Archiv für die Kategorie ‘Bildliches’

Streetview

Webflaneur am Freitag den 29. Mai 2015

mapillary

Der Kollege fährt voll auf Streetview ab. «Superpraktisch» seien sie, die Strassenbilder von Google. Dank ihnen könne er sich vor der Reise ein Bild davon machen, was ihn unterwegs erwarte. Und auch im eigenen Ort entdecke er oftmals Spannendes. Vor kurzem, sagt er, habe Google neue Fotos aufgeschaltet. «Heute Abend werde ich mit Vergnügen virtuell durch mein Quartier kurven.»

Der Webflaneur ist etwas kritischer. Nicht, weil er den Nutzen von Streetview nicht sähe. Und nicht, weil er sich stark um die Privatsphäre sorgte; schliesslich hat Google vom Bundesgericht strenge Anonymisierungsregeln sowie Verbotszonen etwa rund um Spitäler und Frauenhäuser aufgebrummt erhalten, und Fotos lassen sich in begründeten Fällen auch löschen. Ihn stört vielmehr das Fastmonopol, das sich Google mit den Bildern herausgefahren hat. Und als Nutzer ärgert er sich, dass stets jenes Gässchen fehlt, das ihn gerade interessiert.

Deshalb greift der Webflaneur zur Selbsthilfe: Er installiert die App Mapillary (Android, iOS, Windows Phone) auf dem Smartphone und montiert dieses auf dem Velogidon. Es schiesst nun alle zwei Sekunden ein Foto. Sobald es sich in einem WLAN einbucht, werden die Bilder auf die Mapillary-Plattform hochgeladen, wo die Gesichter und Nummernschilder verpixelt und bestimmte Objekte erkannt werden sollen. Dort kann man sich die abgefahrenen Routen auch ansehen. Und dort steht auch, wie man die Fotos sonst noch nutzen kann — etwa zum Zeichnen einer Landkarte.

Einige Tage später zeigt der Webflaneur dem Kollegen, was die Mapillary-Nutzer alles fotografiert haben. Dieser staunt. Denn auf einigen Bildern ist genau jene Gasse zu sehen, die er damals bei seinem abendlichen Streetview-Fährtchen vermisst hat. Ja, jene, die zur Privatklinik führt.

Gruss aus der Wand

Mathias Born am Freitag den 1. August 2014

An dieser Ansichtskarte hat der Webflaneur seine helle Freude. Zum einen, weil sich die Kollegin, die gerne Felswände hochkraxelt, die Zeit nahm zu schreiben. Zum anderen wegen des Sujets: Die Kletterin hat es nicht bei einer Landschaftsaufnahme belassen, wie sie in Souvenirshops zu Hunderten für wenig Geld zu haben sind. Stattdessen hat sie eine Postkarte mit einem eigenen Bild fertigen lassen. Und zwar wortwörtlich: Man sieht darauf, wie sie scheinbar mühelos und sehr elegant eine Felswand erklimmt, im Hintergrund der Vulkan der Ferieninsel.

Die Partnerin des Webflaneurs hingegen runzelt die Stirn. Nicht wegen der Selbstinszenierung  der Kollegin auf der Vorder-, sondern wegen der Marke auf der Rückseite: Die Karte wurde offensichtlich aus Deutschland versandt. Unterwegs ist die Kletterin aber in Spanien. Das sei logisch, sagt der Webflaneur: Die Ansichtskarte ist von einem deutschen Onlineanbieter produziert worden.

Das war letztes Jahr. Mittlerweile bietet mit Ifolor ein Schweizer Labor Ähnliches an: In der Postkarten-App fürs iPhone wählt man ein Foto für die Vorderseite aus und auf Wunsch ein zweites für die Marke. Adresse erfassen, Text tippen, bezahlen – schon wird die Karte gefertigt. Kostenpunkt: 2.95 Franken inklusive Versand.

Der Schönheitsfehler bleibt derselbe: die falsche Marke. Wobei: Allzu oft prangen auch auf den ganz normalen Postkarten des Webflaneurs Schweizer Marken: immer dann, wenn er sie im letzten Moment geschrieben, dann aber auf die Schnelle keinen Briefkasten mehr gefunden hat.

Van Gogh vor der Linse

Webflaneur am Dienstag den 16. Juli 2013
Sämann von Vincent Van Gogh. Selbst geknipst. Bloss zum Schauen, wie sich das anfühlt.

Sämann von Vincent Van Gogh. Selbst geknipst. Bloss zum Schauen, wie sich das anfühlt.

Der Webflaneur steht mitten im Van-Gogh-Museum in Amsterdam. Und er staunt. Allerdings nicht über die Kunstwerke – weder über Van Goghs Experimente mit vielfältigen Techniken und Materialien noch über die Gemälde mit den Sonnenblumenfeldern, mit dem gelben Haus in Arles oder über die Selbstporträts. Nein, er bestaunt einige Museumsbesucher. Diese scheinen keine Augen für die Kunst zu haben – sondern eine Linse: Die Kamera im Anschlag eilen sie von Gemälde zu Gemälde. Bei jedem machen sie kurz halt, drücken ab. Schon hasten sie weiter.

Kunst zu knipsen sei zum Volkssport geworden, sinniert der Webflaneur. Dominiert wird dieser von Männern. Entgegen allen Vorurteilen sind es aber längst nicht mehr nur die Asiaten, die auf ihren Sightseeingmarathons die Kamera zu Hilfe nehmen, sondern Leute aus aller Herren Länder. Was sie wohl mit all den Fotos der Gemälde anstellen, fragt er sich. Und er malt sich aus: An trüben Herbst- und Wintertagen zaubern sie die Fotos auf den Bildschirm. Dann studieren sie eingehend das noch so kleinste Detail. Sie zoomen tief ins Bild hinein, um zu sehen, wie Van Gogh die Pinsel an- und die Farben eingesetzt hat, wo er welche Struktur gelegt und wo er was weggekratzt hat. Schliesslich schreiben sie jedes Werk an, recherchieren dessen Geschichte, erstellen umfassende Onlinedokumentationen.

Schon wieder hastet ein Tourist mit der Kamera im Anschlag vorbei. Der Webflaneur betrachtet ihn genau. Und da kommen bei ihm Zweifel auf, ob der Kunstknipser überhaupt je etwas mit den Fotos anstellen wird. Sammelt er nicht einfach Trophäen? Und falls ja: Wäre es nicht ehrlicher, vor dem Gemälde zu posieren – so wie es einige der Besucherinnen mit Vorliebe tun? Mit den Fotos belegen sie alle, dass sie im Van-Gogh-Museum gewesen sind. Mehr noch: Sie versuchen damit zu zeigen, dass sie sich für Kunst interessieren, dass sie – im wahrsten Sinne des Wortes – im Bild sind.

Kleinkariert sei das, murmelt der Webflaneur. Der halben Welt kundtun zu müssen, dass man in Amsterdam das Van-Gogh-Museum besucht habe – das habe er nicht nötig.

Freier Fotograf

Webflaneur am Dienstag den 7. Mai 2013

Was er schon wieder am Smartphone herumnestle, fragt die Kollegin, als sie von der Theke zurückkommt. Sie stellt die beiden Kaffeetassen auf den Tisch und setzt sich wieder. Der Webflaneur legt sein Smartphone beiseite. In der Wikipedia habe es noch kein Bild von diesem wunderschönen, historischen Café gegeben, antwortet er. Deshalb habe er das Foto, das er vorher gemacht habe, kurzerhand in die entsprechende Mediendatenbank hochgeladen: zu Wikimedia Commons. Bis vor kurzem sei ein solches Unterfangen aufwendig gewesen, doziert er: Man musste sich am Computer einloggen, die Fotodatei auswählen, sie mit kryptischen Tags verschlagworten, die richtige Lizenz auswählen. Nun aber hätten die Wikipedia-Macher eine Smartphone-App für Android und für iOS-Geräte veröffentlicht. «Mit dieser ist das alles im Nu erledigt.»

Ob er ihr zeigen könne, wie das funktioniere, fragt die Kollegin und nimmt einen Schluck Kaffee. Der Webflaneur lässt sich nicht zweimal bitten. Er ergreift das Smartphone und setzt zur Demonstration an: Er startet die App, drapiert seine Kaffeetasse, macht ein Foto davon. «Eine grosse Tasse Kaffee», schreibt er ins Titelfeld. Und er verfasst eine kurze Beschreibung. Dann wählt er einige Stichworte aus. «Jetzt muss ich nur noch speichern – und schon können die Wikipedia-Autoren das Bild in ihre Artikel einbinden.»

Die Kollegin, die soeben den letzten Schluck ihres Cappuccinos getrunken hat, hebt warnend die Hand. «Warte noch», sagt sie. Der Titel sei nicht ganz korrekt und sollte unbedingt noch angepasst werden. «Viel besser wäre: Eine grosse Tasse mit kaltem Kaffee.»

Tour Eiffel pour Maman

Webflaneur am Freitag den 1. März 2013

Jetzt, so vermutet der Webflaneur, jetzt dürfte sich Mutter wohl die Augen reiben. Weshalb? Nun, vor wenigen Stunden war er noch bei ihr. Im Filmchen aber, das er ihr jetzt gerade geschickt hat, steht er bereits vor dem hell beleuchteten Eiffelturm. «Bonsoir Maman», ruft er in dieser Aufzeichnung. «Magnifique», sei es hier à Paris. Die Stadt sei immer eine Reise wert. Auch eine ganz spontane. «Insbesondere, seit sie so nahe liegt», fügt der Webflaneur im Filmchen noch an. Und lächelt dabei schelmisch.

Damit spielt der Webflaneur nicht auf eine neue TGV-Verbindung an. Sondern darauf, dass er getrickst hat: Er ist gar nicht in Paris. Gedreht hat er das Video stattdessen im Flur der eigenen Wohnung. Dort positionierte er das Stativ. Er montierte die Kamera darauf. Er hängte ein knallgrünes Tuch an die Wand. Er leuchtete dieses mit einer stattlichen Anzahl Lampen sauber aus. Und dann zeichnete er vor dem knallgrünen Hintergrund den Gruss an Maman auf.

Schliesslich setzte er sich an den Computer, um den Eiffelturm in die eigene Wohnung zu holen. Zuerst suchte er eine passende Standaufnahme des Monuments. Dann öffnete er das frei verfügbare Videoprogramm Openshot; vermutlich hätte er auch ein anderes Videoschnittprogramm nehmen können. Er legte den Gruss an Maman auf die eine Spur. Auf einer zweiten platzierte er den Clip mit dem Eiffelturm. Er zog den Effekt «farbbasierte Freistellung» aufs eigene Video und wählte mit der virtuellen Pipette das Knallgrün des Tuchs an. Zufrieden lehnte er sich dann zurück und liess den Computer rechnen.

Einige Tage später: Die Mutter schmunzelt. «Nach einem ersten Erstaunen bin ich dir rasch auf die Schliche gekommen», sagt sie. Die Ränder um den Kopf seien nicht ganz sauber gewesen. Etwas brennt ihr aber noch auf der Zunge. «Der Bundeshauskorrespondent in der ‹Tagesschau›», beginnt sie. Der Webflaneur winkt grinsend ab. «Nein, der steht in Wahrheit auch nicht auf dem Dach des Café Fédéral.»

Die Nachtübung

Webflaneur am Mittwoch den 7. November 2012

Der Webflaneur ist am Anschlag. Denn sein Computer ist es auch: Dieser rechnet und rechnet – so intensiv, dass er zu nichts anderem mehr zu gebrauchen ist. Bis er auf Eingaben reagiert, vergehen Sekunden, manchmal Minuten. Dabei möchte der Webflaneur doch bloss ein bisschen mit seinen Ferienfotos experimentieren, sie ordnen und einzelne davon leicht bearbeiten.

Das Problem: Sein Notebook ist alt. Die Kamera aber, mit der er die Fotos gemacht hat, ist neu. Ihr Sensor vermag ganz viele Punkte einzufangen. So viele, dass die Dateien stattlich gross werden und das Notebook unter der Datenlast ächzt.

Ja, er hätte sich dies früher überlegen und die Fotos in tieferer Auflösung machen können. Er hätte, wenn ein Sujet besonders stimmig war, temporär die Auflösung hochschrauben können. Doch das war ihm zu umständlich. Und er fürchtete, plötzlich gute Fotos in tiefer Auflösung zu haben – sodass er daraus kein Poster oder keine Tapete fabrizieren könnte.

Der Computer rechnet und rechnet. So könne es nicht weitergehen, sagt sich der Webflaneur. Sein Plan: Er archiviert die Fotos zuerst auf einer externen Festplatte. Kopien dieser Bilder speichert er anschliessend auf dem Notebook ab. Diese lässt er dann in einem Rutsch so weit verkleinern, dass er damit fortan zügig arbeiten kann. Sollte er irgendwann doch ein Poster oder eine Fototapete drucken lassen wollen, könnte er immer noch auf die Originale zurückgreifen.
Spät am Abend macht sich der Webflaneur ans Werk. Er lädt ein Programm, das massenweise Fotos bearbeiten kann – etwa XnView oder ImageMagick, die für alle gängigen Betriebssysteme erhältlich sind. Über Nacht lässt er den Computer die Fotos herunterrechnen. Am Morgen dann ist der Webflaneur ausgeruht. Und auch sein Notebook läuft nicht mehr am Anschlag.

Die Postkarte

Webflaneur am Dienstag den 31. Juli 2012

Das Foto zeigt einen schönen Sandstrand. Dieser liege gleich unterhalb ihres Hotelzimmers in Spanien, schreibt die Ferientechnikerin. Sie schwärmt vom palmengesäumten Pool, dem traumhaften Wetter und den piekfeinen Restaurants. So sehr der Webflaneur ihr die offenbar gelungenen Ferien auch gönnt – etwas neidisch ist er schon. Schliesslich hält er im Büro die Stellung, während sie und schätzungsweise die Hälfte der Stadtbewohner sich an irgendwelchen Stränden suhlen. Als die Ferientechnikerin kurz darauf auch noch ein Bild einer stimmigen Tapasbar nachliefert, reisst dem Webflaneur der Geduldsfaden. Er wünscht sie zurück in den Stollen. Er wettert übers schlechte Berner Wetter. Und er schmiedet einen perfiden Plan.

«Nach interessanten Exkursionen hier in Bali geniesse ich einige entspannende Tage am Strand», schreibt der Webflaneur in das Formular, das er unter Touchnote gefunden hat. Von dort können richtige Postkarten derzeit kostenlos verschickt werden. Er hätte geradeso gut einen der zahlreichen anderen Postkartenversand-Dienste benutzen können, etwa Swisspostcard der Post, wo die Karte 2.50 Franken kostet, jenen von Postalo (1,80 Euro), Pokamax (2 Euro) oder Postkarten-fabrik (1,90 Euro). Sogar vom Handy aus könnte er echte Postkarten verschicken; dank Applikationen wie Touchnote, Postagram oder Postcard on the Run ist das ganz einfach. Da der Webflaneur aber sowieso am PC sitzt, tippt er lieber auf der richtigen Tastatur. Er lädt das allerschönste Traumstrandbild hoch, das er im Web finden konnte. Dann lässt er der Ferientechnikerin die Postkarte zuschicken. Dass darauf keine indonesische Marke klebt, möge sie übersehen, hofft er.

Eine Woche darauf flattert dem Webflaneur eine Postkarte in den Briefkasten, gezeichnet von der Ferientechnikerin in Spanien. Bloss zwei Details irritieren ihn ein bisschen: Die Nachricht ist in Druckschrift gesetzt. Und die Marke ist eine deutsche.

Späte Revanche

Webflaneur am Dienstag den 17. Juli 2012

Die Schulkollegen nahmen ihn gerne auf die Schippe: «Gut Ding will Weile haben», spotteten sie, während der Webflaneur Buchstaben für Buchstaben zu Papier brachte. «Schreiben! Nicht zeichnen!», kommandierten sie. Sie forderten ihn auf, er möge sich bitte zurückmelden, sobald er den Buchstaben fertiggestellt habe. Oder sie folgten mit den Augen gemächlich einem Schriftzug, während sie flöteten: «Das nimmt langsam Formen an.»

Zugegeben: Der Webflaneur war ein langsamer Schreiber. Wenigstens kassierte er ab und zu ein Lob für seine schöne Schrift. Und es erfüllt ihn mit Genugtuung, wenn er mit einem halb so langen Aufsatz dieselbe Note holte wie sein Lieblingsgspändli, die Schnell- und Vielschreiberin.

«Doch das sind Tempi passati», schreibt der Webflaneur nun in einem langen Brief an die damalige Schnellschreiberin. Mittlerweile schreibe er schneller als sie, prahlt er. Er streicht die «bemerkenswert regelmässigen Lettern» hervor; sie habe diese sicherlich bereits gewürdigt. Genauso wie die gute Lesbarkeit der Handschrift. «Ich wüsste es schliesslich auch zu schätzen, wenn das Dechiffrieren deiner Worte einfacher wäre.»

Unter uns: Der Webflaneur mogelt. Er schreibt den Brief nicht von Hand sondern am Computer – mit der Schrift, die er bei Myscriptfont machen liess. Er musste dazu lediglich ein Formular herunterladen, ausfüllen, einscannen und hochladen. Kurz darauf erhielt er «seine» Schrift, die er dann in den richtigen Ordner des Betriebssystems kopierte. Dass er mogelt, verrät er der Schnellschreiberin natürlich nicht. Und er hofft, dass sie diese Zeilen hier nicht liest.

Die Fotopiratin

Webflaneur am Dienstag den 6. März 2012

Die Schulkollegin gerät sogleich ins Schwärmen: Fotos zu teilen, sei noch nie so schön, simpel und sinnlich gewesen, sagt sie. Sie erzählt, wie sie Bilder, die ihr beim Surfen ins Auge sprängen, mit wenigen Mausklicks an ihre virtuelle Fotowand bei Pinterest hefte. Stunden könne sie dann damit zubringen, die Fundstücke richtig zu ordnen. Und tagelang könne sie sich durch die liebevoll gestalteten Pinnwände wildfremder Leute klicken. Bilder, die ihr gefielen, hefte sie per «repin» an ihre Fotowand. «So entsteht mein persönliches Panoptikum», sagt sie. «Ich möchte Pinterest nicht mehr missen.»

Der Webflaneur, der ihr still zugehört hat, runzelt die Stirn. «Eine solche Lobeshymne höre ich nicht zum ersten Mal», sagt er. «Hast du nicht schon von anderen Fotodiensten geschwärmt, die dann sang- und klanglos verschwunden sind?» Bei Pinterest sei dies anders, insistiert sie. Das finde übrigens nicht nur sie. Die Website liege, auch wenn es sie noch nicht lange gebe, bereits auf Rang 110 der wichtigsten Hitparade. «Deine Ignoranz mag aber daher rühren», fügt sie grinsend an, «dass er – anders als die meisten anderen Webdienste – vor allem bei Frauen beliebt ist.» – «Bei Fotografen aber weniger», kontert der Webflaneur: Sie fänden es nicht lustig, wenn ihre Aufnahmen von wildfremden Personen an virtuelle Stellwände gepinnt und von dort weiter kopiert würden. Das sei verkehrt argumentiert, sagt sie: «Die angepinnte Aufnahme ist ein Kompliment an den Fotografen.» Zudem setze sie bei jedem Bild einen Link zur Fundstelle – also etwa zur Website des Fotografen –, mache also Werbung für diesen. «Quatsch», entfährt es dem Webflaneur. De facto mache sie ohne Einwilligung der Rechteinhaber Kopien urheberrechtlich geschützter Werke. «Du bist also eine Bildpiratin.» Sie grinst und pariert: «Und du bist ein juristischer Tüpflischeisser.»

Hätte sie nicht so rasch wieder zu ihrer Pinnwand zurückkehren müssen, hätten der Webflaneur und sie wohl noch lange weitergestichelt.

Im Bild

Webflaneur am Sonntag den 6. November 2011

Er schiesst gerne Fotos. Und sie auch. Doch ihm geht auf der Festplatte langsam der Platz aus. Und ihr auch. Er hat zudem ein Chaos in seiner Sammlung. Sie hingegen hat ihre Fotos so akribisch in Unterordnern gruppiert, dass die Suche nach einem bestimmten Bild umständlich wird.

Da liege viel im Argen, analysiert der Webflaneur. Er kauft sich eine Netzwerkfestplatte, schliesst diese an die beiden Computer an. Nun verschiebt er seine Fotos in sein Verzeichnis auf der Festplatte und ihre in ihres. Zudem kreiert er ein Verzeichnis für gemeinsame Bilder.

Damit hat er erstmals Platz geschaffen – aber noch keine Ordnung. Dazu braucht er nun einen passenden Bildverwalter. Der Webflaneur probiert diverse Programme aus. Schliesslich landet er bei Picasa von Google, denn dieses Programm läuft sowohl unter dem Betriebssystem, das auf ihrem Computer installiert ist, als auch unter jenem auf seinem. Und da es Stichwörter in den Meta-Informationen des Bildes speichern kann, lassen sich diese bei Bedarf auch von fast beliebigen anderen Programmen auslesen.

An einem nebligen Herbstabend setzen er und sie sich hin und heften ihren Fotos Stichwörter an. Bei einzelnen markieren sie sogar auf der eingeblendeten Karte, wo sie geschossen wurden. Derweil indexiert Picasa automatisch alle Gesichter und fasst identische in Gruppen zusammen, sodass der Webflaneur jede Person nur einmal benennen muss.

Schliesslich lehnt sich der Webflaneur zufrieden zurück. Nun herrsche Ordnung im Fotoalbum, sagt er. Und er demonstriert ihr, wie per Suche in Sekundenschnelle das gewünschte Bild auf den Schirm gezaubert wird. Als dies auch wirklich klappt, freut er sich. Und sie sich auch. Doch dann schlägt sie vor, Picasa einmal nach den ihr verwandten Zwillingen suchen zu lassen. Das Programm versagt kläglich. Doch er jeweils auch.