Ein Euro, eine Stimme

Stimmenfang auf Italiens Strassen: Passanten erhalten für ihre Stimme einen Euro – bar auf die Hand. (Screenshot/Fanpage.it)
Alles sieht man nicht auf den Bildern von «Fanpage». Aber das, was man darauf sieht, ist schon genug. Videoreporter der italienischen Onlinezeitung haben am vergangenen Sonntag verdeckt gefilmt, wie bei den Primärwahlen des sozialdemokratischen Partito Democratico, der Partei von Premier Matteo Renzi, für die Bürgermeisterwahlen in Neapel eigentümlich mobilisiert wurde – mit «monetine», mit kleinen Münzen. Die Szenen gleichen sich: Man sieht da Lokalpolitiker der Partei vor Wahllokalen in Aussenbezirken der Stadt, wie sie sich Passanten nähern, die wohl ohne Anreiz eher nicht an der Urwahl teilgenommen hätten, und ihnen Geld anbieten für ein Kreuz auf dem opportunen Namen. Offenbar immer einen Euro, nur einen Euro, was schon viel aussagt über den Wert der Politik.
Passanten wird für ihre Stimme ein Euro angeboten. (Quelle: Fanpage.it)
Neapels Staatsanwaltschaft hat nun ein Ermittlungsverfahren eröffnet, obschon bei diesen Geschichten ja nie klar ist, ob der moralische und politische Schaden nicht viel schwerer wiegt als die strafrechtliche Relevanz. Italiens oberster Korruptionsjäger, Raffaele Cantone, hält solche internen Wahlen einer Partei gar für eine gänzlich private Angelegenheit.
Etwas anders sieht es der unterlegene Bewerber um die Kandidatur, Antonio Bassolino, eine national bekannte Persönlichkeit, mehrfacher Minister, früherer Bürgermeister Neapels und Präsident der Region Kampanien, 69 Jahre alt. Seit er die Videos gesehen hat, wähnt er sich als Opfer eines «widerlichen Kuhhandels». Bassolino hat nur knapp verloren gegen seine dreissig Jahre jüngere Konkurrentin Valeria Valente, eine Abgeordnete der Partei, die Lieblingskandidatin von Matteo Renzi, eine sogenannte Renziana. Am Ende entschieden 452 Stimmen. Würde man nun all jene Wahlzettel nachträglich für ungültig erklären, die in den fünf Wahllokalen abgegeben worden sind, die unter Manipulationsverdacht stehen, dann hätte Bassolino gewonnen – mit 329 Stimmen Vorsprung. Und so legte er jetzt Berufung ein gegen das Wahlresultat, das er am Sonntagabend noch mit Eleganz akzeptiert hatte.
Entsprechend chaotisch geht es nun zu im Partito Democratico. Es ist nicht das erste Mal, dass die schöne Methode der basisdemokratischen Primärwahlen, die diese Partei im traditionell politverdrossenen Italien eingeführt und eingebürgert hat, unschöne Blüten treibt. Es mangelt an klaren Regeln. Und schon einmal, vor den Gemeindewahlen 2011, geriet die Parteifiliale in Neapel in Verruf: Auffällig viele chinesische Stadtbewohner fühlten sich plötzlich und auf vermeintlich unerklärliche Weise angezogen von der Lokalpolitik und standen Schlange vor den Wahllokalen. Die Primärwahl wurde danach annulliert. Die römische Parteizentrale entsandte einen Kommissar nach Neapel, der aufräumen sollte.
Die Linke schaffte es damals nicht einmal in die Stichwahl, so schwer wog der Imageschaden. Bürgermeister wurde Luigi de Magistris, ein ehemaliger Staatsanwalt und Mafiajäger ohne Parteimacht im Rücken. Und dieser Luigi de Magistris, dessen Regierungsbilanz umstritten ist, ist nun wieder Favorit. Trotz allem – und auch wegen der kleinen Münzen der Gegner. Einer der Stimmenkäufer übrigens rechtfertigte sich so: «Ja, ich habe einigen Leuten, die kein Geld haben, ein bisschen Münz angeboten – aus reiner Höflichkeit.»
2 Kommentare zu «Ein Euro, eine Stimme»
Wer ist moralisch schmutziger, der welcher besticht, oder der welcher sich bestechen lässt? In einer korrupten Gesellschaft hat es immer beide.
Diejenigen, welche mit derart hoher Vehemenz die Macht über ihre Mitmenschen suchen, sind eigentlich genau die falschen Leute, welche mit solcher Macht ausgestattet werden sollten. – Nicht nur in Italien, sondern in jeder Demokratie.
Daher wäre wohl ein Zufallsgenerator, welcher unter Berücksichtigung der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten normale Bürger zum einjährigen Dienste im Parlament bestimmt (mit Alternativen für unwillige) vielleicht eine bessere Lösung als der Kampf der Parteien.