Viel zu schwach

Webflaneur am Dienstag, den 10. September 2013

Am liebsten arbeitet der Webflaneur auf der Terrasse seiner Wohnung. Doch leider gibt es ein kleines Problem: Er hat dort bloss eine unzuverlässige Internetverbindung. Zwar klinkt sich sein Notebook ab und zu ins heimische Funknetzwerk ein. Doch an flüssiges Surfen ist nicht zu denken, denn der Empfang ist schlecht. Immer wieder bricht die Verbindung sogar ganz ab.

«Probleme sind zum Lösen da», sagt sich der Webflaneur. Er versucht den WLAN-Router besser zu platzieren. Doch leider gibt es bloss einen Anschluss in seiner Wohnung, wo er ihn einstecken kann. Und die Inneneinrichtungsautorität des Haushalts macht ihm klar: Ein Netzwerkkabel durch die halbe Wohnung zu ziehen, ist aus optischen Gründen keine anzustrebende Lösung. So versucht der Webflaneur, den Router anders auszurichten. Doch wie er ihn auch dreht und wendet – das Signal draussen bleibt schwach.

Der Webflaneur hat eine weitere Idee: Er möchte das Netzwerk im Zimmer, das an die Terrasse grenzt, verstärken. Er steigt auf den Estrich und kommt bald darauf mit zwei ausgedienten Routern zurück. Einer davon, so hofft er, werde sich flugs zum Repeater umrüsten lassen. Der Webflaneur tüftelt lange an diesem Abend. Das Problem: Sein neuer Router beherrscht jenes Zusammenarbeitsprotokoll nicht, das früher weit verbreitet war. (Es sei unzuverlässig und unsicher, schreibt der Hersteller.) Mit der modernen Möglichkeit, die zwei Router zu einem Netzwerk verbinden soll, können wiederum die alten Geräte nichts anfangen. Oder aber: Der Webflaneur ist dieser Aufgabe einfach nicht gewachsen.

Schliesslich sucht er nach Updates für die beiden älteren Geräte. Doch er findet keine. Offenbar verkaufen die Hersteller  lieber neue Router, als dass sie für alte Updates mit einer verständlichen Benutzeroberfläche nachreichen, moniert er. Zumindest dies funktioniert: Spät am Abend schmeisst der Webflaneur entnervt den Bettel hin – und bestellt einen Repeater.

Die grosse Party

Webflaneur am Sonntag, den 18. August 2013

Feste solle man feiern, wie sie fallen, insistiert der Volksmund. Der Webflaneur gibt klein bei. Er sieht ein: Dieses Jahr, in dem der Geburtstag auf einen Samstag fällt, ist wohl wirklich ein Fest fällig. Und eigentlich festet er auch gerne. Was ihm aber stinkt, ist die Organisiererei. Zu gut erinnert er sich noch daran, wie sich bei früheren Festen einige liebe Lieben erst nach mehrmaliger  Nachfrage zu Zu- oder Absagen bewegen liessen, wenn überhaupt. Ein Griff zum Telefonhörer oder zum Füllfederhalter – das sei wohl schlicht zu viel verlangt, sinniert der Webflaneur. Vielleicht müsste man die Anmeldeprozedur vereinfachen. Wie wäre es mit einer Anmeldung per Internet? Die Geladenen brauchten lediglich zu klicken – und schon stünden sie auf der Gästeliste. 

Ganz begeistert von der Idee macht sich der Webflaneur auf die Suche nach dem passenden Onlinepartyplaner. Soll er es mit dem Klassiker Evite versuchen? Dieser ist zwar kostenlos, dafür aber stark mit Werbung  befrachtet. Er probiert das auf  grosse Partys, Konzerte und Theater spezialisierte Angebot von  Amiando aus. Auch Anyvite und Crush3r gefallen ihm gut. Trotzdem surft er weiter, schaut bei Enclude, Events.live, Invitastic und Mypunchbowl vorbei und wirft einen Blick auf Pingg, Purpletrail, Sendomatic, Socializr und Zoji. Doch schliesslich entscheidet er sich gegen all diese Websites. Weshalb sollte er sich auf einer weiteren Plattform einschreiben, wenn es bei Facebook, wo längst die meisten seiner Freunde herumhängen, einen Partyplaner gibt? 

Der Webflaneur macht sich an die Arbeit: Er loggt sich ein, klickt auf «Veranstaltungen» und erstellt eine neue. Er tippt den Titel und die Beschreibung ein, kauft sich in einer Fotobörse für wenige Franken ein passendes Bild, klickt sich aus seinen Facebook-Freunden jene zusammen, die er auch tatsächlich näher kennt und schickt ihnen eine Einladung. 

Die ersten beiden Zusagen kamen postwendend. Doch dann tat sich lange nichts. Als die Gästeliste selbst nach Tagen noch fast leer war, wurde der Webflaneur langsam nervös. Er tröstete sich damit, dass sich zumindest einzelne Noch-nicht-Facebook-Freunde gemeldet hatten, bei denen die Anmeldefunktion nicht richtig funktioniert hat. Erstaunt war er, wie sich einige Facebooker meldeten: per E-Mail und nicht auf der für alle sichtbaren Gästeliste. Und so war es schliesslich wie eh und je: Statt einer schönen Liste hatte der Webflaneur deren drei: diejenige von Facebook, eine mit den E-Mail-Zusagen und eine neben dem Telefon. Doch egal, der Geburtstagsabend kam, und mit ihm kamen die Gäste. Feste soll man feiern, wie sie fallen. Und dem Webflaneur hat das Fest gefallen.

Streng geheimes Passwort

Webflaneur am Dienstag, den 13. August 2013

Nein, das würde er natürlich nicht tun, sagt der Webflaneur: «Ich drücke keinem Fremden einfach so den Hausschlüssel in die Hand.» Der Kollege antwortet: «In der virtuellen Welt tust dus aber.» Der Webflaneur kapiert nichts. «Wem habe ich den Hausschlüssel gegeben?», fragt er. Der Kollege sieht sich um. Dann raunt er ihm zu: «Google – und dem US-Geheimdienst.»

Erst nach weiteren Erklärungen begreift der Webflaneur, worauf er hinauswill: Wer ein Android- Smartphone hat, kann Backups der Geräteeinstellungen in der Datenwolke ablegen lassen. Das ist praktisch, lässt sich doch auf diese Weise das Smartphone etwa nach einem Update wieder in den aktuellen Zustand versetzen. Beim Backup werden standardmässig die Passwörter zu allen benutzten Wireless-Lan-Netzwerken gesichert. Diese werden vorgängig nicht verschlüsselt, wie ein US-Bürgerrechtler kürzlich moniert hat. «Heikel, ganz heikel», sagt der Kollege. Google vergleiche das WLAN-Passwort in einer Anleitung sogar selbst als «Schlüssel zur eigenen Wohnung», den man nicht jedermann geben solle. Der Geheimdienst könnte das Passwort anfordern, fährt der Kollege fort, um dann mitzulesen, was in seinem Netzwerk übermittelt wird.

«Du und deine Verschwörungsphantasien», stichelt der Webflaneur. Und er versucht den Kollegen zu beruhigen: Wer nichts zu verstecken habe, brauche auch nichts zu befürchten, sagt er etwa. Kein Agent werde nach Bern fliegen und sich vor seiner Wohnung auf eine Parkbank setzen, um belanglose E-Mails mitzulesen. Und eine systematische Überwachung sei auf diesem Weg nicht möglich. Der Kollege lässt sich nicht beruhigen. Kopfschüttelnd macht sich der Webflaneur schliesslich auf den Heimweg. Unterwegs deaktiviert er – nur so zur Sicherheit – die Backupfunktion. Und zu Hause setzt er flugs ein neues WLAN-Passwort.

Van Gogh vor der Linse

Webflaneur am Dienstag, den 16. Juli 2013
Sämann von Vincent Van Gogh. Selbst geknipst. Bloss zum Schauen, wie sich das anfühlt.

Sämann von Vincent Van Gogh. Selbst geknipst. Bloss zum Schauen, wie sich das anfühlt.

Der Webflaneur steht mitten im Van-Gogh-Museum in Amsterdam. Und er staunt. Allerdings nicht über die Kunstwerke – weder über Van Goghs Experimente mit vielfältigen Techniken und Materialien noch über die Gemälde mit den Sonnenblumenfeldern, mit dem gelben Haus in Arles oder über die Selbstporträts. Nein, er bestaunt einige Museumsbesucher. Diese scheinen keine Augen für die Kunst zu haben – sondern eine Linse: Die Kamera im Anschlag eilen sie von Gemälde zu Gemälde. Bei jedem machen sie kurz halt, drücken ab. Schon hasten sie weiter.

Kunst zu knipsen sei zum Volkssport geworden, sinniert der Webflaneur. Dominiert wird dieser von Männern. Entgegen allen Vorurteilen sind es aber längst nicht mehr nur die Asiaten, die auf ihren Sightseeingmarathons die Kamera zu Hilfe nehmen, sondern Leute aus aller Herren Länder. Was sie wohl mit all den Fotos der Gemälde anstellen, fragt er sich. Und er malt sich aus: An trüben Herbst- und Wintertagen zaubern sie die Fotos auf den Bildschirm. Dann studieren sie eingehend das noch so kleinste Detail. Sie zoomen tief ins Bild hinein, um zu sehen, wie Van Gogh die Pinsel an- und die Farben eingesetzt hat, wo er welche Struktur gelegt und wo er was weggekratzt hat. Schliesslich schreiben sie jedes Werk an, recherchieren dessen Geschichte, erstellen umfassende Onlinedokumentationen.

Schon wieder hastet ein Tourist mit der Kamera im Anschlag vorbei. Der Webflaneur betrachtet ihn genau. Und da kommen bei ihm Zweifel auf, ob der Kunstknipser überhaupt je etwas mit den Fotos anstellen wird. Sammelt er nicht einfach Trophäen? Und falls ja: Wäre es nicht ehrlicher, vor dem Gemälde zu posieren – so wie es einige der Besucherinnen mit Vorliebe tun? Mit den Fotos belegen sie alle, dass sie im Van-Gogh-Museum gewesen sind. Mehr noch: Sie versuchen damit zu zeigen, dass sie sich für Kunst interessieren, dass sie – im wahrsten Sinne des Wortes – im Bild sind.

Kleinkariert sei das, murmelt der Webflaneur. Der halben Welt kundtun zu müssen, dass man in Amsterdam das Van-Gogh-Museum besucht habe – das habe er nicht nötig.

Selbstentfesselung

Webflaneur am Dienstag, den 21. Mai 2013

Heute Nacht wird er die Ketten endlich sprengen. Heute wird der Webflaneur jene Texte, Bilder und Dateien befreien, die er während langer Jahre bei einem kommerziellen Bloganbieter gesammelt, gehegt und gepflegt hat. Denn er weiss: Kriegt er die Daten nicht heraus, bevor das Abo ausläuft, könnten sie für immer verloren sein.

Es sei unmöglich, wettert der Webflaneur: Da bezahle man jahrein, jahraus für ein Angebot. Und am Schluss habe man nichts als Scherereien. Er weiss, wovon er spricht: Mehrmals hat er dem Anbieter geschrieben und ihn um einen Export gebeten. Dieser versprach zwar, zumindest die Datenbank zu liefern. Trotz einiger Nachfragen ist bislang noch nichts eingetroffen.

Zuerst plante der Webflaneur jeden Artikel einzeln aufzurufen und die Daten mitsamt allen Bildern und verlinkten Dateien von Hand zu kopieren. Doch das hätte ihn Tage gekostet. Deshalb bläst er nun zum Datenbefreiungsfeldzug mit brachialer Gewalt. Er installiert das kleine Hilfsprogramm Httrack. Dieses setzt er auf die eigenen Daten an: Das Programm soll eine Webseite nach der anderen aufrufen und auf seinem Computer abspeichern. Dabei soll es auch gleich die Bilder herunterladen, die sich in den Artikeln befinden, sowie alle intern verlinkten Dateien. Damit die vielen Zugriffe nicht den Server ausbremsen, soll das Programm dabei behutsam vorgehen. Nachdem der Webflaneur lange gepröbelt hat, startet er nun die Aktion. Er lässt den Computer eine Nacht lang durcharbeiten. Und am Morgen findet er tatsächlich einen Grossteil der eigenen Daten auf dem Computer wieder – nebst ziemlich viel Datenmüll.

Zugegeben: Elegant ist diese Selbstbefreiungsaktion nicht. Aber nicht jedermann ist halt ein Harry Houdini.

Freier Fotograf

Webflaneur am Dienstag, den 7. Mai 2013

Was er schon wieder am Smartphone herumnestle, fragt die Kollegin, als sie von der Theke zurückkommt. Sie stellt die beiden Kaffeetassen auf den Tisch und setzt sich wieder. Der Webflaneur legt sein Smartphone beiseite. In der Wikipedia habe es noch kein Bild von diesem wunderschönen, historischen Café gegeben, antwortet er. Deshalb habe er das Foto, das er vorher gemacht habe, kurzerhand in die entsprechende Mediendatenbank hochgeladen: zu Wikimedia Commons. Bis vor kurzem sei ein solches Unterfangen aufwendig gewesen, doziert er: Man musste sich am Computer einloggen, die Fotodatei auswählen, sie mit kryptischen Tags verschlagworten, die richtige Lizenz auswählen. Nun aber hätten die Wikipedia-Macher eine Smartphone-App für Android und für iOS-Geräte veröffentlicht. «Mit dieser ist das alles im Nu erledigt.»

Ob er ihr zeigen könne, wie das funktioniere, fragt die Kollegin und nimmt einen Schluck Kaffee. Der Webflaneur lässt sich nicht zweimal bitten. Er ergreift das Smartphone und setzt zur Demonstration an: Er startet die App, drapiert seine Kaffeetasse, macht ein Foto davon. «Eine grosse Tasse Kaffee», schreibt er ins Titelfeld. Und er verfasst eine kurze Beschreibung. Dann wählt er einige Stichworte aus. «Jetzt muss ich nur noch speichern – und schon können die Wikipedia-Autoren das Bild in ihre Artikel einbinden.»

Die Kollegin, die soeben den letzten Schluck ihres Cappuccinos getrunken hat, hebt warnend die Hand. «Warte noch», sagt sie. Der Titel sei nicht ganz korrekt und sollte unbedingt noch angepasst werden. «Viel besser wäre: Eine grosse Tasse mit kaltem Kaffee.»

Digitales Testament

Webflaneur am Dienstag, den 23. April 2013

Sanft streichelt der Webflaneur über die Ornamente des Ledereinbands. Er wiegt das Büchlein in der Hand. Dann öffnet er das metallene Schlösschen. Sachte schlägt er die erste Seite auf. Ein Mann im Sonntagsgewand blickt ihn ernst an. Der Webflaneur nickt ihm freundlich zu. «Ururgrossonkel?», fragt er. Andächtig blättert er weiter durchs alte kleine Album mit den aufwendig gemachten Fotografien adrett gekleideter, sorgfältig frisierter Menschen – seinen Ahnen.

Dabei gerät er ins Grübeln: Was passiert mit seinen Fotos, wenn er nicht mehr ist? Werden dereinst auch Verwandte in seinem Album blättern? Hoffentlich, findet er. Bloss: Niemand kennt das Passwort zu seinem Computer, und kaum jemand kann sich auf dem Netzwerkspeicher einloggen, auf dem seine Fotos liegen. Das werde er demnächst mal anpacken, beschliesst er.

Eine Vorkehrung trifft er aber sofort: Bei Google, wo er einen Teil seiner Fotos, diverse Statusmeldungen, GPS-Daten und einige Dokumente gespeichert hat, regelt er seinen digitalen Nachlass. Das ist neu ganz einfach möglich: Man wählt sich im eigenen Google-Konto ein und klickt an, was im Fall der Fälle mit den Daten geschehen soll. Nachdem er sich während eines halben Jahres nicht mehr eingeloggt hat, so bestimmt der Webflaneur, soll Google ihn zu kontaktieren versuchen. Misslingt dies, werden die Daten vererbt. Als Treuhänder setzt er einen Freund ein, der technisch versiert ist, gerne in Archiven stöbert und fast alles dokumentieren zu müssen glaubt. «Leider musste ich vorzeitig gehen», bereitet er die Nachricht vor, die irgendwann dem Freund zugestellt wird. «Als kleines Souvenir überlasse ich dir, was sich an Digitalem im Leben so angesammelt hat. Mach damit, was du für richtig hältst. Bitte bewahre aber auf, was für Ururgrossneffen von Interesse sein könnte. Eine letzte – wenn auch leider nicht mehr wirklich warme – Umarmung, dein Webflaneur.»

Heiliger Gral

Webflaneur am Dienstag, den 9. April 2013

Der Webflaneur lacht laut auf. Dann spricht er diesen Satz leise nochmals nach. Er lässt ihn ausklingen. «Grandios!», murmelt er. Poesie sei das, angereichert mit frechem Humor und viel Skurrilem.

Kurz zuvor: Der Webflaneur stolpert bei seiner spätabendlichen Lektüre über eine Meldung. Walt Disney schliesse die Lucasarts-Studios, steht darin. Im letzten Oktober habe der Konzern die Spielschmiede gekauft – zusammen mit dem Filmgeschäft von George Lucas, dem «Star Wars»-Produzenten. Nun aber sei ausgespielt: Den meisten Mitarbeitern sei gekündigt worden.

Dem Webflaneur wird ganz melancholisch zumute dabei. Nicht, weil er Mitarbeiter gekannt hätte, die einen anderen Job suchen müssen. Sondern weil einige Games von Lucasarts irgendwie zu seiner Kindheit, zu seinem Leben gehören: Mit Indiana Jones hat er sich sowohl auf die Suche nach dem Heiligen Gral als auch nach Atlantis gemacht. Und das in jeder freien Minute – immer dann, wenn er nicht Schule hatte und ihn Mutter und Vater nicht zum Draussenspielen, zu Aufgaben oder zum Geigeüben nötigten. Sein Bruder und er haben auch das Mädchen aus dem Maniac Mansion befreit, dem Haus des verrückten Prof.Dr.Fred. Und sie haben Sensationsreporter Zak McKracken begleitet, der auf Recherche über ein zweiköpfiges Eichhörnchen eine Verschwörung von Ausserirdischen aufdeckte.

Aus Melancholie installiert der Webflaneur sogleich Monkey Island auf dem Pad. Später im Bett spielt er die ersten Szenen durch. Dabei staunt er ob des skurrilen Humors der englischen Fassung. Nun lacht er laut auf. Bald darauf schläft er ein – und träumt von Pirateninseln und den guten alten Zeiten.

Das Löchersieb

Webflaneur am Dienstag, den 26. März 2013

Das werde er sich merken, sagt der Webflaneur. Sie kichert. «Mit diesem Löchersieb?», fragt sie und tippt ihm an die Stirn. Der Webflaneur ignoriert ihre Provokation. Stattdessen sagt er: «Ich notiere es mir einfach.» Und während er am Smartphone herumfingert, schiebt er nach: «Hier drin bewahre ich auf, was nicht vergessen gehen soll.» – «Evernote?», fragt sie? «Fast», antwortet er. Derzeit probiere er ein neues Angebot aus: Keep von Google, erhältlich seit letzter Woche in einer Android– und einer Webbrowserversion. Der Dienst sei einfacher gehalten als der Klassiker Evernote oder Onenote von Microsoft, funktioniere aber ähnlich: Man notiert, was man nicht vergessen soll. Auch Fotos lassen sich anhängen. «Und wie bei Evernote kann man auch Kurztexte diktieren», sagt er.

Das glaube sie ihm erst, wenn sies mit eigenen Augen gesehen habe, sagt sie. Und so probieren es die beiden aus: «Google Keep besitzt eine Diktierfunktion», diktiert der Webflaneur. «Mal schauen, ob sie funktioniert.» Sekunden später liefert die App das Transkript: «Google Cheat besitzt eine Diktierfunktion mal schauen ob sie funktioniert.» «Nicht schlecht», sagt der Webflaneur. «Mit dem eigenen Namen und der Interpunktion harzt es noch», moniert die Begleiterin. Nun wiederholen die beiden das Prozedere mit Evernote. Heraus kommt: «Auch immer Nord eine Diktierfunktion schauen ob sie funktioniert.»

Die automatische Transkription bei Google sei jedenfalls besser, als er es erwartet habe, zieht der Webflaneur ein Fazit. Wirklich brauchbar sei sie nicht, kritisiert seine Begleiterin. «Nun ist aber fertig gespielt», sagt sie. «Eigentlich wolltest du doch bloss einen Merkzettel erstellen.» – «Genau», sagt der Webflaneur und nimmt das Smartphone zur Hand. «Weisst du noch, was ich notieren wollte?»

Ade, Minidisc

Webflaneur am Donnerstag, den 14. März 2013

Er kniet am Boden, wühlt in einer Kartonkiste. Dass sie schon eine Weile in der Türe steht, nimmt er offenbar nicht wahr. Als sie ihn ruft, zuckt der Webflaneur jedenfalls zusammen. «Was ist los mit dir?», fragt sie besorgt. «Nichts», sagt er. Er sei in Gedanken bloss gerade weit weg gewesen: Ende der 1990er-Jahre in Westafrika. «Ein gigantisches Gewitter zieht auf», raunt er. «Und es bringt einen Platzregen, wie ich zuvor noch keinen erlebt habe.» Sie schaut ihn stirnrunzelnd an. «Und was hat das mit der Kartonkiste zu tun?», fragt sie. «Darin steckt eine akustische Erinnerung daran», sagt er und zieht eine Minidisc hervor. Auch Interviews, die er damals geführt habe, seien darauf gespeichert, und viel Musik. Er kramt weiter in der Kiste. Auf jener Disc befinde sich das Abschlusskonzert seiner Berner Schule, sagt er, und auf dieser hier ein akustisches Rätsel, das ihm die damalige Freundin geschenkt habe. «Diese Kiste steckt voller Erinnerungen», fügt er an.

Weshalb er jetzt gerade darin wühle, fragt sie. Er habe sich daran erinnert, als er einen Artikel gelesen habe, erklärt er: Sony bringt diesen Monat das letzte Minidisc-Gerät in den Handel. «Damit geht eine Ära zu Ende – 20 Jahre, nachdem sie begonnen hat.» Ein Kollege habe sich das erste Gerät geleistet. «Ich war neidisch darauf.» Nachträglich sei er froh gewesen, sein Sparsäuli noch nicht gemetzget zu haben. Denn das erste Gerät war klobig und schwer. Und der Akku hielt bei Aufnahmen eine knappe Stunde durch und bei der Wiedergabe kaum länger. Gekauft habe er die dritte Gerätegeneration. Dank der Disc musste er nicht mehr spulen. Er konnte Aufnahmen schneiden und anschreiben. Vor allem aber: Die Tonqualität war im Vergleich zu den Kassetten exzellent.

«Doch das sind Tempi passati», seufzt der Webflaneur. Mit dem Ende der Minidisc gelte es nun, die Erinnerungen auf den Computer zu retten. «Einspruch», sagt sie. «Schliesse zuerst endlich dein Fotodigitalisierungsprojekt ab.»