Wenn Kinder gamesüchtig werden

So lernen Eltern, wann das digitale Spielen zum gesundheitlichen Problem wird – und was sie dagegen tun können.

 

Schon Jugendliche sind betroffen: Die WHO hat «Gaming disorder» als Krankheit anerkannt. Foto: iStock

Die digitalen Medien prägen unser Leben immer stärker. Das hat einerseits viele praktische und auch spannende Seiten, birgt allerdings auch Risiken. Vor allem bei Jugendlichen betreffen sie körperliche, psychische und soziale Bereiche. Schon 2015 wurde geschätzt, dass rund 70’000 Personen in der Schweiz eine «problematische Internetnutzung» aufweisen, wobei davon vor allem die Altersgruppe der unter 35-Jährigen betroffen ist. Laut Sucht Schweiz nutzen 99 Prozent der 12- bis 19-Jährigen mehrmals pro Woche das Internet.

Leidenschaftlich gamen meistens männliche Teenager und junge Männer. Sie spielen Taktik-, Strategie-, Sport-, Gewalt- und Kriegsspiele auf dem Smartphone, Tablet, Computer und der Konsole. Games wie «Donkey Kong», «Call of Duty» oder «Fortnite» gehören inzwischen zu unserer Alltagskultur. Auch wenn Eltern fast verzweifeln, wenn ihr Kid beinahe mit seinem Computer zu verwachsen scheint, handelt es sich dabei meistens um eine vorübergehende Phase. Fachleute von Pro Juventute sagen, diese könne durch andere Interessen oder Hobbys abgelöst werden. Sie warnen deshalb davor, «vorschnell von Computerspielsucht zu reden».

Gamen statt Sport treiben

Doch wo liegen die Grenzen zwischen einem «normalen» Spieltrieb und einer Abhängigkeit, die nicht nur das Familienleben, sondern auch schulische Leistungen und das gesamte soziale Umfeld negativ beeinflussen? Diese Frage stellten sich auch die Eltern von Christian. Der 15-jährige Gymnasiast war ein begeisterter Sportler und verbrachte jede freie Minute draussen. Doch nach einem durch den Beruf des Vaters bedingten Umzug in eine andere Stadt fand Chris in seiner neuen Klasse nur schwer Anschluss. Eine neue Situation für den sonst so offenen und unternehmungslustigen Teenager. «In der ersten Zeit dachten mein Mann und ich, das werde sich schon wieder geben», sagt Renate W., die Mutter von Chris. Dies vor allem darum, weil Christians zwei Jahre ältere Schwester keine Probleme hatte, neue Freunde zu finden.

Nach einer Weile fand Chris tatsächlich neue Kollegen. Aber statt gemeinsam Sport zu treiben, trafen sie sich ausschliesslich, um zu gamen – stundenlang. «Plötzlich ist aus unserem Naturfreak ein Couch-Potato geworden. Aber Sorgen machten wir uns erst, als Chris immer öfter am Wochenende sein Zimmer nur noch dann verliess, wenn wir gemeinsam eine Mahlzeit einnahmen. Um danach sofort wieder in seinem abgedunkelten Zimmer seiner Leidenschaft nachzugehen», erinnert sich die Mutter.

Unter dem Begriff «Gaming disorder» hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor einem Jahr die Computerspielsucht in ihre internationale Klassifikation von Krankheiten (ICD) aufgenommen. Eine Spielstörung liegt nach der WHO vor, wenn Spieler die Kontrolle darüber verlieren, wie häufig und wie lange sie spielen, wenn das Spielen den Vorrang vor anderen Lebensinteressen und Aktivitäten hat und wenn trotz negativer Folgen weitergespielt wird. «Online- und Gamesucht wird oft lang nicht erkannt», sagte Hanspeter Stocker, Spielsuchtberater bei der Aargauischen Suchthilfe in der «Aargauer Zeitung». Und manche Eltern seien sogar froh, wenn der Teenager zu Hause bleibe und nicht draussen rumhänge. Doch als sich Chris immer öfter in seine Game-Welt verlor und sogar die Schule zu schwänzen begann, um allein zu Hause zu spielen, während die Eltern arbeiteten, beschlossen diese, Hilfe zu suchen.

Wenn Gamen zur Krankheit wird

Über den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst bekamen sie die Adresse einer Psychologin, die auf Jugendsüchte spezialisiert ist. Die erste Sitzung besuchten sie zu dritt. «Die Ärztin zeigte uns auf, was bei allfälligen Therapiesitzungen passieren würde, aber auch, dass sie diese nur starten würde, wenn Chris sich committen würde. Und mein Sohn war bereit, das Problem anzugehen», sagt Renate. Man spürt noch heute, wie sehr sie dieser mutige Entschluss ihres Sohnes noch immer berührt.

Trotzdem wurden die folgenden Wochen kein Spaziergang, denn hinter dem intensiven Gamen von Chris steckte viel mehr, als seine Eltern sich zuerst eingestehen wollten. Nach einem Monat war eine weitere Familiensitzung angesagt. «Damals erfuhren wir zum ersten Mal von Chris selber, wie sehr er unter dem Umzug und dem Verlust seines sozialen Umfelds gelitten hatte», sagt Renate. Und weil Chris in seinem bisherigen Leben immer alles mit grosser Leidenschaft angepackt hatte, war dies beim Gamen genauso. Nur dass es sich dieses Mal um eine leidenschaftliche Flucht aus der Realität handelte, die in einer Sucht endete.

Im Lauf der dreimonatigen Therapie stellte die Psychologin gewisse Rahmenbedingungen auf, an die sich Chris mit wenigen Ausnahmen auch hielt. Und mit der Zeit entdeckte er auch seine Liebe zum Sport wieder und nahm das Biken wieder auf. «Bei einem dieser Ausflüge verliebte er sich in eine Kollegin. Und ab diesem Moment hatte er neue Prioritäten», sagt Renate und fügt an: «Ich bin froh, dass wir nicht zu lange gewartet und uns professionelle Hilfe geholt haben. Dies rate ich auch allen Eltern mit einem ähnlichen Problem.»

Rat für Betroffene und Angehörige:

Sucht Schweiz

Pro Juventute

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7 Kommentare zu «Wenn Kinder gamesüchtig werden»

  • Cäptn Price sagt:

    Gaming ist für viele ein Hobby und Beschäftigung, so wie andere bspw. Klettern gehen und dafür von Samstag früh morgens bis Sonntag abends ihre Zeit dafür aufwenden.
    Die Spiele werden immer wie genialer und raffinierter und sind in vielen Bereichen Kunst. Wie man in Geschichten und andere Welten gezogen wird und dabei selbst der Protagonist ist, welcher herausgefordert wird, ist wunderbar. Zudem bieten viele Spiele echte Tiefe, welche zugegebenermassen nicht von allen erfasst wird. Bspw. der Klassiker Grand Theft Auto ist eine satirische, sozialkritische oft humoristische Persiflage auf den Kapitalismus und American Dream. Verstehen aber nicht alle.
    Zudem erfordern viele Spiele (bspw. gute Shooter wie CoD4, Quake etc.) sehr viel Können, Grips und Fertigkeiten ab gewissem Level.

  • Anna Neumann sagt:

    Leider das stimmt, dass die digitalen Medien unser Leben immer stärker prägen

    StudiBlog: https://bachelorschreibenlassen.com/blog/mehr-spas-an-der-gruppenarbeit

  • André Hafner sagt:

    Immer wieder die gleiche Leier – aus Einzelfällen wird mit nebulösen Hinweisen auf das böse Internet in Massenproblem heranfabuliert. Hallo, Leute – jeder, der ein Smartphone hat, was heute die absolute Mehrheit ist, ist stundenlang pro Tag online. Und entgegen der Meinung der Ludditen spielt es keine Rolle, ob man Bücher und Zeitungen am Computer oder auf dem Smartphone liest, oder auf Papier. Lesen ist lesen.

    Wie man aus dem Artikel erkennt, liegt das Problem hier beim Jugendlichen, der halt genauso „spielsüchtig“ war, wie er vorher ein Outdoors-Süchtiger oder Sportsüchtiger war. Wenn er Bücher so „entdeckt“ hätte, hätte man wohl kein Aufheben darum gemacht, aber der Computer ist halt böse und gefährlich und eine Flucht aus der Realität, während die Sportsucht akzeptiert ist.

    • Anh Toàn sagt:

      „…liegt das Problem hier beim Jugendlichen,“ Teenagern fällt es generell schwer, ihr eigenes persönliches Umfeld zu verlieren. Denn Teenager lösen sich von den Eltern und brauchen dafür andere Beziehungen. Teenagern sind ihre Freunde, ihre „Peers“, (@Michael: Gleichaltrige, Vergleichsgruppe-) wichtiger als die Eltern, zumindest in deren subjektiven Wahrnehmung. Ist der Teenager weg von seinen Freunden, spielt er nicht mit Mami und Papi, hört nicht deren Musik, redet nicht deren Sprache, tut nicht deren Dinge. Findet er nicht schnell genug eine eigene Welt in der neuen realen Welt, sucht er diese woanders.

      Für Kindern vor dem Teenageralter ist Umzug kein Problem, aber danach sollte man es bleiben lassen, bis die erwachsen sind.

  • Michael sagt:

    „Laut Sucht Schweiz nutzen 99 Prozent der 12- bis 19-Jährigen mehrmals pro Woche das Internet.“

    Sucht Schweiz stellt sich das Internet noch wie in den 90ern vor, wo man vor einem Desktop-PC sitzt. Internet ist aber eine Technologie, die ständig präsent ist und auch mobil und zwischendurch genutzt wird (Whatsapp nutzen, SBB-Fahrplan nachschauen…).

    „Games wie «Donkey Kong» […] gehören inzwischen zu unserer Alltagskultur“

    Nein, denn das 80er-Jahre-Game Donkey Kong spielt kaum noch jemand.

    „sich committen würde“

    Qué?

    • Silvia Aeschbach sagt:

      1. Es geht im Text nicht darum, was heute aktuell gespielt wird, sondern, dass Games wie «Donkey Kong» den Weg in unsere Alltagskultur gefunden haben.
      2. sich committen= verpflichten, bekennen.

      • André Frédéric Hafner sagt:

        „Games wie Donkey Kong“ – so ein Satz lässt jeden, der sich nur ansatzweise mit Computerspielen auskennt, laut loslachen. Solche Spiele sind eben genau nicht mehr Teil unseres Alltagskultur. Und sie haben mit dem geschilderten Fall rein gar nichts zu tun, da sie nicht über das Netz gespielt werden und auch keine bedeutende Fan-Szene haben. Wenn man über Computerspiele schreibt, sollte man sich etwas darüber informieren und nicht einfach blind irgendwelche Namen nennen.

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