Hat Corona das Träumen verändert?

Unsere Autorin wird angehimmelt wie ein Superstar – im Schlaf. Nicht nur ihre Traumwelt scheint aufregender geworden zu sein. Wieso, erklärt Schlafexperte Christian Neumann.

Im Traum ist es möglich: Tanzen wie Jennifer Lopez in ihrer Super-Bowl-Show. Foto: Keystone

Die Träume, die mich in den letzten Wochen begleiteten, wären Stoff für so manches Drehbuch. Denn im Gegensatz zu meinem ruhigen und manchmal monotonen Corona-Alltag sind sie ziemlich aufregend. Und so viel bunter, überraschender und inspirierender als meine Realität. Obwohl ich auch im «normalen» Leben eine intensive Träumerin bin, erlebe ich jetzt so richtig grosses Kino.

So etwa, als Herbert Grönemeyer kurz bei mir zu Hause vorbeischaute, um in meiner Küche ein Privatkonzert zu geben. Und dann im Gästezimmer übernachtete und so laut schnarchte, dass die Wände zitterten. Oder als ich als Eiskunstläuferin in der Weltmeisterschaftskür federleicht übers Eis schwebte, um den dreifachen Rittberger in Slow Motion zu drehen. Der Flow, den ich nach dem Sieg ganz oben auf dem Siegertreppchen spürte, stand ganz im Gegensatz zum «Low», das sich am nächsten Morgen beim Joggen einstellte. Dies, weil mir bereits nach 300 Metern schlichtweg die Puste ausging.

Viel besser als Britney!

Möchten Sie wissen, wie es sich anfühlt als erfolgreicher Star vor Tausenden von Fans auf der Bühne bejubelt zu werden, während man singt wie Beyoncé und wie Jennifer Lopez die schwierigste Tanzchoreografie aufs Parkett legt? Es fühlt sich traumhaft an! Das Tüpfelchen auf dem i war dann allerdings der Zuruf von Justin Timberlake, den ich als Backgroundsänger engagiert hatte: «Du bist so viel besser als Britney!»

Justin Timberlake hats in ihrem Traum bezeugt: Unsere Autorin ist besser als Britney Spears, hier bei einer Show in Taiwan. Foto: Keystone

Kein Wunder, freue ich mich aufs Schlafengehen, denn ich bin gespannt auf eine neue Episode aus der Serie «Silvia im Wunderland». Die Diskrepanz zwischen Traum und Realität tut mir prinzipiell gut. Ich lasse mich auch gern für die Geschichten, die ich schreibe, von gewissen Träumen inspirieren und auch motivieren. Doch in letzter Zeit kommt mir oft die Zuckerbeutel-Weisheit «Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum» in den Sinn. Hin und wieder einen fantasievollen Traum zu erleben, ist etwas Schönes. Aber ist es noch «normal», wenn die nächtliche, imaginäre Welt so viel spannender ist als der Alltag? Ich war gespannt, was der Arzt Christian Neumann, Neurologe, Psychiater und Leiter des Zentrums für Schlafmedizin Zürich-Fluntern, zum Thema Träumen während Corona meint.

Das sagt Fachmann Christian Neumann, Neurologe, Psychiater und Leiter des Schlaflabors Zürich-Fluntern

Herr Neumann, verändert Corona unsere Traumwelt?
Träume sind etwas Buntes, Irrationales und Verrücktes. Wir verknüpfen Erlebnisse, die wir im Gedächtnis gespeichert haben, mit anderen Eindrücken und Konstellationen. So entsteht unser ganz individueller nächtlicher Film. Normalerweise haben wir im Alltag meistens keine Zeit, um unsere Träume zu interpretieren: Der Wecker klingelt, man muss aufstehen, und wenig später kann man sich nicht mehr an seine Träume erinnern. Viele Menschen haben seit Corona einen veränderten Schlafrhythmus. Das bedeutet, sie schlafen mehr als in normalen Zeiten und müssen am Morgen nicht so früh aufstehen. Damit entfällt auch der übliche Alltagsstress. Und so haben sie auch Zeit, sich mit ihrem letzten Traum vor dem Aufwachen auseinanderzusetzen.

Warum sagen Sie «mit ihrem letzten Traum»?
Weil wir uns meistens an den letzten Traum vor dem Aufwachen erinnern. Wir träumen in einer Nacht während verschiedener Schlafzyklen etwa eine Stunde. Der letzte Traum kann allerdings bis zu einer halben Stunde dauern. Und darum ist er am präsentesten.

«Wir können in Träumen gewisse Dinge lernen»: Christian Neumann, Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut, Leiter des Schlafzentrums Zürich-Fluntern. Foto: zvg

Und wie beurteilen Sie meine faszinierende Traumwelt?
Jeder Mensch reagiert in so speziellen Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, anders. So können in der Corona-Zeit vermehrt angstbesetzte Träume auftreten, bedingt durch die Tatsache, dass unser Alltag nicht mehr kontrollierbar scheint. Dieses Ausgeliefertsein und der Mangel an persönlicher Freiheit können sehr belastend sein. Was Ihre bunte Traumwelt betrifft, so scheint sie ein Ausgleich oder ein Ventil für Ihren ruhigen Alltag zu sein.

Gibt es Menschen, die prinzipiell intensiver träumen als andere? Oder erinnern sich diese einfach besser an ihre Träume?
Hier trifft beides zu. Sie gehören scheinbar mit Ihrem nächtlichen Traumkino zu den intensiven Träumern. Und haben auch eine gute Erinnerung an das Geträumte.

Wie erleben Sie als Psychiater und Psychotherapeut die Corona-Situation bei Ihren Patienten?
Ungefähr die Hälfte meiner Patienten schläft eher schlechter, weil sie beispielsweise Existenzsorgen hat. Die andere Hälfte, und darunter sind Burn-out-Patienten, schlafen besser, weil sie nicht dem ständigen Druck in der Arbeitswelt ausgesetzt sind.

«Einem einzelnen Traumgeschehen sollte man nicht zu viel Bedeutung zumessen.»

Von welchem Zeitpunkt an sollten wir uns über wiederkehrende belastende Träume Sorgen machen?
Unser Schlaf und auch unsere Träume sind ein früher Gradmesser, wie es um unsere Psyche steht. Es ist aber auch völlig normal, hin und wieder einen schlechten Traum zu haben. Es gibt kollektive Grundthemen wie beispielsweise Verfolgungsträume oder Träume, in denen wir den Zug verpassen oder nackt vor anderen Menschen stehen. Falls sich ein belastender Traum über längere Zeit immer wiederholt, kann das durchaus eine Art Warnung sein. Vielleicht machen sich so gewisse Ereignisse aus der Vergangenheit bemerkbar, die man therapeutisch anschauen sollte.

Viele Menschen führen ein Traumtagebuch und sind überzeugt, dass ihre Träume keine Schäume sind, sondern wichtige Hinweise beinhalten.
Was eine analytische oder gar spirituelle Deutung eigener Träume betrifft, bin ich eher skeptisch. Meiner Meinung nach sollte man einem einzelnen Traumgeschehen nicht zu viel Bedeutung zumessen.

Wir träumen in erster Linie, um gewisse Ereignisse zu verarbeiten. Was können Träume sonst noch?
Wir können in Träumen gewisse Dinge lernen, bevor wir das in der Realität tun. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass kleine Kinder träumen, dass sie schon laufen können, bevor das in Realität der Fall ist. Und sexuelle Träume treten auf, bevor Sexualität konkret erlebt wird.

Und wie bitte kann bewiesen werden, dass Kleinkinder das Laufen üben, wenn sie gar noch nicht fähig sind, das zu kommunizieren?
Das ist eine gute Frage, die ich mir auch gestellt habe. (lacht) Mit einem sehr aufwendigen, funktionellen MRI können hierfür Hinweise gefunden werden.

Wie sieht Ihre Traumwelt während Corona aus?
Da ich die konkreten Trauminhalte meist sehr schnell vergesse, bleiben mir eher Stimmungen oder Emotionen, teilweise auch einzelne, oft lebhafte Bilder haften. Speziell freue mich, wenn ich Menschen im Traum wahrnehme, die ich wegen der Krise schon länger nicht mehr sehen konnte.

3 Kommentare zu «Hat Corona das Träumen verändert?»

  • Anh Toàn sagt:

    „Möchten Sie wissen, wie es sich anfühlt als erfolgreicher Star vor Tausenden von Fans auf der Bühne bejubelt zu werden,“…brauchen Sie nicht zu träumen: Machen Sie ein lustiges Spiel mit vier Kinder (5 Personen) und dann rufen die im Chor: „Nochmal, nochmal, nochmal“ und wenn Sie dann ansetzen, das Spiel zu wiederholen, kommt ein lautes Begeisterungsgebrüll: Das Gefühl des Rockstars, der für eine Zugabe auf die Bühne zurück kommt.

  • W.Grab sagt:

    Auch Hunde und Katzen (und andere Tiere?) träumen. Scheint ein normaler Prozess eines entwickelten Hirns zu sein.

  • Ralf Schrader sagt:

    ‚Hat Corona das Träumen verändert?‘

    Nein, das ist psychologisch ausgeschlossen. Es können sich nur Trauminhalte verändern, das Träumen selbst nicht. Träumen ist viel zu wichtig, als das es auf Zeitgeist, auf biografische Ereignisse reagiert. Ich träume nicht anders als der Steinzeitmensch und der nicht anders als der Vorsteinzeitmensch.

    Es ist auch ausgeschlossen, mit einem funktionalen MRI Lernprozesse zu visualisieren. Es gibt Neurowissenschaftler, die meinen das ginge, haben aber keine Beweise dafür. Das Gros unseres Bewusstseins ist unbewusst, offenbart sich nur in Träumen, in Persönlichkeitsstörungen oder vielleicht unter Psychoanalyse. Aber dem eine objektive Bedeutung zuzuweisen, ist Spekulation, keine Wissenschaft.

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