Warf sie ihm einen Blick zu, schoss dem Webflaneur das Adrenalin ins Blut. Nannte die Lehrerin daraufhin auch noch seinen Namen und komplementierte ihn mit einem sanften Nicken zur Wandtafel, wurden seine Hände feucht und begannen zu zittern. Bezeichnenderweise schmierte der Webflaneur mit seiner Performance daraufhin regelmässig ab: Die Kreativität war wie weggeblasen, und auf gestalterische Gaben konnte er nicht zählen. Deshalb dauerte es jeweils, wenn er bei «Montagsmaler» in der letzten Lektion vor den Ferien an der Tafel stand, eine gefühlte Ewigkeit, bis jemand den gesuchten Begriff in den Mund nahm – meist eher fragend denn überzeugt. Das Gelächter der Mitspieler verfolgte den Webflaneur bis weit in die Ferien hinein.
Das ist zwar längst passé. Doch nun holt die Vergangenheit den Webflaneur wieder ein: Eine ehemalige Klassenkollegin fordert ihn zu einer Partie «Draw Something» auf dem Smartphone auf. Dabei handelt es sich um eine digitale Variante von «Die Montagsmaler»: Man wählt eines der Wörter aus, die das Spiel vorschlägt, und stellt dieses in einer Skizze dar. Die andere Person muss erraten, was gemeint ist. Nach kurzem Zögern macht der Webflaneur dann doch mit. Denn er will nicht abseits stehen: Jedermann scheint derzeit «Draw Something» zu spielen. In den paar Wochen, in denen das Spiel erhältlich ist, wurde es laut dem Hersteller 35 Millionen Mal heruntergeladen. Jede Woche sollen damit über eine Milliarde Skizzen angefertigt werden. Die kleine Herstellerfirma, die fürstlich an der eingeblendeten Werbung und am Verkauf virtueller Malutensilien verdient, wird nun sogar von der Onlinespielschmiede Zynga aufgekauft. Der Webflaneur versucht sich also ein weiteres Mal im Zeichnen – statt an der grossen Wandtafel nun auf dem Smartphone-Bildschirm. Bei den ersten Versuchen macht er oft vom Knopf «Clear drawing» Gebrauch – bis er endlich merkt, dass die Mitspieler auch missglückte Skizzen sehen. Sie dürften sich dabei königlich amüsiert haben.