Religion ever fade out? Der Engel antwortete: Never.

  • Heinrich Zimmermann sagt:

    Wundervoller Beitrag Herr Strittmatter. Langsam (zu langsam) kommen die „Formungsbestrebugen“ dieser Gruppen (Religion Politik) zum Vorschein. Hoffen wir, dass der individuelle Verstand (Gehirn) doch zum Durchbruch kommen wird. Leider lebe ich dann kaum mehr, denn 500 Jahre geb ich diesem Unterfangen.

  • Bodenmann René sagt:

    Nicht Formen soll es heissen, sonder Verformen wäre angemessener! Egal ob im politischen oder religiösen Mantel gehüllt. Beides züchtet keine mündigen Bürger, sondern Schafe die im besten Fall von irgendwelchen Gnomen gegen andere Menschen beschützt werden müssen. Oder gleich als Manipuliermasse oder Kanonenfutter missbraucht werden.

  • Ralf Schrader sagt:

    In der Tat sind Kommunismus und katholische Soziallehre weitgehend identisch. Gemeinsam ist beiden auch, dass sie nur in der Theorie existieren, ausprobiert wurde es noch nie.

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