Tour Eiffel pour Maman

Webflaneur am Freitag, den 1. März 2013

Jetzt, so vermutet der Webflaneur, jetzt dürfte sich Mutter wohl die Augen reiben. Weshalb? Nun, vor wenigen Stunden war er noch bei ihr. Im Filmchen aber, das er ihr jetzt gerade geschickt hat, steht er bereits vor dem hell beleuchteten Eiffelturm. «Bonsoir Maman», ruft er in dieser Aufzeichnung. «Magnifique», sei es hier à Paris. Die Stadt sei immer eine Reise wert. Auch eine ganz spontane. «Insbesondere, seit sie so nahe liegt», fügt der Webflaneur im Filmchen noch an. Und lächelt dabei schelmisch.

Damit spielt der Webflaneur nicht auf eine neue TGV-Verbindung an. Sondern darauf, dass er getrickst hat: Er ist gar nicht in Paris. Gedreht hat er das Video stattdessen im Flur der eigenen Wohnung. Dort positionierte er das Stativ. Er montierte die Kamera darauf. Er hängte ein knallgrünes Tuch an die Wand. Er leuchtete dieses mit einer stattlichen Anzahl Lampen sauber aus. Und dann zeichnete er vor dem knallgrünen Hintergrund den Gruss an Maman auf.

Schliesslich setzte er sich an den Computer, um den Eiffelturm in die eigene Wohnung zu holen. Zuerst suchte er eine passende Standaufnahme des Monuments. Dann öffnete er das frei verfügbare Videoprogramm Openshot; vermutlich hätte er auch ein anderes Videoschnittprogramm nehmen können. Er legte den Gruss an Maman auf die eine Spur. Auf einer zweiten platzierte er den Clip mit dem Eiffelturm. Er zog den Effekt «farbbasierte Freistellung» aufs eigene Video und wählte mit der virtuellen Pipette das Knallgrün des Tuchs an. Zufrieden lehnte er sich dann zurück und liess den Computer rechnen.

Einige Tage später: Die Mutter schmunzelt. «Nach einem ersten Erstaunen bin ich dir rasch auf die Schliche gekommen», sagt sie. Die Ränder um den Kopf seien nicht ganz sauber gewesen. Etwas brennt ihr aber noch auf der Zunge. «Der Bundeshauskorrespondent in der ‹Tagesschau›», beginnt sie. Der Webflaneur winkt grinsend ab. «Nein, der steht in Wahrheit auch nicht auf dem Dach des Café Fédéral.»

Entweder – oder

Webflaneur am Dienstag, den 12. Februar 2013

Der Webflaneur schaut sie tadelnd an. «Das ist unfair», sagt er mit strenger Stimme. Und vermutlich eine Spur zu laut. Jedenfalls zuckt die Kollegin ziemlich zusammen. «Was ist in dich gefahren?», fragt sie. Und: «Was ist unfair?» Der Webflaneur formuliert es nun etwas diplomatischer. Er persönlich finde es nicht ganz korrekt, sagt er, wenn man sich im Fachgeschäft ausführlich beraten lasse, sich anschliessend etwas Bedenkzeit ausbedinge und das Produkt schliesslich online bestelle. «Für mich gilt: Entweder lasse ich mich beraten. Oder ich informiere mich selbst und kaufe günstig online ein.»

So einfach sei dies nicht, kontert die Shopperin. «Ich hätte dem Schnüggu im Fachgeschäft gerne etwas abgekauft», behauptet sie. «Ich hätte auch einige Franken mehr auf den Tisch gelegt.» Schliesslich sei die Beratung gut gewesen, und sie hätte das Produkt gleich mit nach Hause nehmen können. «Es ging aber nicht um einige Franken, sondern um ein Fünftel des Preises.»

Die Shopperin und der Webflaneur diskutieren noch geraume Zeit darüber, wie man sich korrekt verhält. Und sie erörtern, wie man beim Online-Einkauf vorgeht. Er lasse sich von Freunden beraten, sagt der Webflaneur, lese Zeitschriften, studiere Testberichte, klicke Bewertungen durch. Schliesslich suche er auf Websites wie Toppreise den günstigsten Anbieter. Apropos, fügt er an: Soeben habe eine Schweizer Firma ein neues Portal online geschaltet: Auf Pricebook kann man Preise vergleichen, Testberichte studieren, Kommentare lesen. Integriert ist zudem ein soziales Netzwerk: Man kann etwa anderen Nutzern folgen und diese bei Bedarf kontaktieren. Und man kann Wunschlisten hinterlegen.

«Dank solchen Websites brauche ich gar keine Beratung im Fachgeschäft mehr», sagt der Webflaneur. Doch da guckt ihn die Kollegin Shopperin gespielt entrüstet an. Und sie ruft: «Und was passiert mit dem Schnüggu im Fachgeschäft?»

Mega!

Webflaneur am Dienstag, den 29. Januar 2013

Der Webflaneur traut seinen Augen kaum. «50 Gigabyte», stammelt er. Um sich zu versichern, liest er die Meldung gleich nochmals. Tatsächlich: 50 Gigabyte Speicher kriegt, wer Mega nutzt – gratis und franko. Oder anders gesagt: Bei Mega profitiert man von sieben oder noch mehr mal mehr Speicher als bei der Konkurrenz. Microsoft etwa stellt auf Skydrive derzeit 7 Gigabyte gratis zur Verfügung. Bei Googles Drive und Canonicals Ubuntu One sind es je 5, und bei Dropbox abhängig von der Anzahl erfolgreicher Empfehlungen 2 bis 18 Gigabyte.

Der Webflaneur hat auch schon eine Idee, wozu er den Speichersegen nutzen könnte. Nein, er gedenkt keine raubkopierten Filme zu tauschen, und er besitzt auch keine ausufernde Musiksammlung. Aber er braucht Speicher für die Fotos, die er mit der neuen Kamera macht, für all die Bilder, die er aus der analogen in die digitale Zeit rettet, sowie für Videos, die er bei Festen und während der Ferien dreht. All diese für ihn wertvollen Erinnerungen möchte er in zweifacher Ausführung haben: auf seiner Festplatte und in der Datenwolke. Da kommt ein Angebot wie jenes von Mega recht.

Der Webflaneur widersteht diesem trotzdem. Denn er weiss um die Geschichte: Mega ist das Nachfolgeprojekt von Megaupload. Lanciert wurde es exakt ein Jahr, nachdem die Polizei das Anwesen des Gründers Kim Schmitz alias Kim Dotcom in Neuseeland gestürmt und die Server, über die offenbar besonders viele Raubkopien getauscht worden waren, konfisziert hatte. Noch ziehen sich die Untersuchungen gegen Kim Dotcom hin, der mit seinem Onlineimperium schnell sehr reich geworden ist. Wie zur Provokation hat dieser nun eine Nachfolge-Site lanciert. Dabei macht er einiges besser als beim ersten Mal.

Dem Webflaneur ist das Angebot trotzdem suspekt. Für seine Fotos wünscht er sich einen sichereren Hafen als jenen von Kim Dotcom. Und für einen solchen ist er auch bereit, einige Franken auszugeben.

Der neue Computer

Webflaneur am Dienstag, den 15. Januar 2013

Sie hat neulich ein Notebook gekauft. Zu Beginn freute sie sich übers neue schnuckelige Gerät sowie den attraktiven Preis. Aber nicht lange. Denn plötzlich wurde der Bildschirm schwarz. Zwar strahlte er sie nach einem Neustart wieder an, als wäre nichts gewesen. Aber nur kurz: bis zum nächsten Blackout. Enerviert stürmte sie daraufhin das Verkaufsgeschäft. Und konsterniert kam sie wieder heraus. Natürlich stottere die Maschine, hatte ihr der Verkäufer beschieden – bei all den Programmen, die sie darauf installiert habe. Er tadelte sie: Nächstes Mal lasse sie diese besser vom Fachmann installieren, wie ihr das beim Kauf geraten worden sei. Und er bot an, das Problem zu beheben – für 340 Franken.

So erzählt es die Kollegin dem Webflaneur. Sie klagt: Sie werde das Gerät wohl doch flicken lassen müssen. Ob er einen Blick darauf werfen dürfe, fragt der Webflaneur. «Klar», sagt sie, holt das Notebook und startet es.

Nun staunt auch der Webflaneur über die vielen Programme. Aber nicht über die paar wenigen, die seine Kollegin installiert hat. Sondern über all jene, die bereits vorinstalliert waren: Da breitet zum einen Microsoft das eigene Sortiment aus. So liegt etwa eine wenig nützliche Testversion von Office bereit, die einen nach kurzer Zeit bereits zur Kasse lotst. Weitaus mühsamer findet der Webflaneur die übrigen Zugaben: die auf dem Desktop abgelegten Games etwa, den daneben platzierten Direktlink zum Versandhändler oder die Toolbar im Browser. «Ein hoher Haufen Schrott», kommentiert er, während er ein Programm nach dem anderen vom PC kickt. «Crapware» nenne man solche Zugaben: Die Firmen bezahlten den Händler dafür, dass dieser ihre Produkte prominent platziert.

Eine halbe Stunde dauert es, bis der Webflaneur die Zugaben weggeputzt hat. Als besonders resistent erweist sich dabei das Antivirenprogramm. Dieses lässt sich nur mit einem Programm deinstallieren, das von der Website der Sicherheitsfirma heruntergeladen werden muss. Doch der Aufwand lohnt sich. Denn offenbar war der Virenscanner verantwortlich für die Blackouts. Jetzt läuft ein anderer. Einer, der nicht vorinstalliert war. Ein kostenloser.

Surfen in Windeseile

Webflaneur am Dienstag, den 4. Dezember 2012

Er zeige es ihm rasch, sagt der Kollege Webdesigner. Und während er sich an den Computer setzt, fügt er hinzu: «Du wirst staunen.» Tatsächlich staunt der Webflaneur, als er dem Kollegen über die Schulter guckt – aber nicht über das, was dieser ihm zeigt, sondern darüber, wie er es tut: In Windeseile surft er vom einen Webdienst zum anderen und wieder zurück – dank einer Startseite in seinem Browser, auf der oft benutzte Websites fein säuberlich verlinkt sind. «Einmalig eine Stunde Handarbeit erspart mir täglich viel Zeit», sagt der Kollege, als der Webflaneur ihn auf die ungewöhnliche Startseite anspricht. Das leuchtet ein. Irgendwann, so beschliesst der Webflaneur, wird er auch eine Linksammlung bauen.

Gut, dass er das noch nicht angepackt hat. Denn mittlerweile geht es einfacher: Bei Foox.net liegen die Symbole der wichtigsten Schweizer Websites bereits auf einer Webseite bereit – in der Form von kleinen Knöpfen, wie man sie vom Smartphone her kennt. Die Startseite lässt sich einfach personalisieren: Mit einem Klick kickt der Webflaneur ein unpassendes Symbol ab der Seite. Und fast ebenso schnell fügt er ein anderes hinzu. Dann ordnet er die Symbole mit der Maus nach eigenem Gutdünken an. Er legt fest, welche Grundfarbe die Seitenelemente haben und welches Bild den Hintergrund ziert. Schliesslich trägt er Foox.net unter «Einstellungen» als Startseite seines Webbrowsers ein.

Dank der personalisierten Startseite surft nun auch er in Windeseile vom einen Webdienst zum anderen und wieder zurück. Keine fünf Minuten hat ihn die Vorbereitung gekostet. Und keinen Rappen. Das könnte sich indes ändern: Irgendwann soll der Dienst des Schweizer Start-ups Foox.net bloss kostenlos genutzt werden können, wenn man ihn drei Personen empfiehlt. Dies zumindest hat der Webflaneur hiermit erledigt.

Begrenzte Möglichkeiten

Webflaneur am Dienstag, den 20. November 2012

Dieser Preis ist völlig überrissen, ereifert sich der Webflaneur. «200 Franken!», ruft er aus. So viel hätte ihn das Navigationsgerät beim Autovermieter gekostet. «Zum Kauf?», fragte der Freund vis-à-vis. «Zur Miete während der 14-tägigen Fahrt durch die USA», sagt der Webflaneur. «So etwas ist zum Davonlaufen.»

Der Freund pflichtet ihm bei. Er habe sich anders beholfen: Kurzerhand habe er die App eines bekannten Herstellers von Navigationsgeräten gekauft. «Seither navigiere ich mit dem Smartphone.» Genau das habe er sich auch überlegt, sagt der Webflaneur. Schliesslich habe er sich aber für die Low-Cost-Variante entschieden: Auf seinem Android-Smartphone habe er die Apps OSMand und Navigator installiert. Beide sind kostenlos. Und bei beiden kann man – auch ohne Internetzugang – die Daten von Openstreetmap nutzen, der Wikipedia der Landkarten.

«Das bewährt sich?», fragt der Freund. «Ja», sagt der Webflaneur. Man müsse eine Spur wachsamer sein als bei kommerziellen Navis. Ein, zwei Einbahnen seien falsch erfasst gewesen, wie er auf der Reise festgestellt habe. Und die eine App habe manchmal einen Schlenker vorgeschlagen. «Wir sind aber fast immer direkt ans Ziel gekommen.»

Der Webflaneur spricht gleich weiter; wenns es um Karten geht, ist er kaum zu bremsen. Es gebe bei Openstreetmap einen Unterschied zwischen Europa und den USA, doziert er. In Europa sind die meisten Strassen von Freiwilligen erfasst worden. In den USA hingegen durfte ein nationales Register importiert werden. «Entsprechend ist das Wegnetz fast komplett. Da es aber weniger Freiwillige gibt, fehlen viele Points of Interest: Monumente, Cafés, Hotels.»

Das soll sich nun ändern, liest der Webflaneur wenige Tage nach dem Gespräch mit dem Freund: Am nächsten Wochenende werden Freiwillige in der «Operation Cowboy» anhand von Luftfotos Fehlendes in der US-Karte nachtragen. Der Webflaneur wird sich nicht beteiligen, denn er hat am Wochenende andere Pläne. Seinen Beitrag hat er bereits auf der Reise geleistet: Er hat gute Cafés und Restaurants kartografiert – als Dank dafür, dass er kein überteuertes Navi mieten musste.

Die Nachtübung

Webflaneur am Mittwoch, den 7. November 2012

Der Webflaneur ist am Anschlag. Denn sein Computer ist es auch: Dieser rechnet und rechnet – so intensiv, dass er zu nichts anderem mehr zu gebrauchen ist. Bis er auf Eingaben reagiert, vergehen Sekunden, manchmal Minuten. Dabei möchte der Webflaneur doch bloss ein bisschen mit seinen Ferienfotos experimentieren, sie ordnen und einzelne davon leicht bearbeiten.

Das Problem: Sein Notebook ist alt. Die Kamera aber, mit der er die Fotos gemacht hat, ist neu. Ihr Sensor vermag ganz viele Punkte einzufangen. So viele, dass die Dateien stattlich gross werden und das Notebook unter der Datenlast ächzt.

Ja, er hätte sich dies früher überlegen und die Fotos in tieferer Auflösung machen können. Er hätte, wenn ein Sujet besonders stimmig war, temporär die Auflösung hochschrauben können. Doch das war ihm zu umständlich. Und er fürchtete, plötzlich gute Fotos in tiefer Auflösung zu haben – sodass er daraus kein Poster oder keine Tapete fabrizieren könnte.

Der Computer rechnet und rechnet. So könne es nicht weitergehen, sagt sich der Webflaneur. Sein Plan: Er archiviert die Fotos zuerst auf einer externen Festplatte. Kopien dieser Bilder speichert er anschliessend auf dem Notebook ab. Diese lässt er dann in einem Rutsch so weit verkleinern, dass er damit fortan zügig arbeiten kann. Sollte er irgendwann doch ein Poster oder eine Fototapete drucken lassen wollen, könnte er immer noch auf die Originale zurückgreifen.
Spät am Abend macht sich der Webflaneur ans Werk. Er lädt ein Programm, das massenweise Fotos bearbeiten kann – etwa XnView oder ImageMagick, die für alle gängigen Betriebssysteme erhältlich sind. Über Nacht lässt er den Computer die Fotos herunterrechnen. Am Morgen dann ist der Webflaneur ausgeruht. Und auch sein Notebook läuft nicht mehr am Anschlag.

Korrupte Platte

Webflaneur am Donnerstag, den 25. Oktober 2012

Der Kollege Lehrer ist verzweifelt. «Auf jener Festplatte», sagt er und zeigt auf ein kleines Kästchen, das vor ihm auf dem Tisch liegt, «auf jener Festplatte liegt, was ich in jahrelanger Arbeit geschaffen habe». Er erzählt von aufwendig gestalteten Arbeitsblättern, von detailliert nachgeführten Tabellen und Fotogalerien, in denen er Schulprojekte und Familienausflüge dokumentiert hat. «Es ist eine Tragödie, wenn das alles weg ist», raunt er und rauft sich die spärlich gewordenen Haare.

«Ganz ruhig», sagt der Webflaneur. Und er fragt, was genau passiert sei. «Keine Ahnung», sagt der Lehrer. Neulich habe er die Festplatte, die er sicher im Schrank aufbewahre, wieder mal an seinen Computer angeschlossen. Doch kein Fenster habe sich geöffnet, kein neues Laufwerk sei eingebunden worden. «Zeig mal her», sagt der Webflaneur. Er ergreift die Platte und holt dann das eigene Notebook aus dem Rucksack. Erklärend fügt er hinzu: Er probiere die Platte mal an einem anderen PC aus. Doch auch bei ihm tut sich nichts. «Die Harddisk ist tatsächlich defekt», sagt er. «Das darf doch nicht wahr sein!», ruft der Lehrer aus. Bevor er sein Klagelied anstimmen kann, sagt der Webflaneur: «Meist kann man die Daten aber retten.»

So einfach gehts leider nicht, wie der Webflaneur zu Hause feststellen muss. Er googelt viel. Er probiert jeden erdenklichen Weg aus. Schon will er die Rettungsaktion abbrechen – da gelingt sie doch noch. Geholfen hat in diesem speziellen Fall Folgendes: Der Webflaneur hat den Inhalt der Platte mit dem Linux-Klonprogramm Ddrescue auf eine funktionierende Festplatte gespiegelt. Dieses kann bei Bedarf auch ab einer Live CD wie dem Ubuntu Rescue Remix gestartet werden. Anschliessend hat er die Kopie mit dem Programm Testdisk vergeblich zu flicken versucht. Deshalb hat er das Programm Photorec zu Hilfe genommen. Dieses hat eine Nacht durchgerechnet. Am Morgen lagen die Dateien fein säuberlich auf der Platte, zwar unter neuen, kryptischen Namen, aber immerhin.

Grosse Töne

Webflaneur am Dienstag, den 9. Oktober 2012

Bei der Musik mache er keine Kompromisse, sagt der Musikfreund. «In der virtuellen Jukebox muss Ordnung herrschen.» Er macht eine bedeutungsschwere Pause, ergreift das Rotweinglas, nippt daran. Der Webflaneur, der ihm gegenübersitzt, runzelt die Stirn. Darin herrsche automatisch Ordnung, argumentiert er – dank der Metadaten, die in jedem gekauften Musikstück enthalten sind und die in fast jedes selbst eingelesene Stück automatisch hineingeschrieben werden.

Der Musikfreund winkt mit einer ausladenden Handbewegung ab. «Diese sind unbrauchbar», behauptet er. Der Webflaneur kontert: Immerhin stünden der Interpret und der Titel darin. «Damit hats sich auch schon», sagt der Musikfreund. Und er ereifert sich: «Guck dir die undifferenzierten Genrebezeichnungen an! Oder schau mal nach, ob nebst dem Interpreten der Komponist vermerkt ist. Ohne diese wertvollen Infos stellt man keine gute Playlist zusammen.»

«Du spuckst grosse Töne», sagt der Webflaneur. Die Sammlung zu verschlagworten, sei eine epische Übung. «Diese erspare ich mir lieber – und höre derweil in Ruhe Musik.» – «Papperlapapp», sagt sein Gegenüber. Wenn man die richtige Software habe, sei dies im Nu erledigt – mit MP3tag etwa, Easytag oder Puddletag. Der Musikfreund lässt den Rotwein im Glas kreisen. Derweil zückt der Webflaneur sein Notebook und installiert eines der Programme. Dieses liest seine Musikdateien ein und stellt die Metadaten übersichtlich in einer Tabelle dar. Nun könnte der Webflaneur fehlende Beschriftungen einfügen oder bestehende abändern – auf Wunsch bei mehreren Einträgen gleichzeitig. Um den Musikfreund nicht warten zu lassen, probiert er es bloss bei einem aus.

Der Musikfreund wirft beiläufig einen Blick auf den Bildschirm – und verschüttet vor Schreck fast den Wein. Er zeigt auf die Spalte, in der die Bitraten seiner Musikdateien angegeben werden. «Das muss grauenhaft klingen», ruft er aus. «Die Rate muss mindestens doppelt so hoch sein.» – «Dazu reicht der Festplatten-Platz leider nicht», sagt der Webflaneur. «Aber ich weiss: Bei der Musik machst du keine Kompromisse.»

C64

Webflaneur am Dienstag, den 25. September 2012

Was man mit diesem «Brotkasten» denn anstellen konnte, fragt die Kollegin. «Brotkasten» klinge etwas despektierlich für einen Computer, der Geschichte geschrieben hat, weist der Webflaneur sie zurecht. Dann erzählt er: Auf dem Commodore C64, der vor 30 Jahren in den Handel kam, habe man vorab gespielt. Und man habe beim Abtippen ellenlanger Listenings aus Magazinen erste Programmiererfahrungen gesammelt. Selbstverständlich habe es auch «seriöse» Software gegeben: Textverarbeitungen etwa und Tabellenkalkulationen. Allmählich wird der Webflaneur sentimental: Er beschreibt das Gerät in der Ludothek, bei dem die vereinbarte Spielzeit nach dem Laden der Software vom Kassettengerät – der Datasette – schon fast abgelaufen war. Und er berichtet von schulfreien Nachmittagen, während denen seine Freunde und er sich als pixlige Olympioniken versucht haben. Einen eigenen C64 habe er leider nie besessen; sein Vater bevorzugte einen PC von IBM. Etwas neidisch auf die günstigeren Geräte der Freunde sei er aber gewesen: wegen der grafischen Games und der avantgardistischen Musik. «Die IBM-Kiste hingegen konnte nur piepsen.»

Wie die C64-Games ausgesehen hätten, fragt die Kollegin. «Ich zeige es dir», sagt der Webflaneur und schreitet zum Rucksack. «Scherzkeks», ruft sie, «du hast keinen dabei». Nein, sagt er. Aber einen normalen Computer. Es gebe Emulatoren, mit denen die alten Programme noch heute abgespult werden könnten: Vice etwa oder Frodo und CCS64. Wer einen solchen zum Laufen bringe, könne – Basteltalent vorausgesetzt – sogar das alte Zubehör ansteuern. «Die Datasette?», fragt sie. «Genau», sagt er. Wer aber bloss C64-Luft schnuppern wolle, probiere besser Nachbildungen aus. Er startet einige Games auf Websites wie C64x.de und C64s.com. Später programmieren die zwei noch ein bisschen in Basic. Und der Webflaneur fühlt sich nochmals ganz schön jung.