Keine Nachricht von Señor Uribe
Herakles war bekanntlich ein griechischer Held, dem König Eurystheus zur Sühne seines Jähzorns zwölf Arbeiten aufbürdete: die Erlegung des Nemëischen Löwen, das Ausmisten der Rinderställe des Augias, und so weiter. Wäre Herakles eine zeitgenössische Figur, würden ihm wohl Taten abverlangt, die nicht weniger schwierig sind als diese mythologischen Glanzleistungen: In Zürich binnen einer Stunde einen Parkplatz finden. Hugo Stamm dazu überreden, Scientology beizutreten. Einen abgestürzten Computer mithilfe einer Hotline wieder funktionsfähig machen. Doch die härteste, nervenaufreibendste, kräftezehrendste Aufgabe eines modernen Herakles bestünde darin, Álvaro Uribe zu interviewen.

Der gefürchtete Guerilla-Jäger: Plakat mit Uribe und einer blutverschmierten Hand an einer Pro-Farc-Demonstration in Santiago de Chile, 2008. (Foto: Keystone)
Vergangenen Monat war ich in Kolumbien und habe es wieder einmal versucht. Uribe feierte als Präsident grosse Erfolge im Krieg gegen die Guerilla und bei der Bekämpfung der Kriminalität, was ihn extrem populär machte. Gleichzeitig steckte er in einem Korruptionssumpf, liess Richter, Journalisten und politische Gegner aushorchen, war eitel und autoritär, schwächte die Demokratie. Uribe ist eine abgründige Figur, die in Kolumbien noch heute an den Fäden der Macht zieht. Was kann man von einem Interviewpartner mehr verlangen?
Anruf bei seinem Pressebeauftragten. «Kürzlich haben wir einem ausländischen Journalisten ausnahmsweise ein Interview gewährt, das der Ex-Präsident nach wenigen Minuten abbrechen musste. Der Journalist begann, ihn über seine angeblichen Kontakte zu den Paramilitärs zu befragen.» Das würde ich eigentlich auch gerne, antworte jedoch aus taktischen Gründen, es gehe mir einzig und allein darum, mit Uribe über seine herausragende Autobiografie «Es gibt keinen hoffnungslosen Fall» zu sprechen. (In Wahrheit ist das Buch grottenschlecht, und der Titel, wie sich herausstellen wird, eine glatte Lüge.) Der Pressebeauftragte fordert mich auf, per Mail um eine Audienz nachzusuchen.
Extrem misstrauisch und absolut humorlos
Während ich auf Antwort warte, erfahre ich von einer kolumbianischen Journalistin, die Uribe jahrelang auf Auslandreisen begleitet hat, er sei extrem misstrauisch und absolut humorlos. In einem Buch lese ich, er habe einmal einen Journalisten mit einem Handy beworfen. «Wäre das Gerät nicht an der Wand zerschellt, hätte es den Journalisten ernsthaft verletzen können», schreibt die Autorin.

Ein Herz, eine Brille, zwei Stimmen: Álvaro Uribe vor Francisco Santos. (Foto: Keystone)
Dann fällt mir eine Episode ein, die sich vor einigen Jahren am sogenannten Latino-WEF (genau wie jenes in Davos von Klaus Schwab organisiert) in Cartagena ereignete. Politiker, Wirtschaftsführer und Journalisten schienen zusammengekommen, um Uribe die Socken zu lutschen, wie man in Argentinien sagt. Bis es ein spanischer Journalist während einer Pressekonferenz wagte, ihn auf seine vielen Mitstreiter und engen Vertrauten anzusprechen, die wegen Verbindungen zu den Paramilitärs im Gefängnis sitzen. Uribe spielte zuerst die beleidigte Majestät. Dann steigerte er sich in einen Tobsuchtsanfall hinein. Am Ende drohte er dem Journalisten, ihn des Landes zu verweisen. Damals begriff ich, weshalb sich Álvaro Uribe und Hugo Chávez selig so inbrünstig hassten: weil der eine auf den anderen wirkte wie ein Spiegel, der alle scheusslichen Eigenschaften bündelt und das Gesicht zur Fratze verzerrt.
Dann halt ein (zensiertes) Gespräch mit Pacho
Mein Uribe-Interview-Enthusiasmus ist mittlerweile etwas geschwunden. Eine nachfragende Mail an den Pressebeauftragten bleibt unbeantwortet. Dann halt ein Gespräch mit Francisco Santos, genannt Pacho, zwischen 2002 und 2010 Vizepräsident in Uribes Regierung und bis heute einer seiner treusten Gefährten. (Nicht zu verwechseln mit dem amtierenden Präsidenten Juan Manuel Santos; die beiden sind Cousins, können sich aber nicht ausstehen.) Francisco Santos ist nett und lustig und scheut keine Frage, auch nicht über Uribes mutmassliche Verbindungen zu den Paramilitärs.
Einige Tage nach der Publikation durch den TA erscheint das Gespräch auch auf Santos‘ Website, übersetzt von seiner Sekretärin, die doch beteuert hatte, kein Wort Deutsch zu verstehen. Die Frage mit den Paramilitärs (höre unten) hat sie vorsichtshalber weggelassen. Sonst hätte der gute Pacho womöglich Ärger mit seinem Herrn und Meister bekommen.
Die Frage, die auf der Website von Francisco Santos der Zensur zum Opfer fiel. Zu hören auf dieser Tonaufnahme:
2 Kommentare zu «Keine Nachricht von Señor Uribe»
Leider hat Sandro Benini den Nagel auf den Kopf getroffen. Dass Uribe Grossartiges für Kolumbien geleistet hat, ist unbestritten. Seine harte Linie gegen die FARC, in Wirklichkeit eines der weltweit schlimmsten Verbrechersyndikate, das nun wirklich kein Kapitalverbrechen (Minen, Kindersoldaten, Drogenhandel, Massenmord, Erpressung, Entführung) ausgelassen hat, war richtig, ebenso sein wirtschaftsliberaler Kurs, der vom kolumbianischen Volk grossmehrheitlich mitgetragen wurde. Doch das macht ihn nicht zu einem Übermenschen, der über den Gesetzen steht. Notorisch ist leider auch Uribes Arroganz (und wäre er, ein eklatanter Verfassungsbruch, zur Widerwahl angetreten, hätte man ihn mit allen Mitteln bekämpfen müssen; gut möglich, dass er heute wie Fujimori im Knast sässe, wäre ihm das gelungen – und das zu Recht). Auch das Loblied auf Francisco Santos würde ich teilen, den ich 2008 interviewte: http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2008-27/artikel-2008-27-an-zynismus-nich.html
Man muss in Mexiko Stadt leben, um so einen Schwachsinn über den ehemaligen Präsidenten Kolumbiens zu schreiben. Es war Uribe der einen beispiellosen Aufschwung Kolumbiens in den Jahren 2002-2010 schaffte. Das Land progresierte stark und die ausländischen Investitionen nahmen von Jahr zu Jahr über 100% zu. Das Freihandelsabkommen mit den USA folgte, Kolumbien ist mittlerweile eine der führenden Wirtschaftsmächte in Lateinamerika. Der Kampf gegen die FARC führte zu einer massiven Ausdünnung der Terrororganisation. Die Entführungsfälle sind um mehr als 90% zurückgegangen. Klar muss der Kampf und die Richtung weiterführt werden. Hoffentlich mit Zuluaga – einem Getreuen Uribes – anstelle von Santos, damit einem durchaus möglichen, versteckten Chavismus kein Nährboden geboten wird.