Jauchzen, frohlocken – und warten

Die Gelassenheit des buddhistischen Mönchs hilft: Warten, bis die Seite aus dem Internet geladen ist. Foto: Reuters
Ich werde manchmal gefragt, was ein Chronist des chinesischen Traums den ganzen Tag so macht, weil vom Jauchzen und Frohlocken allein geht so ein Tag ja auch nicht vorüber. Wenn ich es mir genau überlege: Wenn ich nicht gerade reise, schreibe oder meinen drei Kindern mit der Zahnbürste hinterherjage, dann besteht mein Tag vor allem aus Warten.
Warten darauf, dass meine Mails laden. Dass sich die Webseite auftut. Dass mein Text in den Äther gesaugt und auf der anderen Seite, in Zürich, wieder ausgespuckt wird, Buchstabe für Buchstabe. Ich kann ihnen regelrecht zusehen, den einzelnen Buchstaben, wie sie zucken, sich sperren, einen kleinen Hüpfer machen, sich wieder fallen lassen, wegducken, bevor es dann – plopp – doch einen hochsaugt in den Cyberspace. Dann gönnt sich das Netz erst mal einen Zug aus dem Asthmaspray, bevor es sich den nächsten greift, und auch der kreischt und kichert und ziert sich, und am liebsten würde ich ihm einen Tritt verpassen, stattdessen bin ich dazu verdammt, vor dem Bildschirm zu sitzen und mitzufiebern.
Unlängst war ich mal wieder in Thailand, auf einer kleinen Insel. Die Insel hat erst seit vier Jahren Strom, Internet kriegen sie da über einen Satelliten, etwas wackelig, und ich hörte aus Europa angereiste Miturlauber frustriert stöhnen. Ich hingegen war geradezu trunken vor Seligkeit. Nein, so schnell?, und, ha, schau mal: Google, tatsächlich, Google, einfach so!
Dinge, die man tut, während man in Peking darauf wartet, dass die Mails laden: Man bereitet ein besonders gesundes Müsli fürs Frühstück zu. Man holt die Quittungen und Rechnungen für die längst fällige Abrechnung hervor. Man lernt neue Krawattenknoten. Man lernt überhaupt einen Krawattenknoten. Man schiebt die Quittungen zurück, weil, puh. Man bereitet das Mittagessen zu. Man geht zum Friseur. Man zieht mal wieder den David Foster Wallace aus dem Regal. Man kramt seinen Füller hervor und schreibt schöne Sätze in sein Notizbuch. Man schreibt dem Adressaten der Mail einen Brief. Man steckt den Wallace zurück ins Regal, weil, puh. Man bringt den Brief zur Post. Man bereitet das Abendessen zu.
Erstaunlich. Dabei will Peking ja Cyberweltmacht werden. Verpasst aber jedem Wort, das rein oder raus will, einen Ganzkörperscan. Und legt so manches in Handschellen. Ist ja nicht so, dass sie schnell nicht könnten. Wenn du in Peking am Morgen etwas online bestellst, wird es am Nachmittag geliefert. Serviceparadies. Oder die Züge: Das grösste und beste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt. Toll. Das letzte Mal, dass ich in so einem Zug sass, fiel mir der Service ein, den die Deutsche Bahn anbietet: IC-Kurier. Da drückt man dem Schaffner in München ein Päckchen in die Hand und der Kollege in Hamburg holts ab. Und mir kam ein Verdacht: Was, wenn Hi-Speed-Internet in China genau das bedeutet? Wenn in Wirklichkeit alle unsere Mails am Pekinger Bahnhof in einen Hochgeschwindigkeitszug verladen und so zur Grenze transportiert werden? Für den Rückweg werden dann die leeren Waggons mit den dort wartenden von uns angeklickten Webseiten gefüllt. Beschwören kann ichs nicht, aber es würde einiges erklären.
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