Der Webflaneur zuckt zusammen. Zwar liegen eine Reportage und ein Stapel Fotos bereit, mit denen er den Text illustrieren kann. Doch jetzt erst, als der Chef ihn immer penetranter auf den überfälligen Abgabetermin hinweist, bemerkt er: Ihm fehlen Infos dazu, was auf den Fotos zu sehen ist. Sofort ruft er die Fotografin an. Sie erhört den Ruf nicht. Er schreibt ihr eine SMS: «Bitte melde dich. Sofort.» Er holt Kaffee. Wartet. Wird nervöser. Dann beschliesst er: Abwarten und Kaffee trinken bringts nicht. Er muss handeln.
Zuerst versucht er sich in der Kunst des Verfassens vager Bildlegenden. «Eine Kirche in Armenien», tippt er. Nein, so etwas Nichtssagendes könne er wirklich nicht hinschreiben, murmelt er. Wie wärs mit: «Touristen erklimmen die steinerne Treppe der mittelalterlichen Kirche mit ihrem beeindruckenden Kuppelbau – und geniessen den Ausblick auf die monumentalen Felsen, die rot in der Sonne glimmen»? Nein, findet er, nicht einmal damit könne er übertünchen: Hier fehlt Wichtiges. In der Not bekniet er die Layouterin, sie möge die Legenden vergessen. Sie erhört ihn nicht.
Und so probiert es der Webflaneur mit einer Recherche im Internet: Er surft Images.google.ch an. Dann packt er das Bild mit der unbekannten Kirche, das auf dem Desktop liegt, und zieht es aufs Suchfeld. Google präsentiert ihm daraufhin ähnliche Bilder. Wobei: Die Ähnlichkeit erschliesst sich dem Webflaneur bei vielen nicht. Doch er landet einen Glückstreffer: Auf einem ist eine Kirche mit Kuppel vor roten Felsen zu sehen – eine Kirche in Armenien, fein säuberlich angeschrieben. Nach weiteren Checks ist er sich sicher: Das ist das gesuchte Gotteshaus.
Der Chef versäumt es nicht, beim Gehen noch einmal auf die kleine Verspätung bei der Abgabe hinzuweisen. Der Webflaneur bleibt daraufhin noch sitzen – um zu sehen, welche «ähnlichen Bilder» die Suchmaschine ausspuckt, wenn er ihr das Konterfei des Chefs vorwirft.
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