Schamlose Propaganda für sich selbst


Militärdiktaturen und Putsche von Offizieren gegen demokratisch gewählte Regierungen gibt es in Lateinamerika nicht mehr, was einen grossen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. Doch auch heutige lateinamerikanische Präsidenten wollen verehrt sein und betreiben ziemlich schamlos Propaganda für sich selbst. Zum Beispiel der Bolivianer Evo Morales. Er hat seine ehemalige Kabinettschefin beauftragt, ein Kinderbuch mit dem Titel «Die Abenteuer von Evito» zu gestalten, in dem die Kindheit des Präsidenten glorifiziert wird.

Ein Kapitel lautet «Evito geht zur Schule», ein anderes «Evito spielt Fussball». Bei der Buchpräsentation in der venezolanischen Botschaft in La Paz sagte die Autorin: «Ich wollte den Kindern zeigen, wie prekär ihre Situation früher war, und wie gut sie es dank Präsident Evo Morales heute haben.» Einen Teil der Auflage verteilten die Behörden gratis, und dasselbe werden sie wohl mit den übrigen vier geplanten Evito-Büchern tun, die das Leben des ehemaligen Coca-Bauern-Gewerkschaftsführers bis zum Beginn seiner glorreichen Präsidentschaft erzählen sollen.

Auch in Venezuela beglückt die Regierung ihre Schulkinder mit erbaulichen Werken. Sie verteilt an den Schulen eine «Illustrierte Verfassung der bolivarischen Republik Venezuela». Darin ist zu bewundern, wie der verstorbene Präsident Hugo Chávez gütig lächelnd mit Kindern spielt – unter dem Titel «Höchste Glückseligkeit». Eine andere Illustration zeigt, wie Chávez gottgleich vom Himmel herab auf seinen Nachfolger Nicolás Maduro blickt, der mit umgehängter Präsidentenschärpe triumphierend die Hand hebt. Titel des Bildes: «Demokratie». Von grossem didaktischem Wert ist auch folgende aus einem venezolanischen Schulbuch stammende Mathematikaufgabe. «In einem staatlichen Unternehmen wird gemäss den solidarischen Prinzipien der bolivarischen Konstitution Zucker verpackt. Für eine Bestellung sind 12 Kilogramm Zucker in Säcken zu 1,5 Kilos zu verpacken. Wie viele Säcke braucht es?»

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hat den Fimmel, jedes Bauwerk und jede Institution nach ihrem verstorbenen Ehemann und Vorgänger Néstor Kirchner zu benennen. Hier eine bei weitem nicht vollständige Liste: Das Busterminal in San Salvador de Jujuy. Ein heizbares Schwimmbad in Apóstoles. Eine Turnhalle in Palpalá, die allerdings nicht einfach Néstor Kirchner heisst, sondern «Olympisches Gemeindestadion Präsident Néstor Kirchner». Das Integrationszentrum in Venado Tuerto. Ein von Geröll bedeckter Fussballplatz in Chubut. Und so weiter und so weiter. Ein Journalist der oppositionellen Zeitung Clarín hat sich den Spass gemacht, auf Tumblr unter dem Titel «Benenne alles nach Néstor» Beispiele zusammenzutragen.

In Ecuador schliesslich hat kürzlich das Informations- und Kommunikationsministerium die Chefredaktoren dreier nationaler Zeitungen einberufen, um sich zu beklagen: Die Blätter hätten skandalöserweise mit keinem Wort erwähnt, dass Präsident Rafael Correa zur Verleihung einer Ehrendoktorwürde nach Chile gereist war.

Einen Lichtblick in diesem von präsidialer Eitelkeit und sonstigem Wahnsinn gebeutelten Kontinent gibt es: Luis Guillermo Solís, Costa Ricas seit Mai regierender Präsident. Der Mitte-links-Politiker hat verfügt, dass in keiner Amtsstube des Landes sein Konterfei hängen darf, in keiner Polizeistation und in keiner Botschaft. Es dürfe auch kein öffentliches Gebäude eine Plakette mit seinem Namen tragen. «Der Persönlichkeitskult ist zu Ende, zumindest während meiner Regierung», begründete er die Massnahme. Aber der liberalen Opposition ist auch das nicht recht. Deren Chef Juan Luis Jiménez Succar sagte: «Dieses populistische Getue beweist, dass sich der Präsident noch immer benimmt wie im Wahlkampf.»

«Die Abenteuer von Evito» als Zeichentrickfilm, dazu ein Interview mit der Autorin (auf Spanisch):

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11 Kommentare zu «Schamlose Propaganda für sich selbst»

  • Die Bürgermeistein von Lima, Susana Villarán, wollte bei ihrem Amtsantritt vor vier Jahren einen anderen Politikstil einführen: demokratisch, partizipativ, nicht personalisiert. Das Ergebnis: niedrigste Zustimmungsraten und die – von der Opposition geschürte – Volkesmeinung, sie sei eine „Lady Vaga“, eine, die nichts gebacken kriegt und nichts vorzuweisen hat und einfach faul sei. Nach einem nur knapp überstandenen Abwahlreferendum hat Susana Villarán ihre politische Strategie geändert: heute prangt auch vor jeder neuen Brücke, einem Autobahnteilstück oder einem neu erbauten Spielplatz ihre Konterfei mit dem Namen „Susana macht´s“. Der Personenkult in der lateinamerikanischen Politik nimmt ,wie in Venezuela, bisweilen zwar groteske Züge an, fusst aber auf einer jahrhundertelangen Caudillo-Tradition. Diese Kultur zu durchbrechen ist sehr schwierig.
    Und, um nur in die Schweizer Nähe zu schweifen: wie soll man die Wahlplakate der deutschen CDU benenen, auf denen einfach Angela Merkel zu sehen war als einziges Programm ? Eine Caudilla, vielelicht wider Willen – die deutschen Wähler haben es ihr jedenfalls gedankt.

  • selina sagt:

    Danke, Elsbeth
    man sieht dass sie fundierte kenntnisse haben.

  • Edi Martino sagt:

    Richtig heisst es:
    Militärdiktaturen und Putsche von Offizieren „von der CIA“ gegen demokratisch gewählte Regierungen gibt es in Lateinamerika nicht mehr, was einen grossen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet.

  • Meier sagt:

    Warum sich auf Südamerika beschränken. Dieses Phänomen existiert bei fast allen Politikern; sichtbar bei sog. Fototerminen: bei der EU, der G8, der UNO usw. Es sind alles Egomanen, meistens Wichtigtuer keiner will seinem Land, wirklich eine nachhaltige Zukunft bieten. Denn dazu müsste er Unangenehmes anprangern, seine Klientel vergraulen und seine Wiederwahl gefährden.

  • Marcel Senn sagt:

    Sind ja nicht ganz alle so Egomanen – in Uruguay habe ich auch noch in keiner Amtsstube das Konterfei von Pepe Mujica entdeckt, auch sonst nimmt er kein Blatt vor den Mund – sei es gegen FIFA Funktionäre oder gegen Kristina als er vor einem vermeintlich abgestellten Mikrofon gegen CFK wetterte: „Esta vieja es peor que el tuerto“ – diese Alte ist noch schlimmer als der Einäugige (Nestor Kirchner). Auch sein Marijuanlegalisierungsprojekt hat er gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgezogen, was ihm im Time Magazine 2014 immerhin einen Platz unter den 100 wichtigsten Persönlichkeiten gab und eine Nomination für den Friedendsnobelpreis – vom Tupamaro (Stadtguerilla) über 14 Jahre Gefängnis während der Militärdiktatur (davon 11 in Einzelhaft nur mit Ratten und Folter) bis hin zum Staatspräsidenten – das ist doch eine sehr aussergewöhnliche Karriere!
    Dazu gibt er 85-90% seines Salärs von rund 12’000 USD pro Monat an soziale Projekte ab und lebt doch sehr bescheiden auf seiner Blumenfarm mit 2 uralten VW Käfern – korrupt ist Mujica definitiv nicht! (Uruguay ist auch das wenigste korrupte Land von ganz Lateinamerika)

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