Archiv für die Kategorie ‘Audiophiles’

Aufgespielt

Mathias Born am Sonntag den 22. Juni 2014

Dieses Mal bereitet sich der Webflaneur sehr gut vor. Lange bevor das erste Konzert über die Bühne geht, spielt er die Apps auf sein Smartphone auf, die ihm vor und während der Open Airs von Nutzen sein könnten. Dazu gehören zuallererst die Programme mit den Festivalprogrammen.

Für den Fall, dass er am Festival einmal ein Stück nicht benamsen kann, installiert der Webflaneur Shazam (Android, iOS), TrackID (Android) oder SoundHound (Android, iOS). Eine Aufnahme von wenigen Sekunden genügt – schon zeigen diese Apps den Titel und den Interpreten des Songs an. Zumindest, wenn der Musiker das Stück nicht allzu frei interpretiert und das Festivalvolk nicht allzu laut grölt.

Apropos laut: Mit Decibel 10th (iOS), Noise Meter (Android) und Sound Meter (Android) kriegt der Webflaneur, wenn auch keine exakten Werte, zumindest eine leise Ahnung davon, wie laut das Konzert ist. So kann er rechtzeitig die Stöpsel setzen, bevor es in seinen Ohren zu pfeifen beginnt. Und apropos Grölen: Mit dem Promille Rechner (Android) oder mit Intelli Drink (iOS) gedenkt der Webflaneur anhand seiner Körpergrösse, des Gewichts, des Alters sowie der konsumierten Getränke sicherzustellen, dass er selber nicht allzu laut und lustig wird.

Schliesslich installiert er noch den Tentfinder (iOS) auf seinem Smartphone, dank dem er das eigene Zelt wiederfinden soll – trotz Dunkel- und allfälliger Trunkenheit. Auf dem Weg zum Zelt dürfte – sofern das Gerät dann noch Saft hat – zudem die integrierte Taschenlampenfunktion hilfreich sein.

Zufrieden lehnt sich der Webflaneur nun zurück. Jetzt fehlt ihm nur noch eines: ein Ticket fürs Open-Air-Festival.

Ade, Minidisc

Webflaneur am Donnerstag den 14. März 2013

Er kniet am Boden, wühlt in einer Kartonkiste. Dass sie schon eine Weile in der Türe steht, nimmt er offenbar nicht wahr. Als sie ihn ruft, zuckt der Webflaneur jedenfalls zusammen. «Was ist los mit dir?», fragt sie besorgt. «Nichts», sagt er. Er sei in Gedanken bloss gerade weit weg gewesen: Ende der 1990er-Jahre in Westafrika. «Ein gigantisches Gewitter zieht auf», raunt er. «Und es bringt einen Platzregen, wie ich zuvor noch keinen erlebt habe.» Sie schaut ihn stirnrunzelnd an. «Und was hat das mit der Kartonkiste zu tun?», fragt sie. «Darin steckt eine akustische Erinnerung daran», sagt er und zieht eine Minidisc hervor. Auch Interviews, die er damals geführt habe, seien darauf gespeichert, und viel Musik. Er kramt weiter in der Kiste. Auf jener Disc befinde sich das Abschlusskonzert seiner Berner Schule, sagt er, und auf dieser hier ein akustisches Rätsel, das ihm die damalige Freundin geschenkt habe. «Diese Kiste steckt voller Erinnerungen», fügt er an.

Weshalb er jetzt gerade darin wühle, fragt sie. Er habe sich daran erinnert, als er einen Artikel gelesen habe, erklärt er: Sony bringt diesen Monat das letzte Minidisc-Gerät in den Handel. «Damit geht eine Ära zu Ende – 20 Jahre, nachdem sie begonnen hat.» Ein Kollege habe sich das erste Gerät geleistet. «Ich war neidisch darauf.» Nachträglich sei er froh gewesen, sein Sparsäuli noch nicht gemetzget zu haben. Denn das erste Gerät war klobig und schwer. Und der Akku hielt bei Aufnahmen eine knappe Stunde durch und bei der Wiedergabe kaum länger. Gekauft habe er die dritte Gerätegeneration. Dank der Disc musste er nicht mehr spulen. Er konnte Aufnahmen schneiden und anschreiben. Vor allem aber: Die Tonqualität war im Vergleich zu den Kassetten exzellent.

«Doch das sind Tempi passati», seufzt der Webflaneur. Mit dem Ende der Minidisc gelte es nun, die Erinnerungen auf den Computer zu retten. «Einspruch», sagt sie. «Schliesse zuerst endlich dein Fotodigitalisierungsprojekt ab.»

Bitte keine CD

Webflaneur am Dienstag den 6. Dezember 2011

Der Webflaneur erahnt es schon vor dem Auspacken: Er kriegt eine CD. Betont langsam löst er das bunte Band. Dabei überlegt er hastig: Soll er seinem Unmut freien Lauf lassen? Er werde die CD gerne ins Museum stellen, könnte er sagen. Sollte er fragende Blicke ernten, würde er deutlicher: CDs seien von gestern. Musik digitalisieren, sei umständlich. CDs seien Staubfänger, Symbole für ein überholtes Geschäftsmodell. Früher, so würde er dozieren,
glaubte man Musik besitzen zu müssen. Wobei: Besessen habe man sie auch damals nicht. Man durfte sie bloss abspielen. Und auch dies bloss der Familie und den engsten Freunden.

Der Webflaneur würde sich in Rage reden, bis sein Bruder die Stirn in solch tiefe Falten legte, dass diese selbst im schummrigen Licht der letzten Kerzen klar hervorträten. Dann fragte er, wie man denn heute Musik höre. Online bei Diensten wie Simfy.ch und Spotify.ch, antwortete der Webflaneur. Bei diesen habe man Zugriff auf gigantische Sammlungen. Man könne sich anhören, worauf man Lust habe. Bei Simfy spiele die Musik fünf Stunden pro Monat kostenlos – wenn man zwischen den Songs Werbung in Kauf nehme. Abonniere man die Premium-Version für 7.50 Franken pro Monat, verstumme die Werbung. Und mit «Premium Plus» für 14.50 Franken kriege man die Musik auch aufs Smartphone. Ähnlich bei Spotify: Dort koste das kleine Abo 6.45, das grosse 12.95 Franken. Deshalb brauche er wirklich keine CDs mehr, würde er ausrufen. Dann herrschte betretenes Schweigen. Nur die Schenkerin schluchzte leise.

So weit soll es nicht kommen. Deshalb mimt der Webflaneur Überraschung und Freude, als er die CD ausgepackt hat. Auch in der digitalen Musikwelt, sagt er, gebe es nichts Besseres als eine handfeste CD mit schönem Booklet – und einem angemessenen Batzen für den Künstler.

Oh du Fröhliche

Webflaneur am Mittwoch den 15. Dezember 2010

«Alle Jahre wieder packt der Flaneur die Flöte aus, bläst unterm Baum ein Liedchen, zu der Verwandten Graus.» Das trällert der Webflaneur – lustig, lustig tralalala – vor sich hin, während dem er im Estrich eine Kiste nach der alten Blockflöte durchwühlt. Als er sie doch noch findet, ist seine Heiterkeit indes verflogen. Ein weiteres Jahr habe er nie darauf gespielt, sinniert er. Und er fragt sich, ob er in der heiligen Zeit nicht Barmherzigkeit walten lassen und auf die Tortur verzichten sollte. Wobei: Das Weihnachtsspiel hat Tradition. Und wenn er verzichtet, darf er auch keine Wunderkerze abfackeln. Es sei denn, er bietet etwas anderes. Doch was? Soll er ein Gedicht rezitieren? Bei seinem Löchersieb, fürwahr, übt er daran ein ganzes Jahr. Soll er etwas vorlesen? «Es begab sich aber zu der Zeit», setzt er mit sonorer Stimme an.

Doch da hat er eine Erleuchtung: Viel intensiver als mit jedem Instrument habe er dieses Jahr mit dem Computer gespielt, sagt er sich. Und gesungen habe er ja auch. Könnte er nicht seinen Rechner zur Loop-Maschine aufrüsten, dann Spur für Spur zum weihnächtlichen Soundgebilde zusammenbauen? Harmonischer als sein Gedudel sei dies allemal. Er legt die Flöte beiseite und eilt ins Büro.

Viel Geld wolle er für die einmalige Performance nicht in die Hand nehmen, beschliesst er. Deshalb macht er einen Bogen um die ausgereiften Programme, welche die Musiker am Laufen haben, sucht einfache Alternativen und wird fündig: Möbius läuft unter Windows und auf Macs, Sooper Looper ist ein Programm für Mac und Linux-PC.

Der Webflaneur stülpt sich das Headset über und legt los: Er erfindet eine Bassspur, legt die Begleitstimme darüber und singt schliesslich die Melodie ein. Doch bald stellt er fest: Einfach ist es nicht. Die Stimmen laufen nicht synchron! Fleissig übt der Webflaneur weiter. Ob er es bis Weihnacht schafft, weiss er noch nicht. Lasst euch überraschen, liebe Verwandte.

Die Musiksammlung

Webflaneur am Dienstag den 31. August 2010

Der Musikfreak guckt ihn triumphierend an. Sein iPod sei prall gefüllt, prahlt er. Und immerhin biete das Gerätchen Platz für 40000 Songs, fügt er an, während er es liebevoll streichelt. Doch der Webflaneur hat kein Musikgehör. Ihn nervt die Angeberei. Er werde dem Freak die Freude vergällen, beschliesst er.

Er brummelt: «40000? Immerhin.» Dann legt er nach: Wobei – seine Sammlung umfasse bald 6 Millionen Songs. «Und darunter ist keine einzige Raubkopie.» Der Freak schaut ihn mit grossen Augen an. Er stammelt: «6 Millionen?» – «Ja», sagt der Webflaneur. Er habe den brandneuen Dienst Simfy.ch abonniert, betrieben von einem Kölner Start-up. Für 15 Franken pro Monat erhalte er Zugriff auf eine riesige Musikdatenbank. «Das ist etwas ganz anderes», höhnt der Musikfreak. «Ich will schliesslich nicht am Computer Musik hören!» Das müsse er auch nicht, kontert der Webflaneur. Dank den Smartphone-Apps von Simfy könne er überall Musik hören. «Aber sicher nicht im Flugzeug oder im Ausland, wenn man besser offline ist», wendet der Freak ein. «Auch dann», sagt der Webflaneur – vorausgesetzt er lade die Songs seiner Wiedergabeliste vorher herunter. Für ihn stehe die Qualität vor der Quantität, sagt nun der Musikfreak. Der Webflaneur antwortet: «128 bis 192 Kilobit pro Sekunde.» Und mit Genugtuung stellt er fest, wie dem Musikfreak die Argumente ausgehen. «Aber 15 Franken», sagt er noch. Er finde das nicht viel für unlimitierten Musikgenuss, fällt ihm der Webflaneur ins Wort. «Apropos: Wenn du dich nicht an der Werbung störst, kannst du bei Simfy auch kostenlos Musik hören.»

Der Musikfreak zieht etwas geknickt mit seinen 40000 Songs von dannen. Der Webflaneur wartet, bis er verschwunden ist. Dann geht er in den nächsten Laden. Denn die neuen Songs seiner Lieblingsband – die kauft er doch lieber als dass er sie mietet.

Falls es zu hoch ist…

Webflaneur am Sonntag den 7. Februar 2010

Sie will mit Mozart ans Casting. Doch die Musik sei ihr zu hoch, klagt sie. «Zu hoch im ursprünglichen Sinn des Wortes. Eine Terz tiefer läge mir besser.» Ob sich da etwas machen lasse, fragt sie. Der Webflaneur hat kein Musikgehör. Ihm mangle es an der Zeit für derartige Basteleien, sagt er. «Auch nicht gegen ein Pakerl Mozartkugeln?», fragt sie. So kompliziert könne die Transposition doch nicht sein. Am letzten ähnlichen Werk habe er lange geübt, kontert der Webflaneur. Doch dann lenkt er ein. «Ich kanns mal probieren. Es muss aber prestissimo gehen.»

Er setzt sich an den Rechner. Zuerst brauche er das Opus, murmelt er. Mozart, dessen Musik längst nicht mehr urheberrechtlich geschützt ist, sollte zu finden sein Tatsächlich: Im Mutopiaproject stöbert er das Werk aufs Geratewohl auf – in der Form von Noten, aber auch in der Form einer Midi-Datei. Damit erübrigt sich die Suche bei Cpdl.org, einem ähnlichen Archiv. Der Webflaneur lädt die Midi-Datei herunter. Nun braucht er eine Notationssoftware. Nach kurzer Suche stösst er auf Musescore.org.

Er lädt die Software herunter, installiert sie – und staunt: Vor wenigen Jahren noch hätte ein solches Programm viel Geld gekostet, nun kriegt er es umsonst. Er importiert die Midi-Datei des Mozart-Liedes. Auf dem Bildschirm erscheinen die Noten. Alles markieren, um drei Halbtöne transponieren. Ob die Tonart beim Transponieren angepasst werden solle, fragt das Programm. Ja, gerne, murmelt der Webflaneur. Ein Klick, schon ist das Werk vollbracht. Der Webflaneur hört sich das Lied an. Doch, es klingt gut. Auf die Notenbildpolitur verzichtet er. Er speichert die Partitur als PDF-Datei und schickt ihr diese – zusammen mit einer Lobeshymne auf Musescore.

Am Casting habe alles gut geklappt, erzählt sie einige Tage später. Der Pianist habe sich bedankt. Der Aufwand sei indes unnötig gewesen, habe er gesagt: Das Keyboard transponiere auf Knopfdruck automatisch.

Der digitale Vorleser

Webflaneur am Dienstag den 5. Januar 2010

Der Webflaneur steht vor einer Prüfung. Um sie zu bestehen, muss er viel lesen. Doch was tun, wenn die Lider bleiern werden oder der Nacken schmerzt? Dann hilft bloss, die Studierstube zu verlassen, frische Luft zu schnappen, den Körper zu bewegen und den Puls hochzujagen. Doch so gut ein Jogging tut – die Zeit eilt ihm davon.

Der Webflaneur hat eine Idee: Er könnte sich den Text von einer Computerstimme vorlesen lassen, während er über Stock und Stein trabt. Alles, was er dazu benötigt, ist sein Musikplayer und ein Computerprogramm, das digitale Texte vorlesen kann. Er macht sich auf die Suche nach einer solchen Software. Sie sollte gratis sein; schliesslich ist er ein armer Student. Bald schon stösst er auf Espeak. Er installiert die Software, turnt kurz auf der Kommandozeile herum – schon spricht sein Computer. Auf Befehl speichert Espeak das Vorgelesene auch in einer Tondatei ab.

So weit, so gut. Leider versteht der Webflaneur aber kaum, was sein Computer sagt. Versucht sich da ein englischer Sprecher an einem deutschen Text? Tatsächlich tönts viel besser, nachdem der deutsche Sprecher aktiviert ist. Besser ist indes nicht gut genug: Noch immer redet der Rechner unverständlicher als ein durchschnittlicher Roboter der frühen Tonfilmzeit. Verständlicherweise, denn das Programm verfügt, wie es der Professor ausdrücken würde, bloss über einen restringierten Wortschatz. Der Webflaneur spendiert der Software eine grosse Datei aus dem Mbrola-Stimmsyntheseprojekt. Sie wirkt Wunder. Nun kopiert er die Tondatei auf seinen Musikplayer, zieht sich um und trabt los.

Zweifellos lernt er während des Testlaufs das eine oder das andere. Ganz warm wird er mit dem synthetischen Sprecher im Ohr aber nicht. Nach dem Lauf setzt sich der Webflaneur deshalb wieder hin und liest selbst weiter. Und fürs nächste Jogging kauft er sich ein Hörbuch.

Und als Zugabe: Der digitale Vorleser — digital vorgelesen

Glauser lesen

Webflaneur am Freitag den 9. Januar 2009

«Da wurde man am Morgen, um fünf Uhr, zu nachtschlafender Zeit also, durch das Schrillen des Telephons geweckt. Der kantonale Polizeidirektor war am Apparat, und pflichtgemäss meldete man sich: Wachtmeister Studer. Man lag noch im Bett, selbstverständlich, man hatte noch mindestens zwei Stunden Schlaf zugut. Aber da wurde einem eine Geschichte mitgeteilt, die nur schwer mit einem halbwachen Gehirn verstanden werden konnte.» Der Webflaneur macht eine kleine Kunstpause, holt Atem und liest weiter. Er liest Glauser, das erste Kapitel aus «Matto regiert». Und er liest es laut.

Während er – den Hörer auf dem Kopf, das Mikrofon vor dem Mund – im Studio sitzt und Glauser liest, blättern wir kurz zurück: Vor wenigen Tagen hat sich der Webflaneur in trockenere Werke vertieft. Er hat im Lexikon geblättert und im Urheberrecht. Im ersten hat er gelesen, dass der Schriftsteller Friedrich Glauser im Dezember 1938 im Alter von bloss 42 Jahren und ausgerechnet am Vorabend seiner Hochzeit zusammengebrochen und kurz darauf verstorben sei. In Letzterem hat er gesehen, dass der Schutz eines Werkes 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers oder der Urheberin auf den Jahreswechsel hin erlischt. Das Werk ist dann gemeinfrei, gehört der Allgemeinheit. Man darf es etwa kopieren.

Der Spiegel-Verlag hat das in Glausers Fall getan: In der Sammlung des Projekts Gutenberg sind einige seiner Werke zu finden, so etwa die Romane «Wachtmeister Studer» und «Matto regiert». Bei der freien Sammlung Gutenberg, die dem «Spiegel»-Projekt als Vorbild gedient hat, fehlt Glauser noch, und bei Wikisource, der Literatursammlung der Wikipedia-Macher, auch. Selbstverständlich dürfen gemeinfreie Werke nicht nur kopiert, sondern auch aufgeführt werden. Dies hat den Webflaneur auf eine Idee gebracht: Er werde das erste Kapitel von «Matto regiert» einlesen. Dann werde er die Tondatei online stellen – bei Gutenberg etwa, bei Librivox oder bei Wikisource – und darauf hoffen, dass weitere Vorleserinnen und Vorleser die  anderen Kapitel beisteuern.

Das war vor einigen Tagen. Nun sitzt der Webflaneur also im Studio und liest. Wir wollen ihn dabei nicht stören. Wie oft verhaspelt er sich? Wer steuert weitere Kapitel bei? Und: Weshalb wurde Wachtmeister Studer zu nachtschlafender Stunde aus dem Bett geholt? Dies und noch viel mehr hoffentlich bald in den Kommentaren zu diesem Artikel.

Tondatei: Matto regiert – Notwendige Vorrede und Verwahrloste Jugend

Creative Commons License (Diese Tondatei steht unter einer CC-Lizenz.)

Der Paragrafenreiter

Webflaneur am Mittwoch den 9. Juli 2008

Als er die Türe öffnet,  schlägt ihm laute Musik entgegen. Die Kollegin kommt leichten Schrittes daher und begrüsst ihn überschwänglich. Sie sei Feuer und Flamme für diese Scheibe, ruft sie dem Webflaneur zu, während sie ihn ins Wohnzimmer führt. Sie dreht die Musik zurück. Die CD gehöre ihrer Schwester, sagt sie. «Ich will sie unbedingt kopieren. Aber irgendwie klappt es nicht.» Das liege am Kopierschutz, sagt der Webflaneur. «Wie knacke ich den?», fragt sie. Der Webflaneur zuckt mit den Schultern. «Du weisst es sicher», sagt sie und lässt die Wimpern klimpern. Er dürfe ihr nicht helfen, entgegnet er. Sie runzelt die Stirn. Und er rezitiert Artikel 39 des neuen Urheberrechts, das Anfang Monat in Kraft gesetzt worden ist: «Wirksame technische Massnahmen zum Schutz von Werken dürfen nicht umgangen werden.» Sie nehme alles auf sich, sagt sie. «Du erklärst, ich klicke.» Auch das gehe nicht, sagt er. Das Gesetz verbiete es ihm auch, hier Tipps zum Kopierschutzknacken zu geben.  

«Das können die nicht machen», enerviert sich die Kollegin. Bislang habe sie Kopien der CDs ihrer Schwester herstellen dürfen. «Es gibt eine Ausnahmeklausel», beruhigt sie der Webflaneur. Werde der Kopierschutz «ausschliesslich zum Zweck einer gesetzlich erlaubten Verwendung» umgangen, könne man nicht bestraft werden. Und das Gesetz erlaube es weiterhin, für sich, Verwandte und enge Freunde Musik und Filme zu kopieren – sogar wenn diese geschützt seien. Er aber werde sich hüten, hier zu erklären, wie man Kopierschutze knackt. «Allenfalls hilft dir ja die Suchmaschine weiter.»

Einen Tipp könne er ihr aber geben: «Kauf fortan, wenn immer möglich, ungeschützte Musik.» Mittlerweile gebe es diverse Anbieter, die Musik unverschlüsselt verkauften. Im iTunes-Laden von Marktführer Apple etwa seien bestimmte Stücke ohne Kopierschutz erhältlich – wenn auch zu höheren Preisen und mit in der Datei gespeichertem Käufernamen. Auch bei der Konkurrenz gebe es Unverschlüsseltes – bei Neueinsteiger  Musicload ebenso wie bei Exlibris und Soundmedia sowie in Nischenshops wie Finetunes, Fastrecords und Magnatune.

Was die Kollegin mit der CD angestellt hat, entzieht sich der Kenntnis des Webflaneurs. Beim nächsten Besuch läuft aber noch immer derselbe Song.

Kein Musikgehör

Webflaneur am Mittwoch den 26. März 2008

Manchmal ist der Webflaneur etwas pedantisch. Etwa jetzt: «Nein, nicht iPod», ruft er, als die Frau im Radio zum wiederholten Male von diesem Gerät  spricht, offenbar aber ein beliebiges «Digitalmusikwiedergabegerät» meint. Der Kollege verschluckt sich ob des lautstark geäusserten Unbills an den Apéronüsschen. Er hustet. Dann fragt er, was an den Worten der Radiofrau so falsch sei. Nicht jedes Digitalmusikwiedergabegerät sei ein iPod, sagt der Webflaneur. Apple sei Marktführer, aber nicht der einzige Gerätehersteller. «Eine Spitzfindigkeit», findet der Kollege. Schliesslich sei auch nicht jeder Staubsauger von Hoover und jedes Klebeband von Scotch. «Aber wer hats erfunden?», fragt er. Mit überlegenem Grinsen fügt er hinzu: «Apple.» Der Webflaneur schüttelt den Kopf. Nein, das erste tragbare MP3-Wiedergabegerät sei von der koreanischen Firma Saehan präsentiert worden, an der Messe Cebit vor zehn Jahren. Der MPMan F10 habe rund 500 Dollar gekostet und Platz für eine Stunde Musik geboten. Der Kollege gibt klein bei.

«Erstaunlich», kommentiert er, «in nur zehn Jahren sind die Dinger um die Welt.»  «Trotz allen Widerstands», fügt der Webflaneur an:  In den USA habe der Verband der Musikindustrie zunächst versucht, den Verkauf der ersten Musikplayer verbieten zu lassen, da diese das Raubkopieren förderten.  Der Musikplayer Rio wurde trotzdem zum Verkaufsschlager und zum Inbegriff für Digitalmusikwiedergabegeräte – bis Apple-Chef Steve Jobs im Jahr 2001 den ersten iPod aus dem Jeanssack zauberte. Zwar funktionierte das Gerät nur mit dem Programm iTunes, das es ausschliesslich für Macs gab. Das teure Gerät war aber chic und wurde bald zum begehrten Luxusartikel. «Seither brabbeln selbst Radioleute von ‹iPod›, wenn sie ‹Digitalmusikwiedergabegerät› meinen», sagt der Webflaneur.  Dieser Begriff sei aber etwas umständlich, wirft der Kollege ein.  «Wie wäre es mit ‹MP3-Player›?» Er habe lange gezögert, den Begriff zu verwenden, so der Webflaneur. Klar, die Geräte könnten das MP3-Format abspielen. Weil die Musikindustrie bloss Kopiergeschütztes verkaufen wolle, seien die Formate von Microsoft und Apple aber weit verbreitet. «Ich muss im richtigen Shop mit dem richtigen Format kaufen, um eine Datei auf meinem  MP3-Player abspielen zu können?», fragt der Kollege. Ja, die Plattenfirmen begännen erst allmählich zurückzukrebsen, sagt der Webflaneur. «Denn die Käufer haben kein Musikgehör mehr.» Kleine Verkäufer und Labels wie Finetunes, Emusic, Magnatunes, Jamendo und teils Exlibris verkauften längst ohne Kopierschutz. Nun würden auch die Majors Anstalten machen, Musik ohne Kopierschutz zu verkaufen – oft im guten alten MP3-Format.