Montagsmaler

Webflaneur am Dienstag, den 27. März 2012

Warf sie ihm einen Blick zu, schoss dem Webflaneur das Adrenalin ins Blut. Nannte die Lehrerin daraufhin auch noch seinen Namen und komplementierte ihn mit einem sanften Nicken zur Wandtafel, wurden seine Hände feucht und begannen zu zittern. Bezeichnenderweise schmierte der Webflaneur mit seiner Performance daraufhin regelmässig ab: Die Kreativität war wie weggeblasen, und auf gestalterische Gaben konnte er nicht zählen. Deshalb dauerte es jeweils, wenn er bei «Montagsmaler» in der letzten Lektion vor den Ferien an der Tafel stand, eine gefühlte Ewigkeit, bis jemand den gesuchten Begriff in den Mund nahm – meist eher fragend denn überzeugt. Das Gelächter der Mitspieler verfolgte den Webflaneur bis weit in die Ferien hinein.

Das ist zwar längst passé. Doch nun holt die Vergangenheit den Webflaneur wieder ein: Eine ehemalige Klassenkollegin fordert ihn zu einer Partie «Draw Something» auf dem Smartphone auf. Dabei handelt es sich um eine digitale Variante von «Die Montagsmaler»: Man wählt eines der Wörter aus, die das Spiel vorschlägt, und stellt dieses in einer Skizze dar. Die andere Person muss erraten, was gemeint ist. Nach kurzem Zögern macht der Webflaneur dann doch mit. Denn er will nicht abseits stehen: Jedermann scheint derzeit «Draw Something» zu spielen. In den paar Wochen, in denen das Spiel erhältlich ist, wurde es laut dem Hersteller 35 Millionen Mal heruntergeladen. Jede Woche sollen damit über eine Milliarde Skizzen angefertigt werden. Die kleine Herstellerfirma, die fürstlich an der eingeblendeten Werbung und am Verkauf virtueller Malutensilien verdient, wird nun sogar von der Onlinespielschmiede Zynga aufgekauft. Der Webflaneur versucht sich also ein weiteres Mal im Zeichnen – statt an der grossen Wandtafel nun auf dem Smartphone-Bildschirm. Bei den ersten Versuchen macht er oft vom Knopf «Clear drawing» Gebrauch – bis er endlich merkt, dass die Mitspieler auch missglückte Skizzen sehen. Sie dürften sich dabei königlich amüsiert haben.

In grossen Lettern

Webflaneur am Dienstag, den 20. März 2012

Viel zu teuer sei das, moniert der Jugendfreund. «Ein stolzer Preis», kommentiert auch der Webflaneur. Er klickt im Webbrowser auf den «Zurück»-Knopf und sucht in der Linkliste nach dem nächsten Angebot. Seit einer Viertelstunde schon suchen die beiden eine Druckerei für ihr Banner – bislang ohne fündig zu werden.
Entweder sind die Preise zu hoch oder die Lieferfristen zu lang. Nach weiteren zehn Minuten platzt dem Jugendfreund der Kragen: «Dann kriegt der Herr Bräutigam halt keinen lustigen Schriftzug an den Balkon gepinnt», ruft er trotzig. Schwungvoll klappt er den Bildschirm des Notebooks auf die Tastatur.

«Ich habe da eine Idee», sagt der Webflaneur und öffnet das Notebook behutsam wieder. «Weshalb kredenzen wir dem Bräutigam nicht einen Banner im
Retrostil?», fragt er. Der Jugendfreund schaut ihn fragend an. «Äeiihh, äeeihhh», quietscht der Webflaneur ganz vergnügt. «Häle, häle?», fragt der Jugendfreund und macht diese Geste, die sich der Webflaneur seit seiner Jugend nie mehr vorführen lassen musste. Ob er sich nicht mehr erinnere, fragt jener, wie sie damals Banner fabrizierten. Buchstabe für Buchstabe hätten sie ausgedruckt – einer pro Blatt, auf dem 9-Nadel-Drucker. «Äeiihh, äeeihhh», quietscht nun der Jugendfreund. Genau so habe es getönt, wenn sie – mit Vorliebe zu nachtschlafender Zeit – ihr Werk zu Papier gebracht hätten. «Machen es wie damals!»

Voller Begeisterung stürzen sich die beiden in die Arbeit. Das kleine Programm, mit dem sie früher Banner anfertigten, besitzen sie indes nicht mehr. Deshalb probieren sie es zuerst mit der Textverarbeitung: Sie tippen die paar Buchstaben, suchen eine schöne Schrift und schrauben ihre Grösse auf Grad 650 hoch. Doch damit vergrössert sich auch der Abstand darüber. So klappt es also nicht. Dann entdecken sie Typea4. Im Nu ist die
Vorlage erstellt. Als der Laserdrucker dann fast lautlos einen Buchstaben nach dem anderen ausspuckt, stehen die zwei gut gelaunt daneben. Und machen: «Äeiihh, äeeihhh».

Die Fotopiratin

Webflaneur am Dienstag, den 6. März 2012

Die Schulkollegin gerät sogleich ins Schwärmen: Fotos zu teilen, sei noch nie so schön, simpel und sinnlich gewesen, sagt sie. Sie erzählt, wie sie Bilder, die ihr beim Surfen ins Auge sprängen, mit wenigen Mausklicks an ihre virtuelle Fotowand bei Pinterest hefte. Stunden könne sie dann damit zubringen, die Fundstücke richtig zu ordnen. Und tagelang könne sie sich durch die liebevoll gestalteten Pinnwände wildfremder Leute klicken. Bilder, die ihr gefielen, hefte sie per «repin» an ihre Fotowand. «So entsteht mein persönliches Panoptikum», sagt sie. «Ich möchte Pinterest nicht mehr missen.»

Der Webflaneur, der ihr still zugehört hat, runzelt die Stirn. «Eine solche Lobeshymne höre ich nicht zum ersten Mal», sagt er. «Hast du nicht schon von anderen Fotodiensten geschwärmt, die dann sang- und klanglos verschwunden sind?» Bei Pinterest sei dies anders, insistiert sie. Das finde übrigens nicht nur sie. Die Website liege, auch wenn es sie noch nicht lange gebe, bereits auf Rang 110 der wichtigsten Hitparade. «Deine Ignoranz mag aber daher rühren», fügt sie grinsend an, «dass er – anders als die meisten anderen Webdienste – vor allem bei Frauen beliebt ist.» – «Bei Fotografen aber weniger», kontert der Webflaneur: Sie fänden es nicht lustig, wenn ihre Aufnahmen von wildfremden Personen an virtuelle Stellwände gepinnt und von dort weiter kopiert würden. Das sei verkehrt argumentiert, sagt sie: «Die angepinnte Aufnahme ist ein Kompliment an den Fotografen.» Zudem setze sie bei jedem Bild einen Link zur Fundstelle – also etwa zur Website des Fotografen –, mache also Werbung für diesen. «Quatsch», entfährt es dem Webflaneur. De facto mache sie ohne Einwilligung der Rechteinhaber Kopien urheberrechtlich geschützter Werke. «Du bist also eine Bildpiratin.» Sie grinst und pariert: «Und du bist ein juristischer Tüpflischeisser.»

Hätte sie nicht so rasch wieder zu ihrer Pinnwand zurückkehren müssen, hätten der Webflaneur und sie wohl noch lange weitergestichelt.

Sehr schöne SSID

Webflaneur am Dienstag, den 28. Februar 2012

Die Namen von Funknetzwerken sind vielsagend. Das zumindest findet der Webflaneur. Da gibt es jene, die regelrecht «Knack mich» schreien: Darunter fallen nicht nur die WLAN-Router, die ungenügend gesichert sind, sondern solche, die in die Welt hinausposaunen, welche Firma sie fabriziert hat. Denn Netzwerkbetreiber, die sich beim Einrichten nicht mal die Mühe machen, einen eigenen Namen einzutippen, belassen oft auch das Passwort auf der Standardeinstellung. Und mit grosser Wahrscheinlichkeit machen sie auch keine Updates. Viele andere Router hingegen tragen eine lange Nummer im Namen. Diese sagt nicht viel aus – ausser, dass die Besitzer Swisscom-Kunden sind. Weitaus waghalsiger sind jene Zeitgenossen, die dem Router ihren eigenen Namen oder ihre Adresse geben. Andere Leute taufen Geräte auf mehr oder minder fantasievolle Namen, was mehr oder minder spannende Rückschlüsse auf ihr eigenes Wesen erlaubt. Besonders interessant findet der Webflaneur aber die «Jetzt rede ich Klartext»-Router: Sie sollen anderen Leuten etwas mitteilen. Mit einigen werden Hacker gewarnt, besser ihre Finger vom Netz zu lassen. Mit anderen soll Nachbarn mitgeteilt werden, dass ihre lauten nächtlichen Aktivitäten da jemandem ganz gehörig auf den Sack gehen.

Manchmal versucht ein WLAN-Besitzer also Nachbarn etwas zu sagen. Ab und zu könnte aber auch das Umgekehrte praktisch sein: So erspart es einem unter Umständen Ärger, wenn man absprechen kann, wer welchen Kanal belegt, oder Kosten, wenn man sich einen Internetzugang teilen kann. Meist weiss man aber nicht, wem der Router gehört. Dies herauszufinden, ist in Mehrfamilienhäusern knifflig. Es sei denn, der WLAN-Besitzer nutzt Wifis.org: Bei diesem Webdienst kann man für den eigenen Router eine Profilseite einrichten. Die Internetadresse zur Profilseite – wifis.org/meingerät – wird anschliessend als Router-Name eingetragen. Ist das erledigt, können Nachbarn, die Kontakt aufnehmen möchten, via das Formular auf der Profilseite eine Nachricht schicken.

Der Webflaneur überlegt, ob er seinem Router auch eine Profilseite spendieren will. Er sieht schliesslich davon ab. Denn er hängt am Namen seines Routers, dem vielsagenden.

Aufgeräumtes Adressbuch

Webflaneur am Dienstag, den 7. Februar 2012

So gehe das nicht, sagt sie. «In meinem Adressbuch herrscht ein gigantisches Chaos.» Während sie immer nervöser auf dem Smartphone herumfingert, ruft sie aus: Viele Personen seien doppelt, drei- oder gar vierfach verzeichnet. Bei manchen stehe der Vor-, bei anderen der Nachname zuerst. Und einige würden zusätzlich unter ihrem Spitznamen aufgelistet. «Ich kann mir nicht erklären, wie dieses Durcheinander entstehen konnte», sagt sie.

Er sich schon, sagt der Webflaneur: Das Smartphone ziehe Kontakte aus unterschiedlichsten Quellen zusammen: ab der SIM-Karte, aus dem E-Mail-Programm, von Facebook, Twitter, Skype und so weiter. Das sei sehr praktisch, da man so sämtliche Kontaktinfos stets mit dabei habe. Allerdings führe dies auch dazu, dass ab und zu ein Kontakt doppelt aufgeführt werde. Er rät: «Du musst doppelte Einträge halt zusammenführen.»

Sie verwirft die Hände. «Bei meinem dicken Adressbuch kostet mich das Tage», ruft sie aus. In diesem Fall versuche sie es wohl besser mit einem Automaten, sagt der Webflaneur – am besten mit jenem des Schweizer Start-ups Connex.io. Sobald sie dort ein Konto eröffnet habe, könne sie die Adressbücher von Gmail, Facebook, Linkedin sowie von Android-Smartphones oder dem iPhone anbinden. Der Dienst durchkämme die Adressen nach Duplikaten und miste die Datenbank aus – während 60 Tagen gratis, anschliessend für fünf Franken pro Monat.

Doch eigentlich sei es egal, ob ein Eintrag ein- oder mehrmals im Adressbuch stehe, fügt der Webflaneur an. Schliesslich verfüge dieses doch über eine gute Suchfunktion.

Download

Webflaneur am Dienstag, den 17. Januar 2012

Nun werde es spannend, ruft der Webflaneur ihr zu. Endlich erhalte er Einblick in all die Daten, die Facebook über ihn gespeichert habe. Der Webflaneur wartet, bis sie sich zu ihm gesellt hat. Das Prozedere sei einfach gewesen, sagt er dann: Er musste bloss in den Kontoeinstellungen auf den Herunterladenknopf drücken. Einige Zeit später habe Facebook ihm einen Link zu den in ein Archiv gepackten Daten geschickt.

Andere hätten länger pickeln müssen, sagt der Webflaneur. Und er erzählt, wie der Wiener Jusstudent Max Schrems lange und mit grösster Beharrlichkeit nach dem Auszug verlangen musste, der ihm laut den europäischen Datenschutzrichtlinien zusteht. Schliesslich habe Facebook doch noch eingelenkt und ihm eine CD mit einer 1200-seitigen Datei zugestellt. Doch darin waren offenbar nicht alle Infos enthalten. Dafür entdeckte der Student andere, die er längst gelöscht hatte. Schrems forderte daraufhin andere Nutzer auf, es ihm gleichzutun. Facebook kam mit der Arbeit kaum nach und schuf schliesslich die erwähnte Downloadfunktion.

Nun komme der grosse Augenblick, sagt der Webflaneur nochmals. Bald wüssten sie, was Facebook – zusätzlich zu den Infos, die er selbst preisgegeben hat – alles über ihn zusammengetragen habe. Er öffnet die Datei mit einem Doppelklick. Im Archiv liegt ein Ordner mit den Fotos, die er in sein Album geladen hat. Daneben sind einige Webdateien vorhanden. Er öffnet eine. Auf dem Bildschirm erscheint seine Pinnwand. «Diese kann ich doch auch online angucken», wendet sie ein. Der Webflaneur klickt weiter. Tatsächlich: Mehr als die Pinnwand-Einträge, seine Statusmeldungen, Nachrichten und Chats sowie eine Liste mit den Namen der Freunde ist nicht vorhanden.

«Ich habe mehr erwartet», sagt sie und zieht sich mit ihrem Buch wieder aufs Sofa zurück. Und der Webflaneur murmelt konsterniert: «Ich auch.»

Inbox Zero

Webflaneur am Dienstag, den 10. Januar 2012

Ja, der Webflaneur hat die betreffenden E-Mails erhalten. Und nein, er hat sie nicht beantwortet. Kaum eines hat er indes aus bösem Willen ignoriert. Einige sind schlicht in der E-Mail-Flut untergegangen, die allzu oft sein virtuelles Postfach schwemmt. Einige kamen zu unpassenden Zeitpunkten – während er unter Hochdruck schrieb etwa oder als er auf dem Sprung an eine Sitzung war. Der Webflaneur hat die betreffenden E-Mails zur Kenntnis genommen und liegen gelassen. Andere Zuschriften verlangten nach Entscheiden, die er noch nicht fällen konnte oder wollte. Er hat sie markiert und liegen gelassen. Weitere trudelten via Smartphone ein, als er auf der Piste war. Er hat sie zur Kenntnis genommen und liegen gelassen. Die nachfolgenden Nachrichten haben die Pendenzen allmählich weggespült. Erst beim Aufräumen am Ende des Jahres sind diese wieder aufgetaucht.

Die meisten Anfragen sind mittlerweile hinfällig geworden. Das tut dem Webflaneur leid. Deshalb entschuldigt er sich bei allen, denen er eine Antwort schuldig geblieben ist. Und er gelobt Besserung: Fürs dieses Jahr hat er sich eine «Inbox Zero»-Politik auferlegt. Einmal pro Tag – dann, wenn er Zeit hat – will er mit grosser Akribie seine elektronische Post erledigen: Er wird eine Triage machen und Prioritäten setzen. Überflüssige E-Mails wird er kurzerhand in den virtuellen Abfalleimer befördern. Die übrigen wird er sorgfältig beantworten – normalerweise innert eines Arbeitstages, wenns eilt schneller. Er wird nötige Entscheide sofort treffen. Nachrichten, die er später noch brauchen könnte, wird er in den Archivordner verschieben; Unterordner erspart er sich, verfügt das E-Mail-Programm doch über eine effiziente Suchfunktion.

Der Webflaneur malt sich aus, wie er schliesslich vor einer gähnend leeren Inbox sitzen und sich an diesem Anblick erfreuen wird. Bleibt nur zu hoffen, dass es ihm mit seiner «Inbox Zero»- Politik nicht so ergeht wie mit den meisten anderen Vorsätzen.

Love me Tender

Webflaneur am Dienstag, den 20. Dezember 2011

So etwas tut einem ein echter Freund nicht an: Legt dieser der Einladung zur Party doch eine lange Liste mit Musiktiteln bei. Und er schreibt von einem «Silvester-Songcontest, der letzten grossen Chance, in diesem Jahr noch berühmt zu werden». Seine Vorgabe ist klar: Wer eingelassen werden will, hat auf die Bühne zu klettern. Der Webflaneur verflucht den Karaoke-Boom, den ein grosser Game-Hersteller vor Jahren losgetreten hat und dem nun offenbar auch sein Freund erlegen ist. Er erwägt zuerst, seinen Auftritt am betreffenden Abend mit einem Arsenal an Ausreden immer weiter zu verschieben, bis dieser schliesslich im Trubel des Jahreswechsels vergessen ginge. Doch dann sieht er ein: Dieses Mal kommt er am Karaoke-Singen wohl nicht vorbei. Deshalb ackert er die lange Liste mit den Songvorschlägen durch. Viele Stücke kennt er kaum. Und auch all diese Fistelstimmesänger und ihre Songs streicht er; sie sind für ihn mit seinem sonoren Bass schlicht unerreichbar.

Schliesslich bleiben nur wenige Titel übrig. Darunter entdeckt der Webflaneur «Love Me Tender» von Elvis Presley. Nun ist für ihn klar: Er wird diese Ballade zum Besten geben – jenen Song also, mit dem er beim notenrelevanten Vorsingen in der siebten Klasse aus purer Not die Lehrerin zu bezirzen versuchte, was ihm immerhin eine Fünfeinhalb einbrachte. Doch eben: Das ist Jahrzehnte her. Damit der aktuelle Auftritt sitzt, muss er üben. Die Kassette von damals hat er längst nicht mehr.

Deshalb sucht er Karaoke-Websites. Er stolpert über einige weniger seriöse und mehrere, denen offenbar der Schnauf ausgegangen ist. Schliesslich schreibt er sich auf Singsnap und Thekaraokechannel ein. Auf einer findet er den Elvis-Song. Der Webflaneur übt und übt – und hofft, dass an Silvester der Alkohol der Gäste Urteilsfähigkeit trübt.

Bitte keine CD

Webflaneur am Dienstag, den 6. Dezember 2011

Der Webflaneur erahnt es schon vor dem Auspacken: Er kriegt eine CD. Betont langsam löst er das bunte Band. Dabei überlegt er hastig: Soll er seinem Unmut freien Lauf lassen? Er werde die CD gerne ins Museum stellen, könnte er sagen. Sollte er fragende Blicke ernten, würde er deutlicher: CDs seien von gestern. Musik digitalisieren, sei umständlich. CDs seien Staubfänger, Symbole für ein überholtes Geschäftsmodell. Früher, so würde er dozieren,
glaubte man Musik besitzen zu müssen. Wobei: Besessen habe man sie auch damals nicht. Man durfte sie bloss abspielen. Und auch dies bloss der Familie und den engsten Freunden.

Der Webflaneur würde sich in Rage reden, bis sein Bruder die Stirn in solch tiefe Falten legte, dass diese selbst im schummrigen Licht der letzten Kerzen klar hervorträten. Dann fragte er, wie man denn heute Musik höre. Online bei Diensten wie Simfy.ch und Spotify.ch, antwortete der Webflaneur. Bei diesen habe man Zugriff auf gigantische Sammlungen. Man könne sich anhören, worauf man Lust habe. Bei Simfy spiele die Musik fünf Stunden pro Monat kostenlos – wenn man zwischen den Songs Werbung in Kauf nehme. Abonniere man die Premium-Version für 7.50 Franken pro Monat, verstumme die Werbung. Und mit «Premium Plus» für 14.50 Franken kriege man die Musik auch aufs Smartphone. Ähnlich bei Spotify: Dort koste das kleine Abo 6.45, das grosse 12.95 Franken. Deshalb brauche er wirklich keine CDs mehr, würde er ausrufen. Dann herrschte betretenes Schweigen. Nur die Schenkerin schluchzte leise.

So weit soll es nicht kommen. Deshalb mimt der Webflaneur Überraschung und Freude, als er die CD ausgepackt hat. Auch in der digitalen Musikwelt, sagt er, gebe es nichts Besseres als eine handfeste CD mit schönem Booklet – und einem angemessenen Batzen für den Künstler.

If this than that

Webflaneur am Mittwoch, den 23. November 2011

Morgen regnet es. Das jedenfalls steht in der E-Mail, die soeben eingetroffen ist. Der Webflaneur steht auf, geht in den Gang und legt seinen Schirm bereit. Sie schaut verwundert von ihrer Lektüre auf. «Morgen werde ich gut vorbereitet von dannen ziehen», sagt der Webflaneur. Die herbstlichen Schauer würden ihn nicht kalt erwischen – dank des Warnsystems, das er soeben «programmiert» habe. «Welches Warnsystem?», fragt sie. «Mein Regenwarnsystem», antwortet der Webflaneur: «Wenn der Internetwetterdienst Regen prognostiziert, erhalte ich eine E-Mail.» Sehr praktisch, findet er. Und für einmal pflichtet sie ihm bei. Einen Augenblick lang hat der Webflaneur sogar das Gefühl, sie werfe ihm einen bewundernden Blick zu. Diesen nimmt er gerne entgegen. Obwohl er weiss: Das mit dem Programmieren ist relativ.

Programmcode hat er nämlich keinen geschrieben. Er hat sich seinen Wetterwarnservice vielmehr mit «If this than that» beziehungsweise kurz Ifttt.com machen lassen. Damit können zwei Webdienste gekoppelt werden. Konkret: Meldet der Wetterdienst Regen, wird eine E-Mail verschickt. Wird man auf einem Foto auf Facebook markiert, legt der Dienst eine Kopie des Bildes auf dem eigenen Dropbox-Speicher ab. Oder: Sinkt der Aktienkurs einer Firma unter einen bestimmten Wert, wird man darauf aufmerksam gemacht. Es gibt Tausende weitere Möglichkeiten, wie zwei Webdienste verbunden werden können. Koppeln ist einfach: Entweder klickt man sich das Gewünschte selber zusammen. Oder aber: Man übernimmt ein sogenanntes «Rezept» eines anderen Nutzers.

So hat es der Webflaneur bei der Regenwarnung gemacht. Er hätte wohl keinen bewundernden Blick geerntet, wenn sie gewusst hätte, wie einfach das geht. Und überhaupt hätte er nicht mit seinen «Programmier»-Kenntnissen geprahlt, hätte er gewusst, dass es am nächsten Tag dann doch nicht regnete.