Japans gläserne Bürger

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Süss: Eine japanische Schauspielerin macht Werbung für «My Number». Foto: «The Japan Times»

Mehr als 150 Japaner haben gegen die Regierung geklagt, sie müsse «mai namba» (Japenglisch für: My Number) zurücknehmen. Die Einführung dieser allgemeinen Personennummer verletze ihre Privatsphäre. Bereits vor dem offiziellen Start des Systems ist es zu zahlreichen Trickbetrügereien mit «My Number» gekommen.

Im letzten Monat flatterten allen 55 Millionen Haushaltungen Japans «My-Number»-Bescheide zu. Jeder Einwohner soll damit persönlich zu einer Filiale von Kojima-Denki gehen, einem Elektro-Discounter, um sich dort fotografieren zu lassen. Erst wenn die Behörde das maschinenlesbare Foto erhalten hat, wird sie den «My Number»-Ausweis ausstellen. Ab Januar gibt es ohne «My Number» keinerlei Amtskontakt mehr, Arbeitgeber dürfen niemanden mehr ohne beschäftigen. Offiziell will die Regierung damit die Steuerdisziplin verbessern. Insofern ist «My Number» vergleichbar mit unserem AHV-Ausweis. Doch in Japan sollen auch die Banken «My Number» als Identifikation verwenden dürfen, und man munkelt, die nationale Krankenkasse werde «My Number» künftig auch übernehmen. Damit würden die Japaner zu «gläsernen Bürgern», jedenfalls für den Staat. Und auch für Hacker, wie die Kläger befürchten. Die persönlichen Daten seien unzureichend geschützt. Im Juni wurden die Angaben von 1,25 Millionen Mitgliedern der staatlichen Pensionskasse geklaut. 2008 verlor die gleiche Kasse die Unterlagen von 18,4 Millionen Japanern.

Die japanische Gesellschaft hat ein eigentümliches Verhältnis zur Privatsphäre. Einerseits hält sie ihren Schutz für beinahe heilig. So ist es zum Beispiel verboten, in Hallenschwimmbädern zu fotografieren. Selbst für die Jugendmeisterschaften des Schwimmverbandes müssen Eltern, die von ihren Kindern Erinnerungsbilder machen wollen, eine Fotobewilligung beantragen. Wer bei Starbucks in Shibuya, wo man auf die meist begangene Strassenkreuzung Japans hinunterblickt, eine Kamera zückt, wird vom Personal brüsk gestoppt. Bevor Touristen in der U-Bahn ein Selfie machen, müssten sie theoretisch mehrere Bewilligungen einholen: von der Bahngesellschaft und von den übrigen Passagieren. Unverheiratete Paare wissen voneinander oft nicht, wie viel der Partner verdient. Das sei Privatsache, sagen sie. Und nicht selten haben Verheiratete die Angehörigen ihrer Ehepartner noch nie gesehen.

Andrerseits veröffentlichen Japans Medien, wenn ein Verdächtiger verhaftet wird, dessen Namen, Vornamen, Alter, Arbeitgeber und die Schulen, die er besucht hat. Geht es um ein Schwerverbrechen, zeigen sie sein Haus auch noch aus der Luft. Als gäbe es keinerlei Unschuldsvermutung. Daran scheint sich niemand zu stören. Wer von dieser Gesellschaft, oder genauer vom Staat, geächtet wird, selbst fälschlicherweise, der hat sein Anrecht auf eine Privatsphäre verspielt.

Zeitungsberichten zufolge betrachten viele Japaner «My Number» mit Skepsis, die Ämter seien nicht vorbereitet, ihre Computer nicht abgesichert, heisst es. Sowohl die Anwaltskammer wie die Konsumentenverbände mahnen, die Regierung gehe zu weit, sie verletze die Privatsphäre der Bürger. Aber die meisten Japaner schicken sich in ihr Schicksal. 150 Klagen sind nicht viel.

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5 Kommentare zu «Japans gläserne Bürger»

  • Suzuko sagt:

    Ich lebe in Japan und habe ebenfalls „meine Nummer“ erhalten. Dass ich bei Kojima-Denki ein Photo machen soll, steht allerdings nirgends. Ein Passphoto soll es sein. Mein Arbeitgeber hat mir übrigens bestätigt, dass ich auch ohne Nummer weiterarbeiten darf.
    In der Öffentlichkeit darf man eigentlich nicht photographieren. Im TV wird in den letzten Jahren viel mehr gepixelt. Sonst gilt aber: wo kein Kläger, kein Richter.

  • Michael sagt:

    My Number scheint eher sowas wie eine Social Security Number zu sein, als eine AHV-Nummer. Das Fotos und Videos in der Öffentlichkeit verboten sein sollen, glaube ich nicht. Es gäbe sonst keine unzählige Menge an Youtube-Videos in und über Japan von Privatpersonen.

  • travelstory sagt:

    das mit dem Fotografieren habe ich in Tokyo nicht mitgekriegt – ich habe überall und alles fotografiert. Und dass Angehörige die Ehepartner teilweise nicht kennen hätte ich genau umgekehrt gedacht – dass die Eltern und Verwandet ganz genau ein Auge auf Status, Aussehen, Familie des Ehepartners werfen wollen und gehörig mitreden.

  • Cybot sagt:

    Der Umgang mit der Privatsphäre ist doch auch bei uns sehr zwiespältig. Einerseits beklagen sich die Leute über Missstände, wenn ein Bundesamt nicht weiss, was das andere macht, wenn dann aber eines die AHV-Nummer für Zwecke brauchen will, für die sie heute noch nicht dient, gibt es Protest, das verstosse gegen den Datenschutz. Allen kann man es halt nie recht machen.

  • David Mantovanis sagt:

    Die EU verlangt auch von der Schweiz das die Steuerämtern die AHV Nummer adaptieren für den Datenaustausch. Warum sollten wir nicht gleich jeden EU Bürger eine Nummer geben für alle Belangen, wie my Number in Japan. Ein gläserner Menschen mit Barcode tätowiert so wie es in der Apokalypse von Johannis steht. Dann hat Brüssel ihr Ziel erreicht und die Jagt kann beginnen! Ich kann nur hoffen dass die die entscheiden ihre „Hose“ an haben und Farbe bekennen!

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