#Sockengate und sonstige Schmutzwäsche

Das Haar sitzt stets perfekt: Der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto während eines Besuchs in Paris. Foto: Thomas Samson, Keystone
Mexikos Staatschef will nicht nur ein guter Präsident sein. Enrique Peña Nieto will auch ein schöner Präsident sein. Jederzeit achtet der Ex-Gouverneur auf seine Erscheinung, die an ölige Galane jener Seifenopern gemahnt, die Leben und Leiden der Schönen, Reichen und fast immer Weissen in die oft bescheidenen Bleiben Lateinamerikas bringen. Noch gelang es keinem Fotografen, den Frontmann der Partei der institutionalisierten Revolution mit derangierter Frisur abzulichten. Selbst bei öffentlich exerzierter Körperertüchtigung fällt dem 49-Jährigen keine Strähne in die Stirn. Der schwarze Schopf sitzt.
Aber nun wurde doch eine vermeintliche Imperfektion entdeckt. Nicht am Haupt, sondern am anderen Extrem des herrschaftlichen Leibes. «Socken verkehrt rum», empörte sich ein genauer Beobachter per Twitter und heftete seinem Scoop ein Foto bei, das vorigen Sonntag beim Volkslauf «Molino del Rey» aufgenommen wurde. Über die 10-Kilometer-Strecke joggte auch, in einem Trikot in den drei Nationalfarben Grün-Weiss-Rot, der Präsident. Zu hellgrünen Laufschuhen trug er weisse Socken, die wiederum eine grau abgesetzte Fläche aufwiesen – sichtbar genau dort, wo der Spann ins Schienbein übergeht. Für den Denunzianten war klar: Der graue Fleck war die Fersenverstärkung und Peña Nieto zu blöd, sich die Socken richtig anzuziehen.
Nun, Peña Nieto war sich nicht zu schade, auf diesen bis dahin kaum bemerkten Tweet zu antworten. Der Präsident schickte von seinem eigenen Account #EPN ein Foto des am vorigen Sonntag verschwitzten Sockenpaares, das belegt, dass bei diesem Modell die grauen Stellen tatsächlich über dem Vorderfuss zu liegen kommen sollten.
Aclarando el #calcetagate pic.twitter.com/IuhaS7KAG3
— Enrique Peña Nieto (@EPN) 19. August 2015
Einer der abgebildeten Füsslinge ist von vorne zu sehen, der andere von der Rückseite, auf der sich die Ferse deutlich abzeichnet, ohne graue Verstärkung wohlgemerkt. «Aclarando el #calcetagate», fügte der Mandatar noch hinzu und dachte wohl, das «#Sockengate» wäre mit dieser «Erklärung» beendet.
Doch nun brach es erst richtig los. Während mehrerer Stunden war #Sockengate das Topthema auf Mexikos Twitter. Viele Bürger hatten offenbar wenig Freude an der ausgebreiteten Schmutzwäsche. Sie fragten sich, warum der Staatschef seinen Twitter-Account nicht früher verwendet habe. Etwa um zu klären, wie er an seine schneeweisse Traumvilla im Golfclub Ixtapan de la Sal kam, die ihm ein Bauunternehmer verkaufte, der danach mit öffentlichen Projekten reichlich bedacht wurde. Manche Twitter-User fragten, warum #EPN nichts zu den fortgesetzten Morden an Journalisten zu vermelden hatte. Und andere hinterfragten Peña Nietos Schweigen nach der Tunnelflucht des Drogenkönigs «El Chapo» Guzmán.
A mi las #calcetas (las camisas y ropas) sobre las que me interesa #aclaración de EPN son las de los 43 estudiantes de Ayotzinapa. — Lydia Cacho (@lydiacachosi) 19. August 2015
«Ich hätte von #EPN gerne eine Erklärung über die Socken der 43 Studenten von Ayotzinapa», schrieb bitterböse die Journalistin Lydia Cacho.
Die Menschenrechtsaktivistin spielte auf jene 43 Lehramtsschüler an, die seit September nicht aufzufinden sind.
Enrique Peña Nietos Strategie, das Verbrechen in Mexiko zu bekämpfen, besteht vor allem darin, diese Angelegenheit zu verschweigen. Es gibt schliesslich wichtigere Themen.
3 Kommentare zu «#Sockengate und sonstige Schmutzwäsche»
Ich glaube die Herren haben nicht ganz verstanden, dass es a) nicht primär um die Socken geht und b) auch der Tagesanzeiger ab und an mal eine seichte Geschichte abdrucken darf, vor allem in einem Blog. Das störende an EPN ist, dass er manchmal den Eindruck macht, dass er sich mehr um sein Aussehen oder um seine Eitelkeit kümmert statt um die wahren Probleme in seinem Land. Dass er als Präsident Mexikos Probleme nicht im Alleingang und von einem Tag auf den anderen lösen kann, ist noch akzeptierbar. Dass er sie aber nicht wirklich angeht, hingegen weniger…
Falls nicht mindestens – wie beim damaligen Präsidenten der EZB Trichet – Löcher in den Socken sind, wäre es ein Thema für den Blick und nicht für den Tagesanzeiger!!!
Warum wird von einem Staatspräsidenten überhaupt die intellektuell hochstehende Fähigkeit verlangt, dass er seine Socken politisch korrekt anzieht? Schliesslich besteht seine Aufgabe ja darin, sein Land zu regieren und nicht darin, seine wertvolle Zeit mit der richtigen Orientierung seiner Socken zu vergeuden. Ganz abgesehen davon braucht ein südamerikanischer Politiker ohnehin nur einen Minimum-Eye-Queue von rund 50 – dafür aber eine ausserordentlich hoch entwickelte moralische Flexibilität.