Wenn Hamlet sich die Haare rauft

Immer in der Rolle bleiben: Bei kreischenden Hobbysängerinnen oder endlos klingelnden Handys sind die Schauspieler gefordert. (Reuters/David Moir)
Manchmal kann man vom Taumel einer Begeisterung auch zu viel bekommen. Das fanden jedenfalls kürzlich Besucher des Musicals «The Bodyguard» in der englischen Stadt Nottingham.
Eine Zuschauerin, die offenbar den gleichnamigen Whitney-Houston-Film unzählige Male gesehen hatte, hielt es nicht mehr im anonymen Dunkel ihres Sitzes. Sie begann, die Songs des Stücks mit lauter Stimme mitzusingen. Und begleitete einem Zeugen zufolge «schrill und in furchtbaren Tönen» die Bühnen-Sänger, von Lied zu Lied.
Proteste anderer fruchteten überhaupt nicht. Sie lösten zwischen den einzelnen Nummern nur wütende Schimpfkanonaden bei der ungebetenen Sängerin aus. Zwanzig Minuten lang lag die Betreffende ihren zunehmend verzweifelten Zeitgenossen in den Ohren, bevor der Saaldienst sie aus der Royal Concert Hall schleppte und an die Luft setzte – zur allgemeinen Erleichterung.
Viele ernsthafte Konzert-, Theater- und Kinogänger im Vereinigten Königreich leiden neuerdings unter wachsender Unbekümmertheit ihrer Mitwelt bei allerlei Veranstaltungen. Kleinbildschirme flackern, wenn das Saallicht längst erloschen ist. Texte werden gesendet oder empfangen, wo es um Sein und Nichtsein geht. Manchmal wird sogar halblaut telefoniert.
Offenbar finden es an permanenten Netzzugang gewöhnte Kulturkonsumenten schwer, mal für eine Stunde auszusetzen. Andere stehen unterm Zwang, Gesehenes oder Gehörtes unmittelbar zu kommentieren. Das tun sie ja sonst über soziale Medien auch.

Unter erschwerten Bedingungen: Hamlets Selbstgespräche. (AFP/Denis Sinyakow)
Manchmal fällt es da auch Schauspielern schwer, sich zu konzentrieren. Benedict Cumberbatch etwa bat in diesem Sommer Besucher seines «Hamlet» im Barbican, doch um Himmels willen mit dem Filmen aufzuhören. Voriges Jahr war ein hartnäckig läutendes Handy dem Schauspieler Kevin Spacey so auf die Nerven gegangen, dass er den Besitzer des Störfaktors fragte, ob er denn nicht endlich abnehmen wolle: «Wenn Sie es nicht tun, tue ichs für Sie.»
Den grössten Applaus erhielt allerdings vor zwei Jahren Helen Mirren im Gielgud Theatre in London. Und in diesem Fall provozierten nicht mal die Theatergänger den dramatischen Knall. Draussen vor dem Gielgud war nämlich ein Zug von Gauklern aufgezogen, der zu einem Festival einlud – mit lautem Getrommel. Und weil der Zug just vor dem Theater wild trommelnd anhielt, war zum Ende des ersten Aktes drinnen kaum noch was zu hören.
Das Stück aber war «The Audience», in dem Mirren die Königin von England spielte. Und in voller Kostümierung, ganz Elizabeth II., tauchte die Schauspielerin im Bühneneingang auf und trat auf die Strasse hinaus. Die armen Trommler wussten nicht, wie ihnen geschah, bei dieser royalen, furios scheltenden Erscheinung. Beschämt packten sie ihre Instrumente und suchten das Weite. Die das Schauspiel verfolgt hatten, konnten sich vor Lachen nicht halten. Das war nun mal ein Publikumserfolg.
Die Queen bittet um Ruhe: Helen Mirren vor dem Gielgud Theatre in London. (Youtube/nsotd4)
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