Ein Millionär im freien Fall

Mit Kreuz und Fisch: Michael Lucarelli nach der Verhandlung in New York. Foto: AP.
Obwohl er nie dort war, glaubte Goethe, Amerika habe es «besser als der alte Kontinent». Im Lauf der Jahre ist dieses Lob den Amerikanern zu Kopf gestiegen. Sie behaupteten, jeder könne es vom Tellerwäscher zum Millionär bringen. Ganz einfach sei das. Der ideale Aufsteiger bettelt an einer Strassenecke und ist ein Verlierer der Extraklasse. Kurze Zeit später aber fliegt er dank harter Arbeit und eines Quäntchen Glücks in seiner privaten Cessna Citation X zum WEF nach Davos, an Bord zwei super Kinder und eine umwerfende Gattin. Sie bezeugt seine pekuniäre Potenz und löst als Armcandy fiebrigen Neid aus.
Nichts daran ist jedoch wahr, alles ist erstunken und erlogen. Denn dieser Tage verläuft es oft andersherum: So manche Millionäre enden als Kassierer bei McDonald’s oder pumpen Jauche. Tellerwäscher wird natürlich niemand mehr. Schliesslich gibt es Geschirrspülmaschinen. Ausserdem essen die Leute von Papptellern, die weggeworfen werden.
Wie rasant ein solcher Abstieg vonstattengehen kann, wurde am vergangenen Mittwoch vor einem New Yorker Gericht beispielhaft demonstriert. Wegen Insiderhandels wurde ein gewisser Michael Lucarelli, 52, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Es war das Ende einer reichlich vergoldeten Fahnenstange für Lucarelli. Einst hatte er als männliches Model bei der berühmten Agentur Ford nebenbei Geld zum Studieren verdient. Irgendwann danach dockte er bei Lippert Heilshorn an, einer Firma, die Investoren zu Diensten ist. Er stieg auf. Bis er abstieg.
«Sie ist 20 Jahre jünger»
Seinen Absturz schilderte Herr Lucarelli vor Gericht detailliert und so laut, dass Richter Jesse Furman ihn mehrmals zurechtwies. Der Anfang vom Ende kam, nachdem ihn 2011 ein Taxi angefahren hatte. Prompt verliess ihn seine Frau und zog nach Florida: «Ich konnte meine sexuellen Pflichten nicht erfüllen, und sie ist 20 Jahre jünger.» Herrn Michaels Tage verdüsterten sich. Da er wegen der Darmerkrankung Morbus Crohn keinen Kaffee trinken konnte, die Arbeit bei Lippert Heilshorn jedoch beträchtliche Adrenalinschübe verlangte, griff er zu Koks. Doch habe er die Droge «nicht genommen, um high zu werden».
Obendrein habe der Arbeitgeber ihm zustehende Provisionen unterschlagen, behauptete Lucarelli gegenüber dem Richter. Die Welt war also insgesamt gegen ihn, weshalb er Insiderhandel zu treiben begann. «Ich habe das als Glücksspiel angesehen», beschied er dem Gericht. Bevor der Hasardeur aufflog, verdiente er illegal nahezu eine Million Dollar. Damit kann niemand in einer Cessna Citation X zum WEF nach Davos fliegen. Aber ansehnlicher Zaster ist es trotzdem.
Traumberuf Trucker
Die betrüblichen Einzelheiten von Lucarellis Abstieg verfingen vor Gericht leider nicht. «Ich höre alle möglichen Erklärungen, alle anderen sind schuld, nur nicht er», maulte Richter Furman. Obwohl sich der Angeklagte doch als mittelloser «Aussätziger» ohne Freunde beschrieben hatte und bei seinem Bruder in North Dakota eingezogen war. Dort ist es kalt, und überall gibt es Fracking. Er wolle Lastwagenfahrer werden, sagte Herr Michael dem Richter. «Wenn du Trucker bist, testen sie deinen Urin immer wieder», wusste er.
Nach dem Absitzen seiner Strafe wird Lucarelli also mit seinem Sattelzug über die Prärie donnern, im Radio Commander Cody & His Lost Planet Airmen mit ihrem Hit «Mama Hated Diesels». Sicherlich wird er mitsingen: «Mama hat Diesel-Trucks so gehasst/ es hat etwas mit Papa zu tun gehabt/ als ich sie das erste Mal habe weinen sehen/ ist gerade so ein Ding vorbeigefahren.» Mein lieber Mann: Das ist verdammt weit weg von der Wallstreet!
«Mama Hated Diesels» von Commander Cody and his Lost Planet Airmen. Quelle: Youtube.
5 Kommentare zu «Ein Millionär im freien Fall»
Tja den Tag möchte ich erleben wo die Frau (und das nach einem Umfall) sagen muss, „Ich konnte meine sexuellen Pflichten nicht erfüllen“ und dann noch dem Mann die Hälfte vom Vermögen abdrücken muss.
Oder besser, wieso ist so etwas überhaupt möglich?
Ist ja fast eine Geschichte wie „The Bonfire of the Vanities“ (Im Fegefeuer der Eitelkeiten) von Tom Wolfe — dort fährt das Unglück mit einer verpassten Autobahnabfahrt an, im beschriebenen Fall mit einem Taxiunfall und sexueller Impotenz….kleine Dinge und Begebenheiten, die grosse Männer aus der Bahn werfen können….nur bis er wieder aus dem Knast kommt, werden vermutlich schon grosse Teile der Frackingindustrie pleite sein, wenn Saudi-Arabien mit den Oelpreisen weiterhin so ein Powerplay macht!
Auf 300 Millionen Individuen gibt es überall auf der Erde mindestens 1 Million Betrüger, von denen 2/3 irgendwann erwischt werden. Daraus eine Negativ-Geschichte über die USA und den American Dream zu konstruieren, ist mehr als billig. Da kennen wir aus der behäbigen Schweiz weit schlimmere Beispiele und dies gleich im Dutzend.
Wenn man sich jedoch die Anzahl Self-Made-Milliardäre in den USA ansieht und sie mit Europa vergleicht, so erkennt man, dass die USA rund 20x mehr neue Milliardäre produzieren als Europa, wo die Politik vor allem das Alte Geld schützt und hegt und pflegt.
Wer macht nun wohl eher etwas falsch, wenn es um Tellerwäscher-Karrieren geht? Das heutige Europa mit all seinen administrativen Hürden, aufgebaut und verwaltete durch ein Heer von Beamten und Organisationen, die gemeinsam jedes Unternehmertum behindern und auch jedem Start-Up viele Knüppel zwischen die Beine werfen? Ein Europa, das in Stagnation verfällt und keinen Weg darauf findet? Dieses Europa kann wohl kaum als besseres Beispiel gegenüber den USA angeführt werden.
Kann sein dass es nicht nötig war, aus einem Einzelschicksal auf die ganze USA zu schliessen. Da sie aber gerade das genau gleiche mit Europa machen, haben sich hier ja zwei Schreiberlinge gefunden 😉 Tauschen Sie sich doch gegenseitig über ihre Vorurteile aus. Das macht sicher Spass 😉
Oh und, ich fand den Artikel gelungen. Wie eigentlich das meiste was Herr Kilian schreibt. Das liegt wohl daran, dass ich eher ein Kulturpessimist bin und in den USA die modernen Städte Sodom und Gomorra sehe. Trotzdem: Man muss schon ganz schön voreingenommen sein um die USA als gutes Beispiel anzuführen.
Der Trucker Traum wird nicht funktionieren, denn bald werden diese Biester von alleine fahren…