Die Verwandlung

Mathias Born am Dienstag, den 20. Mai 2014

Ihm sei ein Malheur passiert, klagt der Senior. Er habe in aller Eile einen Text niedergeschrieben – in einem Zug von oben links bis unten rechts. Leider habe er erst nach dem Setzen des Schlusspunkts einen Blick auf den Monitor geworfen. «Und dann habe ich leer geschluckt.» Offenbar, so erzählt er, hatte er am Anfang ‹Caps Lock› touchiert – «eine Taste, die man längst von den Tastaturen dieser Welt hätte verbannen sollen».

Der Webflaneur hört sich die  Tirade des Seniors grinsend an. «nUN IST DIE gROSS-/kLEINSCHREIBUNG IM GESAMTEN pAMPHLET VERTAUSCHT?», fragt er. «Ich schreibe keine Pamphlete», wettert der Senior. Aber ja: Die Gross-/Kleinschreibung sei durcheinandergeraten. «Kleine Ursache, grosse Wirkung», kommentiert der Webflaneur. Eine Frage sei ihm aber noch erlaubt: «Ist alles in Ordnung mit deiner Varilux?» Er sei überhaupt nicht zum Scherzen aufgelegt, sagt nun der Senior. Viel lieber möchte er wissen, ob sich der Schaden beheben lasse. Klar, er könnte den gesamten Text nochmals abtippen – in korrekter Gross- und Kleinschreibung. «Doch eigentlich sollte das doch automatisch gehen.»

Der Webflaneur stimmt ihm zu. «Vermutlich kriegst du das selbst hin – mit einem eigenen kleinen Programm, das alle grossen Zeichen in kleine umwandelt und umgekehrt.» Der Senior schüttelt den Kopf. Lieber tippe er den Text nochmals ab. Er suche keine Beschäftigungstherapie, sondern eine schnelle Lösung.

Die gebe es, sagt der Webflaneur – etwa bei Uncapslock.de. Dort könne er den Text umwandeln lassen. Und beruhigend fügt er an: «Du brauchst dir also keine grauen Haare wachsen zu lassen. Keine weiteren.»

Geheimcode

Mathias Born am Donnerstag, den 17. April 2014

Irgendwo in einem Grossraumbüro: Nun müsse er das Passwort eintippen, sagt der Informatiker. Der Angesprochene mag sich nicht erheben. Stattdessen ruft er dem Informatiker das Passwort zu. Dem Webflaneur, der die Szene beobachtet hat, stehen die Haare zu Berge. Zum einen, weil der Kollege so lässig  und damit extrem nachlässig mit dem Passwort umgeht. Zum anderen, weil dieses einfach zu erraten und zu merken ist: Es besteht aus dem Namen seiner Frau und einer Nummer.

Das war vorletzte Woche – in jener Zeit also, in der publik wurde, dass  in der im Web weitverbreiten Verschlüsselungssoftware OpenSSL ein Sicherheitsloch klafft. Durch dieses können unter Umständen Passwörter und andere sensible Daten ausgelesen werden. Die meisten Anbieter, die OpenSSL einsetzen, haben das Leck mittlerweile geflickt: Sie haben das Softwarepaket aktualisiert und ihre Geheimschlüssel ersetzt. Einige fordern die Nutzer auf, ihr Passwort zu ändern. Damit beginnt das Problem erst richtig.

Ein Essen mit Freunden: In der Runde wird das altbekannte Passwortproblem diskutiert. Überall müsse man ein anderes Codewort setzen, klagt eine Kollegin. Sie habe mittlerweile so viele, dass sie diese in ihrer Agenda notiere.  Dem Webflaneur stehen die Haare zu Berge.  «Denk dir einen Satz aus», fordert er sie auf. Sie guckt ihn verdutzt an. Dann sagt sie: «Jetzt, um 20.43 Uhr, werden die Spargeln aufgetragen!» Nun nehme sie jeweils den ersten Buchstaben der Wörter sowie alle Nummern und Sonderzeichen, erklärt der Webflaneur. Dabei kriege sie J,u20:43U,wdSa!. Nun könne sie noch irgendwo den ersten und den letzten Buchstaben des Webdienstes einbauen, etwa F und k für Facebook. «So einfach kriegst du sichere Passwörter.»

Doch zurück zum Bürokollegen. Er musste sein Passwort ändern. Auf den Namen der  Frau folgt nun die nächsthöhere Zahl, wie er dem Webflaneur freimütig bestätigt. Diesem stehen alle Haare zu Berge.

Der Abgang

Webflaneur am Dienstag, den 18. März 2014

Facebook übernimmt den Kurznachrichtendienst Whatsapp. Diese Meldung war für einen Freund des Webflaneurs das Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen brachte. Jedenfalls eröffnete er, kurz nachdem die Nachricht eingetroffen war, einen Gruppenchat bei Whatsapp, um sich von den Kontakten zu verabschieden. Man sehe sich wieder, schrieb er – drüben bei Threema.

Der Webflaneur kaufte sich kurzerhand die App Threema, mit der man Texte, Bilder, Videos und Standortinfos verschicken kann. Für weniger als den Preis eines Kaffees kriegt er viel Sicherheit: Die App verschlüsselt alle Nachrichten. Nicht einmal die Betreiber des Dienstes, die Mitarbeiter eines kleinen Unternehmens aus Zürich, können mitlesen. Weil die Chatpartner ihre Schlüssel tauschen müssen, ist die Bedienung zwar komplizierter als bei Whatsapp. Threema führt aber vorbildlich durchs Prozedere. Die Schlüssel lassen sich persönlich weitergeben. Oder man verwendet die Synchronisation. Dazu werden Infos aus dem Adressbuch auf den Schweizer Server der Firma geladen. Anders als bei Whatsapp verbleiben sie dort aber nur so lange wie nötig.

Tatsächlich trifft der Webflaneur seinen Freund auf Threema wieder. Und er tadelt ihn sogleich: Es sei keine gute Idee gewesen, die Abschiedsmeldung in einer Whatsapp-Gruppe zu veröffentlichen. Denn damit steckte er sämtlichen Mitgliedern gegenseitig die Handynummern zu.  Das ist dem Freund peinlich. Er entschuldigt sich in der Whatsapp-Gruppe. Dann verlässt er sie. Der Webflaneur hingegen nutzt sie seither, um mit den übrigen Gruppenmitgliedern liebevoll über den gemeinsamen Freund zu lästern.

Fast wie neu

Mathias Born am Dienstag, den 18. Februar 2014

Das Smartphone hat einen Aussetzer: Die App friert ein – ausgerechnet jetzt, da der Webflaneur darauf angewiesen wäre. Zuerst wartet dieser. Nichts tut sich. Dann beginnt er wild daran herumzufingern. Schliesslich flucht er derb – wir ersparen uns den Wortlaut –, reisst das Rückteil weg, klaubt den Akku heraus, setzt ihn wieder ein, startet das Gerät neu.

Weshalb sich der Webflaneur so ärgert? Nun, sein Smartphone spinnt nicht nur jetzt sondern ab und zu. Im besten Fall ruckelt die Benutzeroberfläche. Allzu oft tut sich aber gar nichts mehr. Was den Webflaneur am meisten nervt: Das Gerät läuft erst so schlecht, seit der Hersteller – wir nennen keinen Namen – ihm ein Update auf eine aktuellere Android-Version mit einer eigenen, überarbeiteten Benutzeroberfläche «spendiert» hat.

Muss sich der Webflaneur nun ein neues Smartphone kaufen? Vielleicht. Zuerst will er aber dem alten noch eine letzte Chance geben: Er will die Software neu aufspielen – genau, wie er dies jeweils bei Computern tut, wenn diese zu fest bocken. Am selben Abend macht er sich ans Werk. Bald stellt er aber fest: Es ist gar nicht einfach, auf seinem Smartphone ein neues Betriebssystem zu installieren. Das Problem: Dazu braucht er Root-Rechte, muss also Geräteadministrator sein. Doch hat er keine Ahnung, wie er zu diesen – seinen – Rechten gelangt. Einen Abend lang ackert er Foren durch. Offenbar ist das «Rooten» aber schwierig – und gefährlich fürs Gerät.

Fast schon hätte der Webflaneur aufgegeben. Doch dann entdeckt er die Installationsapp für Cyanogenmod. Er installiert sie. Auf dem Windows-PC spielt er, wie geheissen, eine zweite Software auf. Die beiden Programme vollbringen das Werk gemeinsam: Sie installieren Cyanogenmod, die grösste alternative Android-Zusammenstellung – ohne jede Frickelei. Seither läuft es flotter und besser denn je, das alte Smartphone des Herstellers, dessen Namen wir hier nicht nennen.

Der Experte

Mathias Born am Dienstag, den 4. Februar 2014

Der Webflaneur wird ganz kribbelig. Seit Stunden schon probiert er dieses und jenes aus. Ohne Erfolg. Egal, wie er die Computerbastelarbeit auch dreht und wendet – sie funktioniert nicht. Mit den darin enthaltenen Texten ist zwar alles in Ordnung. Nicht aber mit den Fotos. Diese wollen sich partout nicht automatisch der Grösse des Bildschirms anpassen. Der Webflaneur weiss zwar, dass dies möglich ist. Aber er hat keinen blassen Schimmer, wie man es anstellt. Ihm fehlt schlicht das einschlägige Know-how.

Kurz und gut: Der Webflaneur steht am Berg. Er weiss sich nicht mehr zu helfen. Entweder, so sagt er sich, ackere er sich nun halbe Nächte lang durch die vielen Expertenforen im Internet und probiere jeden erdenklichen Ratschlag aus. Oder er belästige einen der Informatiker aus seinem Bekanntenkreis. Doch da kommt ihm eine bessere Idee: Weshalb engagiert er nicht kurzerhand einen Experten?

Der Webflaneur surft zu  Freelancer.com; er hätte auch eine andere Plattform wie Gulp.de, Projektwerk.com oder Freelance.de ausprobieren können. Ins Suchfeld tippt er nun einige Angaben zu den Qualifikationen ein, die sein zukünftiger Angestellter mitbringen sollte: Unter anderem sollte er HTML- und CSS-Kenntnisse haben. Schon präsentiert ihm das Vermittlungsportal Freelancer, die seine Arbeit erledigen könnten.

Fast an oberster Stelle steht Vladimir aus der Ukraine. Dieser arbeitet für 6 Dollar pro Stunde. Der Webflaneur fragt ihn im Chat an, ob er Interesse daran habe, drei Stunden lang an seiner Datei zu polieren. Vladimir antwortet postwendend   und nimmt den Job an. Der Webflaneur schickt ihm die Datei. Und Vladimir macht sich sogleich an die Arbeit. Ab und zu meldet er sich per E-Mail mit einer Frage – in äusserst holprigem Englisch. Schliesslich kommt das Resultat seiner Arbeit. Tatsächlich hat Vladimir einige Kleinigkeiten korrigiert. Das Problem mit er Fotoskalierung konnte er aber auch nicht lösen. Der Webflaneur bezahlt ihn trotzdem. Und er überlegt sich, den nächsten Profi zu engagieren: Tarek aus Indien.

Der alte Computer

Mathias Born am Sonntag, den 12. Januar 2014

Eigentlich stand der Entschluss bereits fest: Nach Weihnachten, sobald der kollektive Kaufrausch abgeklungen ist, wollte sich der Webflaneur einen neuen Computer leisten. Allzu oft hatte er sich in den Monaten zuvor über Wartezeiten geärgert. Selbst einfache Aufgaben wie eine Suche nach einer Datei oder das Herumschaufeln von Fotos wurden zu Geduldsproben. Manchmal kam sein PC selbst beim Surfen nicht auf Touren, oder er erzwang bei Büroarbeiten Pausen. Der Webflaneur sah es ihm nach, hatte dieser ihn doch während sechs Jahren zuverlässig begleitet.

Doch irgendwann ging es nicht mehr. Der Webflaneur sah sich nach einem neuen Notebook um. Doch er wurde mit keinem richtig warm. Er störte sich an den hohen Preisen der Topmodelle. Er ärgerte sich darüber, dass er zum PC gleich auch noch ein Betriebssystem kaufen muss. Er schüttelte den Kopf über die extrem querformatigen und allzu hochauflösenden Bildschirme.  Er ärgerte sich über schlecht verarbeitete Tastaturen und unhandliche Touchpads. Dann entschied er sich fürs kleinste Übel. Dieses hätte er nach Weihnachten fast bestellt. Es begab sich aber zu jener Zeit, dass ihm ein Kollege eine überzählige SSD-Disk anpries – als schnellen Ersatz für die Festplatte mit ihren rotierenden Magnetscheiben. Der Webflaneur  griff zu.

Zu Hause angekommen, machte er sich ans Werk: Er schloss das Laufwerk per USB-Kabel an den PC an. Er lud das Festplattenkopierprogramm von Clonezilla. org herunter und installierte es mit dem Tool, das er auf Unetbootin.sourceforge.net gefunden hatte, auf einem Memorystick. Anschliessend startete er den PC ab Stick, hangelte sich durch einige Dialoge und liess Clonezilla ein Abbild erstellen. Schliesslich baute er die alte Platte aus und die neue ein. Die Stunde Arbeit hat sich gelohnt: Der gute alte Rechner läuft wieder flott. Er geht nun in die Verlängerung.

Dialäkt

Mathias Born am Dienstag, den 26. November 2013

Heitere Fahne! Itz bisch du scho zähni?  Das schribt dr Webflanör i sire Gratulation a di Alemannische Wikipedia. Äs Lexikon, wo nume us Dialäkttägschte besteit, isch ä glungnigi Idee.  Glunge im Sinn vo guet: Wüu dert bylöifig abegschribe wird, wi me redt – nid pinlech gnau für d Wüsseschaft, aber o nid häreklepft wi bim Tschätte. Glunge aber o im Sinn vo skurril: Wär büglet scho mit em ne Dialäktlexikon, we Hochdütsch eifacher z läse isch? U we me d Häufti eh chum versteit: Ir Alemannischi Wikipedia herrscht es Tohuwabohu vo Dialäkte us dr Dütschschwiz, em Elsass, us Liechtestei, Oberbade, em Schwabeland, em Voralbärg und sogar vo de Walser us Italie – auso us aune Gebiet, wo me lut Linguischte Alemannisch redt.

Dr Webflanör büglet nie mit der Alemannische Wikipedia. Är schnöigget aber gärn drin, sit ihn ä Fründ ufmerksam gmacht hett uf si Erguss zum Thema Kuss – uf Bärndütsch: zum Müntschi. Am Webflanör sini Lieblingssteu: «Es gschtounigs Müntschi isch eis, wome ufdrückt oder abhout, ohni dases di angeri Person wott. Je nach Situation chan en aagmässni Reaktion e Wasche oder es Müntschi zrugg sy.»

Richtig luschtig wirds aber, we me nid im stiue Chämmerli schnöigget, sondern sech gägesitig bim ne Glesli Wy Artiku i frömde Dialäkt vorlist:  eine uf Elsässisch, eine uf Seisler-, eine uf Walliserdütsch.

Itz isch di Alemannischi Wikipedia auso zähni worde. Zuegäh: Für das Auter isch si no veiechli chly.  Nume grad zwo Häng vou Lüt schribe regumässig. Derfür gits etlechi, wo öppedie öppis biistüre. Immerhin si so scho 15000 Artikel zämecho. Dr Webflanör  wünscht dr Alemannische Wikipedia jedefaus aues Guete zum Geburi. Und är seit Merci: Für die ungerhautsame Stunge bim Vorläse im Fründeskreis. Und dass sie ihm ä Vorwand gliferet hett, ändlech mau so z schribe, wi ihm dr Schnabu gwachse isch.

Sujet unbekannt

Mathias Born am Donnerstag, den 14. November 2013

Der Webflaneur zuckt zusammen. Zwar liegen eine Reportage und ein Stapel Fotos bereit, mit denen er den Text illustrieren kann. Doch jetzt erst, als der Chef ihn immer penetranter auf den überfälligen Abgabetermin hinweist, bemerkt er: Ihm fehlen Infos dazu, was auf den Fotos zu sehen ist. Sofort ruft er die Fotografin an. Sie erhört den Ruf nicht. Er schreibt ihr eine SMS: «Bitte melde dich. Sofort.» Er holt Kaffee. Wartet. Wird nervöser. Dann beschliesst er: Abwarten und Kaffee trinken bringts nicht. Er muss handeln.

Zuerst versucht er sich in der Kunst des Verfassens vager Bildlegenden. «Eine Kirche in  Armenien», tippt er. Nein, so etwas Nichtssagendes könne er wirklich nicht hinschreiben, murmelt er. Wie wärs mit: «Touristen erklimmen die steinerne Treppe der mittelalterlichen Kirche mit ihrem beeindruckenden Kuppelbau – und geniessen den Ausblick auf die monumentalen Felsen, die rot in der Sonne glimmen»? Nein, findet er, nicht einmal damit könne er übertünchen: Hier fehlt Wichtiges. In der Not bekniet er die Layouterin, sie möge die Legenden vergessen. Sie erhört ihn nicht.

Und so probiert es der Webflaneur mit einer Recherche im Internet: Er surft Images.google.ch an. Dann packt er das Bild mit der unbekannten Kirche, das auf dem Desktop liegt, und zieht es  aufs Suchfeld. Google präsentiert ihm daraufhin ähnliche Bilder. Wobei: Die Ähnlichkeit erschliesst sich dem Webflaneur bei vielen nicht. Doch er landet einen Glückstreffer: Auf einem ist eine Kirche mit Kuppel vor roten Felsen zu sehen – eine Kirche in Armenien, fein säuberlich angeschrieben. Nach weiteren Checks ist er sich sicher: Das ist das gesuchte Gotteshaus.

Der Chef versäumt es nicht, beim Gehen noch einmal auf die kleine Verspätung bei der Abgabe hinzuweisen. Der Webflaneur bleibt daraufhin noch sitzen – um zu sehen, welche «ähnlichen Bilder» die Suchmaschine ausspuckt, wenn er ihr das Konterfei des Chefs vorwirft.

Föhnsturm

Mathias Born am Dienstag, den 22. Oktober 2013

Dem Webflaneur schwirrt der Kopf. Ob er krank sei, fragen Sie? Nein, grundsätzlich fühlt er sich gesund. Er hat lediglich leichtes Kopfweh. Oder besser: Sein Kopf fühlt sich etwas belegt an und sein Nacken leicht verspannt. Von Kopfweh zu sprechen, ist aber übertrieben. Noch. Denn der Webflaneur weiss: Das Schwirren kann aufbrausen und in einen veritablen Sturm übergehen.

Wenns stürmt, ist es schwierig, halbwegs elegant mit Wörtern zu jonglieren. Statt in Bildschirme zu starren, legt man sich dann besser hin, schliesst die Augen und wartet, bis dass der Sturm abflaut. Doch wie gesagt: Bislang hat der Webflaneur bloss einige dunkle Wolken am Horizont ausgemacht. Nicht mehr. Trotzdem trifft er nun eine Vorsichtsmassnahme: Flugs bringt er seinen Text zu Papier. Bis hier.

Dann ändert sich zum Glück alles. Das Schwirren verschwindet. Und der Webflaneur ist wieder voller Tatendrang. In Zukunft, so beschliesst er, notiere er sich ganz genau, wann er Kopfweh bekommt. Wozu, fragen Sie? Für seine ganz persönliche Studie. Der Webflaneur möchte nämlich wissen, ob der Föhn etwas mit dem Sturm im Kopf zu tun hat.

Sogleich macht sich der Webflaneur ans Werk. Er schaut bei Opendata.admin.ch vorbei, wo neu viele von den Behörden erhobene Daten zu finden sind: detaillierte Fakten zu Abstimmungen und Wahlen ebenso wie statistische Daten zur Bevölkerung sowie Wetterdaten. Zu letzteren gehört auch der sogenannte Föhnindex. Darin verzeichnet Meteo Schweiz alle 10 Minuten für 18 Messstationen, ob der Föhn bläst oder nicht. Diese Daten gedenkt der Webflaneur mit seinen Aufzeichnungen zu kombinieren – um herauszufinden, ob es bei ihm eine Korrelation zwischen Föhn und Kopfweh gibt. Wobei: Bis er genügend Daten beisammenhat, um eine signifikante Aussage machen zu können, dürfte noch mancher Sturm ins Land ziehen. Sie machen mit, sagen Sie? Dann melden Sie sich. Der Webflaneur wird sich die Sache überlegen. Sobald er wieder einen ganz klaren Kopf hat.

Alles Wissen der Welt

Webflaneur am Mittwoch, den 9. Oktober 2013

Teenager können manchmal bedrohlich wirken. Nicht weil sie viel Macht hätten. Sondern weil sie das Gefühl haben, dass ihnen die Welt gehört, und sich entsprechend aufführen. «Bei diesem Teenager liegt der Fall anders», sinniert der Webflaneur und deutet behelfsmässig aufs Smartphone: Google sei gerade 15 Jahre alt geworden, stecke also tief in der Pubertät. «Doch dieser Firma gehört wirklich die Welt.»

Nun male er schwarz, sagt der Kollege, der neben ihm an der Bar sitzt. Es sei zwar faszinierend, wie weit es Google in 15 Jahren gebracht habe – aus der Garage zur zweitwertvollsten Marke hinter Apple. «Mit einer Suchmaschine regiert man die Welt aber nicht.»

Doch, kontert der Webflaneur. Eine solch dominante Suchmaschine definiere, was relevant sei – und was unsichtbar bleibe. Zudem sei die Firma längst mehr als eine Suchmaschine:  unter anderem die Betreiberin eines E-Mail-Dienstes, eines Onlinespeichers, eines sozialen Netzwerkes, des wichtigsten Kartendienstes. Und sie stelle mit Android das am weitesten verbreiteten mobile Betriebssystem her. «So viele so persönliche Daten wie Google besass noch nie jemand – keine Firma, keine Bibliothek, kein Staat. Und noch nie konnte jemand diese so gezielt auswerten.»

«Ausser vielleicht der US-Geheimdienst», wirft der Kollege ein. Verglichen mit diesem gehe Google aber verantwortungsvoll und transparent mit Daten um, behauptet er. So liessen sich alle Inhalte, die man bei Google veröffentlicht habe, mitnehmen. Take-out heisse dieser Dienst. So etwas böten längst nicht alle Technologiefirmen an – und wenn schon, erst unter grossem Druck. «Don’t be evil – sei nicht böse» laute denn auch das inoffizielle Firmenmotto. «Bei Google wird es gelebt», sagt er. Dann deutet er aufs iPhone, das vor ihm auf dem Tresen liegt. Und er fügt an: «Wenn Googles Dominanz dich stört, musst du halt in den sauren Apfel beissen.»