«Terrornest» kämpft um seinen Ruf

Wenn der Tourist zweimal klingelt: Die Einwohner von Brüssel sollen potenzielle Besucher an diesem Telefon animieren. Foto: Reuters

Ist Brüssel nach all den negativen Schlagzeilen über Europas angebliches «Terrornest» überhaupt noch sicher für einen kurzen Städtetrip oder gar für einen längeren Besuch? Kaum jemand kann diese Frage besser beantworten als die Einwohnerinnen und Einwohner der Metropole.

Das hat sich auch die Tourismusorganisation «Visit Brussels» gesagt und auf öffentlichen Plätzen Telefonkabinen aufgestellt. Fünf Tage lang konnten potenzielle Touristen aus der ganzen Welt über die Website www.call.brussels gratis anrufen. Passanten wurden von Animateuren eingeladen, beim ersten Läuten den Hörer abzunehmen und Fragen zu beantworten.

Über Wochen sei Brüssel sozusagen als «Kriegsgebiet» dargestellt worden, das von Touristen besser gemieden werde, so Martha Meeze von Visit Brussels. Tatsächlich führten nach den Anschlägen von Paris viele Spuren in die belgische Hauptstadt. Knapp vor Weihnachten warnte die Regierung dann noch vor einem kurz bevorstehenden Terroranschlag in Brüssel selber und verhängte die höchste Warnstufe 4.

Tagelang verkehrte die Metro nicht. Kinos, Museen und Theater blieben zu. Der Stillstand des #BrusselsLockdown ist zwar überstanden. Aber immer noch patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten auf öffentlichen Plätzen und vor möglichen Anschlagszielen wie Botschaften oder dem EU-Hauptquartier. Diese Tage wurde zudem publik, dass die Sprengstoffwesten der Selbstmordattentäter von Paris im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek genäht wurden.

Nicht gerade das, was man bei der Planung eines Städtetrips in der Zeitung lesen will. Schon jetzt klagen Hotels, Restaurants und touristische Attraktionen der Hauptstadt über Einbussen von 20 Prozent. Die Terrorangst soll die lokale Wirtschaft laut den Branchenverbänden bisher 350 Millionen Euro gekostet haben. Visit Brussels will deshalb zu Jahresbeginn mit der Kampagne gegensteuern, rechtzeitig vor Beginn der neuen Saison für Städtereisen.

Am Place Flagey läutete das Telefon an der Litfasssäule unter der Aufschrift «Answer the phone» alle paar Minuten. Audrey, eine junge Frau auf dem Weg zur Arbeit im nahen Kulturzentrum, hat einen Anruf aus Dubai entgegengenommen. Der Mann habe wissen wollen, ob Brüssel sicher und ob die Museen der Stadt wieder geöffnet seien. Ein Anrufer aus dem indischen Mumbai interessiert sich mehr für das Wetter und den Wechselkurs.

So oder so sind die Einheimischen die besten Werber für ihre Stadt. Das zeigte sich auch auf dem Hauptplatz von Molenbeek, Standort einer weiteren Litfasssäule. Der Brüsseler Stadtteil unweit des Grand Place war besonders im Fokus der negativen Berichte, weil dort drei der Attentäter von Paris gelebt hatten. Salma, eine junge Frau mit Kopftuch, kämpfte am öffentlichen Telefonapparat wortreich gegen das schlechte Image ihrer Heimatgemeinde und wurde dabei auch von einer TV-Crew des japanischen Fernsehens gefilmt: «Das Leben hier ist ganz normal, besuchen Sie uns doch», sagt die junge Frau. Schuld am schlechten Image von Brüssel seien die Medien.

Gegen zehntausend Interessenten aus rund 120 Ländern haben in den fünf Tagen der Aktion den direkten Draht zu den Brüsselern genutzt. Vor allem bei Besuchern aus den USA sei die Verunsicherung gross, heisst es bei Visit Brussels. Dank der Webcams bei den Litfasssäulen konnten die Anrufer sehen, wer ihnen da Auskunft gab. Visit Brussels will aus den Aufnahmen und einzelnen Gesprächen nun einen Videoclip zusammenschneiden, der dann ab nächstem Montag die Werbebotschaft der Brüsseler für ihre Stadt in die Welt hinaustragen soll.

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