Osama Bin Laden lebt


Karneval? Brasilianische Kandidaten auf Stimmenfang. Video: PeloAmorDeDeus/Youtube

Es ist eine alte brasilianische Tradition, die auch bei den diesjährigen Wahlen Aufsehen erregt hat: Weil Kandidaten für Abgeordnetenhaus, Senat und lokale Parlamente ein Pseudonym verwenden dürfen, konnten die Stimmbürger am vergangenen Sonntag unter drei verschiedenen Möchtegern-Parlamentariern namens Osama Bin Laden auswählen. Einer erschien mit langem Bart und in wallendweisser Bekleidung vor dem Wahllokal und wurde prompt verhaftet – allerdings nicht wegen terroristischer Aktivitäten, sondern weil er den Wartenden Wasser verkaufte und sie bat, ihm seine Stimme zu geben. Das hielten die Ordnungshüter für unerlaubte Propaganda.

In Manaus verhaftet: Einer der drei Osama Bin Ladens vor brasilianischen Wahllokalen. Bild über Express.co.uk

In Manaus verhaftet: Einer der drei Osama Bin Ladens vor brasilianischen Wahllokalen. Bild über Express.co.uk

Ein weiterer brasilianischer Bin Laden antwortete auf die Frage, wie er unter dem Namen eines Massenmörders kandidieren könne: «Schauen Sie doch, wie ich aussehe.» Tatsächlich sieht der Kandidat dem Terroristen verblüffend ähnlich. «Mich nennen ohnehin alle Bin Laden, da kann ich auch gleich unter diesem Pseudonym antreten.» Der Lokalpolitiker ist Mitglied der Nationalen Ökologischen Partei und will die Kosten für das Medizinstudium senken.

Und was gab es dieses Jahr sonst noch so an Abstrusitäten? Abgesehen von den Kandidaten, die Sie im Video oben begutachten können: vier Barack Obamas. Ein Hamburger-Gesicht, «weil ich ein rundes Gesicht habe». Eine Olga Kuss und Käse. Einen Spiderman. Einen Dengue, der in seinem TV-Werbespot eine elektronisch erzeugte, über den Bildschirm schwirrende Mücke totschlägt. Mick Jagger, Michael Jackson und Elvis Presley sind bei jeder brasilianischen Wahl ohnehin unvermeidlich. Jesus Christus genauso.

Dieser Mann ist Clown – und Parlamentarier: Tiririca. Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom

Dieser Mann ist Clown – und Parlamentarier: Tiririca. Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom

Wer nun denkt, Jux-Kandidaturen seien im grössten Land Lateinamerikas aussichtslos, der irrt sich gewaltig. Denn der Zirkusclown Tiririca (Wahlslogan: «Für Tiririca sollt ihr stimmen, die anderen sind die wirklich Schlimmen») erhielt 2010 landesweit am meisten Stimmen und zog ins nationale Parlament ein. Davor musste er einen Lese- und Schreibtest ablegen, weil das Gerücht aufgekommen war, er sei Analphabet – und Analphabeten ist die Tätigkeit als Abgeordnete versagt.

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Während der letzten Legislatur reichte Tiririca acht Vorstösse ein, von denen sechs etwas mit Zirkus zu tun hatten und keiner angenommen wurde. Dennoch ist er wiedergewählt worden, diesmal mit den landesweit zweitmeisten Stimmen.

Die Neigung der brasilianischen Bevölkerung, ihren Unmut über das Polit-Establishment durch die Unterstützung unkonventioneller Kandidaten zu zeigen, hat schon ganz andere Peinlichkeiten provoziert. 1958 erhielt das Rhinozeros Cacareco aus dem Zoo von São Paulo bei einer Wahl für das Stadtparlament 100’000 Stimmen. Und in Rio de Janeiro landete der Schimpanse Tião bei den Bürgermeisterwahlen 1988 auf dem dritten Platz. Als er starb, schuf man zu seinem Gedenken eine überlebensgrosse Statue.

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5 Kommentare zu «Osama Bin Laden lebt»

  • Markus Schneider sagt:

    Jedenfalls definitiv besser als Wahlabstinenz, solange die bei uns nichts bewirkt. Zwar geht die Hälfte von uns gar nicht wählen, aber die Plätze werden dennoch vollständig besetzt und natürlich werden auch die Diäten abkassiert. Bei 50% Wahlteilnahme dürften meiner Meinung nach auch bloss 50% der Sitze besetzt werden, da könnten wir viel Geld und blöde Gesetze sparen.

  • Goran sagt:

    Blocher soll und muss diesen Unsinn lassen! Er stiftet nur Unsinn mit seinem Unsinn an! Er soll in den Ecken gehen und sich schaemen! Wie in der Primarschule!

  • Marcel Senn sagt:

    Vermutlich hätte man als „Heidi“ in Brasilien auch noch gute Chancen indem man eine heile Welt voller Wohlstand verspricht wie das Bild vieler Brasilianer von der Schweiz ist. Vor allem dank der japanischen Trickfilmreihe Heidi ist sie auch in Südamerika sehr bekannt und beliebt. Unter all den komischen Gestalten im brasilianischen Wahlkampf könnte sich Heidi vermutlich noch gut positionieren und bekäme sicher viele Stimmen.

  • Ruedi Widmer sagt:

    Elvis auch.

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