Hier ist der Kunde noch Knecht

Das Flugzeug von Niamey nach Ouagadougou sollte erst zwei Tage später fliegen. So begann das Bus-Abenteuer. (Bild: Wikipedia)
Des Marketings 1. Gebot heisst bekanntlich: Der Kunde ist König. Gegen dieses säkulare Dekret wird selbst in hochentwickelten Gesellschaften viel zu oft verstossen. In Afrika klingt dieses Gebot noch immer wie der Titel eines Science-Fiction-Films. Obwohl der Kontinent euphorischen Auguren zufolge mit seinen über eine Milliarde Einwohnern als letzter noch unerschlossener Markt der Welt einer goldenen Zukunft entgegengeht; er soll bald zu einem quirligen Begegnungsplatz findiger Unternehmer und ihrer zufriedenen Kunden werden. Doch in Afrika ist der Kunde noch Knecht.
Zum Beispiel im Niger, einem Halbwüstenstaat im Nordwesten des Kontinents. Dort erfährt der Kunde einer Fluggesellschaft wenige Stunden vor dem Abflug, dass seine Maschine ins Nachbarland Burkina Faso morgen früh nicht fliegen wird – aus nicht bekannt gegebenen Gründen. Der Kunde könne zwei Tage später fliegen, heisst es. Da dies aus Gründen seines Terminkalenders nicht möglich ist, sieht er sich gezwungen, einen Bus zu nehmen – und damit fängt das Abenteuer erst richtig an.
Obwohl die Strecke zwischen Niamey und Ouagadougou gerade mal 500 Kilometer ausmacht, soll der Bus morgens um 4 Uhr abfahren. Die Gründe für den nächtlichen Frühstart werden dem Kunden nicht mitgeteilt: Niameys Rush Hour würde auch um 7 Uhr noch vermieden. Was dem Kunden stattdessen mitgeteilt wird, ist, dass der Bus bereits um 3 Uhr abfahre – nur damit er auch rechtzeitig am Busbahnhof eintrifft, wie sich später herausstellt. Dort findet der Kunde nachts um 3 bereits Hunderte Leidensgenossen vor, die auf dem nackten Boden oder auf Holzbänken balancierend zu schlafen suchen.
Der Kunde hat einen Luxusbus mit Klimaanlage und reserviertem Sitzplatz gebucht. Statt dass bereits beim Kauf des Tickets eine Platznummer vergeben worden wäre, ruft ein Angestellter zur wahren Abfahrtszeit um 4 Uhr alle Fahrgäste einzeln auf – eine Prozedur, die wegen der zahlreichen noch schlafenden oder aus anderen Gründen nicht ansprechbaren Kunden eineinhalb Stunden in Anspruch nimmt. Um halb sechs gehts schliesslich los.
Die Strecke nach Ouagadougou ist unproblematisch: kaum Verkehr, Teerstrasse, immer geradeaus. Wenn nur die Klimaanlage auf der Brille des Fahrgasts keine Eiskristalle wachsen liesse. Auf die Bitte des hustenden Kunden, das Aggregat doch s’il vous plaît etwas herunterzudrehen, zeigt der Fahrer auf sein 17 Grad Celsius anzeigendes Thermometer und sagt: «So fahre ich immer.» Der Kunde schweigt und friert weiter.
Alle halbe Stunde darf er sich allerdings über eine Erleichterung freuen. Der Bus muss an einer der aus sechs Stopps bestehenden Grenze oder einer der unzähligen nachfolgenden Polizeisperren halten, wo sich der Kunde bei Aussentemperaturen von über 40 Grad etwas aufwärmen kann. Die Kontrolleure könnten auch durch den Bus gehen, um sich die Papiere der Reisenden anzusehen, aber es müssen alle Fahrgäste aussteigen und sich um den Zugang zu einem Schalter schlagen. Kluge muslimische Gläubige nehmen die Stopps zum Anlass, um sich auf ihrem Gebetsteppich Richtung Osten zu beugen: Man versteht jetzt auch, warum Afrikaner so gottesfürchtig sind. 14 Stunden nach seinem Erwachen kommt der fiebrige Kunde schliesslich am Ziel seiner Reise in Ouagadougou an. Wenn er einmal König ist, darf er sich zwischen Niamey und Ouagadougou auf einen angenehmen Sonntagmorgenausflug mit Orangensaft, Spielfilm und wohltuenden Temperaturen freuen.
Ein Kommentar zu «Hier ist der Kunde noch Knecht»
Damit es hier bald auch so ist, werden kräftig Einwanderer importiert.