Wir sollten unser Essen wieder lustvoll geniessen

Von Kopf bis Fuss

Ein herzhafter Biss in ein Pizzastück ist manchmal mehr wert als die Einhaltung des persönlichen Diätplans. Foto: iStock

Kürzlich hatte ich ein kulinarisches Erlebnis der etwas besonderen Art. Ich hatte mich mit meiner Freundin B. in unserem italienischen Lieblingsrestaurant zum Nachtessen verabredet. Da ich bereits zum Mittagessen gut und ausgiebig gegessen hatte, entschied ich mich für ein leichtes, vegetarisches Gericht. B. bestellte als Primo Pulposalat und als Secondo Ossobuco Gremolata mit frischem Spinat. Dazu genoss sie ein schönes Glas Rotwein.

Sie finden das nichts Besonderes?

Ich schon! Denn B. ist eine der wenigen Frauen in meinem Freundeskreis, die isst, was ihr schmeckt und was ihr scheinbar auch bekommt. Wenn sie hin und wieder Lust auf ein gutes Stück Fleisch hat, geniesst sie es ohne schlechtes Gewissen. Und sie zerbricht sich nicht schon bei der Vorspeise den Kopf, auf was sie am nächsten Tag verzichten wird, damit ihre Kalorienbilanz wieder stimmt. Wie sie das schafft? «Ich höre einfach auf die Signale meines Körpers», sagt B.

Salatteller ohne Sauce

Nicht nur ich hatte Freude, auch Antonio, der Wirt des Lokals, strahlte, als er ihren leer geputzten Teller sah. Und er beklagte sich, dass es immer schwieriger sei, die äusserst vielfältigen Wünsche seiner Gäste zu erfüllen. Heute komme es nicht mehr oft vor, dass abends ein Gericht so bestellt werde, wie es auf der Karte steht.

Ich musste mir das Lachen verkneifen, weil mir die Restaurantszene im Film «When Harry Met Sally» in den Sinn kam, in der Meg Ryan bei einem Essen mit Billy Crystal eine komplizierte Bestellung für ein Sandwich (!) durchgibt. Oder, wie Harry am Schluss in seiner Liebeserklärung an Sally sagt: «I love that it takes you an hour and a half to order a sandwich.» Und nachdem sie ihm im Lokal einen Orgasmus vorgespielt hatte, wollten andere Frauen dasselbe wie Sally bestellen.

Es ist nicht das bestellte Sandwich, das Meg Ryan im Film «When Harry Met Sally» zu einem gefakten Orgasmus bringt. Aber ein richtig gutes Essen kann durchaus ein Höhepunkt im Alltag sein. Foto: PD

Bei Antonio war der temperamentvolle Höhepunkt seiner Rede: «Mamma mia! Warum gehen sie zu einem Italiener, wenn sie nichts anderes wollen als einen Salatteller ohne Sauce!»

Wo Antonio recht hat, hat er recht.

Der heilige Selleriesaft

Was, wann, wie und ob sie überhaupt noch essen sollen – diese Fragen beschäftigen heute viele Menschen in unserer westlichen Gesellschaft. Der Vergleich mit einer Religion mag zugespitzt sein, aber die strikte Unterscheidung von bösen, «sündigen» und guten Lebensmitteln passt perfekt in dieses System. Zucker, Fleisch, Weissbrot oder gesättigte Fette haben zum Beispiel ein denkbar schlechtes Image. Dagegen werden modische Bowls, grüne Smoothies und Goji-Beeren gehypt.

Richtig heilig gesprochen wird aktuell Selleriesaft. Propagiert wird er unter anderem vom Ernährungsguru Anthony William, dem auf Instagram zwei Millionen Menschen folgen. Der grüne Saft soll unter anderem Hautkrankheiten, Gicht, Migräne und auch Autoimmunkrankheiten heilen. War vor ein paar Monaten noch Grünkohl der neue Seligmacher, ist es jetzt Selleriesaft. Ja, ich weiss, die Stangen erhalten viele sekundäre Pflanzenstoffe und Senföle, die antibakteriell und entzündungshemmend wirken. Aber ein Wundersaft? Ich zitiere Antonio: «Mamma mia!»

Nahrung ist ein Geschenk

Vielleicht bin ich bezüglich Sellerie etwas voreingenommen, da ich, wenn ich ihn früher gegessen habe, heftige allergische Reaktionen erlitt. Aber auch als Allergikerin hält sich mein Verständnis für Frauen in Grenzen, die ein unglaubliches Tamtam veranstalten, wenn anstatt Chia-Samen kommune Sprossen auf ihrem Salätchen landen. Natürlich gibt es Menschen, die unter echten Nahrungsunverträglichkeiten leiden, und deren Bauch sich wegen einer Laktoseintoleranz nach einem Glas Milch so bläht, als wären sie im siebten Monat. Oder die nach dem Verzehr von Gluten schlimme Bauchschmerzen und Durchfall bekommen.

Wir haben das Glück, aus einer Fülle verschiedenster Nahrungsmittel auswählen zu dürfen. Vielleicht müssen wir wieder lernen, unser «tägliches Brot» nicht als potenziellen Feind zu betrachten, sondern als Geschenk, das wir genussvoll geniessen dürfen. Auch wenn uns immer wieder eingebläut wird, dass wir mit einer gewissen Askese, mit Disziplin und Kontrolle die besten Chancen auf ein gesundes und langes Leben haben, ist es leider nicht so einfach. Denn zu einem guten Leben gehört auch das lustvolle Geniessen.

20 Kommentare zu «Wir sollten unser Essen wieder lustvoll geniessen»

  • Leopold Guggenheim sagt:

    [Wir sollten unser Essen wieder lustvoll geniessen] netter Titel, bedarf jedoch ein paar minimale voraussetzungen: waren & produkte kentnisse
    (nahrwert, inhaltstoffe, zubereitungsarten, haltbarkeit ect) desweiteren muss mann ja kochen können […] weil auswärts essen ist kein alltäglisches geschehen […] beim einkaufen sollte man auch wissen worauf zu achten ist, vorallem bei frischprodukte wie zb hummer, dry aged beef, schale und krustentiere, geflügel ect .verwende keine fertigprodukte oder schlimmer noch „hergestellte“ lebensmittel, mache dich vertraut mit die erotische seite des essens, artichokken, austern ect .mache dich vertraut mit allerhand getränke, digestiv, aperativ, wein, porto , den whisky & zigarre danach. um erfolgreich in luxusessen zu schwelgen brauchts wissen!

  • Hanspeter Niederer sagt:

    Lustvolles Geniessen, für das andere Mitgeschöpfe entweder lebenslang unter miserablen Bedingungen dahinvegetieren müssen und ermordet werden für einen kleinen Gaumenkitzel ist für authentische Menschen mit einem fühlenden Herz über die Artgrenze hinaus ein absolutes No Go. Wer beim Verzehr von Tierprodukten trotzig „ich habe kein schlechtes Gewissen“ von sich gibt ist entweder völlig ahnungslos über das wahre katastrophale Ausmass des Tierleides oder er ist schlicht ein rücksichtsloser verrohter Mensch, der sein vielleicht vorhandenes anthropozentrisch ausgerichtetes Mitgefühl als „Argument“ für die Ausbeutung von Tieren benützt. In derSchweiz werden pro Tag 200’000 „Nutztiere“ brutal ermordet. Das ist die reine tagtägliche Barbarei. Der Veganismus wird und muss sich durchsetzen.

    • Ralf Schrader sagt:

      Was soll ein authentischer Mensch sein? So etwas gibt es nicht. So wie es fühlende Herzen nicht gibt. So wie man Tiere nicht ermorden kann, das alles gibt nur in Ihrer Fantasie.

      In der Natur gibt es statt dessen Nahrungsketten. Biologisches Leben ohne den Verzehr von anderen Lebewesen ist unmöglich und der qualitative Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen ist auch nur ein gefühlter. Alles was Sie erzählen, gibt es nur in Ihrer Fantasie, nichts davon in der Wirklichkeit.

      Ich esse übrigens nicht wegen Gaumenkitzel, Geschmack ist mir egal. Ich esse wegen der damit verbunden Energie-, Vitamin und Spurenelementaufnahme und die ist mit gelegentlicher Fleischnahrung effektiver.

      Essen ist etwas Biologisches, hat nichts mit Gesundheit und nichts mit Moral zu tun.

      • christopher robert sagt:

        „Essen ist etwas Biologisches, hat nichts mit Gesundheit und nichts mit Moral zu tun.“
        Einspruch: Eine Freundin hat starke Bulimie, erbricht den grössten Teil des Gegessenen und jedes Essen (egal was) macht sie noch mehr krank.
        Ihr Ess-Verhalten ist ungesund (Speiseröhre, Zahnfleisch und Zähne leiden unter der Magensäure) und unmoralisch (sie allein isst so viel wie der Rest ihrer Familie).
        .
        Essen ist ein Spiegel der Menschen: Wer ausgeglichen und enspannt ist, isst auch ausgeglichen; wer gestresst ist, verschlingt Nahrung (statt genussvoll zu essen), und wer extrem lebt, ernährt sich meist auch extrem.

      • Hanspeter Niederer sagt:

        „Was soll ein authentischer Mensch sein? So etwas gibt es nicht. So wie es fühlende Herzen nicht gibt. So wie man Tiere nicht ermorden kann, das alles gibt nur in Ihrer Fantasie.“

        Voll peinlich und zum fremdschämen. Ein gefühlsbefreiter Roboter scheint hier ein Programm auszuführen.

    • Marcus Ballmer sagt:

      @Niederer: Fehler Nummer 1 – Sie übertragen menschliche Gefühlsduselei auf Tiere. Leben und sterben ist auf unserem Planeten der unabänderliche Lauf der Dinge. Seit jeher. Fleisch und Tierprodukte zu essen ist ethisch und moralisch absolut einwandfrei. Auch seit jeher. Fehler Nummer 2 – Sie fühlen sich als Bessermensch, arbeiten jedoch nur gegen die Natur und beschimpfen Leute, die Ihre etwas verquere Ideologie nicht teilen. Und Fehler Nummer 3: Sie essen nicht, Sie betreiben nur Nahrungsaufnahme. Veganismus ist eine Luxusideologie und Kennzeichen für eine Überflussgesellschaft. Leben Sie meinetwegen, wie Sie wollen, aber unterlassen Sie bitte die moralinsaure Missioniererei. Veganismus wird sich nie durchsetzen. Und das ist gut so.

  • Jacques Zimmer sagt:

    Der Körper der Freundin B. teilt dieser also mit, dass er für sein Wohlergehen unbedingt toten Tintenfisch und Kalbshaxe braucht? Mich schaudert’s nur schon beim Gedanken, sowas essen zu müssen. Und dann noch „ohne schlechtes Gewissen“ … Mir käme da halt immer der intelligente und verspielte Tintenfisch in den Sinn, der mir erst zaghaft einen seiner vielen Arme auf den Handrücken legte und dann mutig aus seinem Loch kam, um mich ausgiebig zu erkunden und sanft abzutasten. Oder das herzige Kälblein von Nachbars Wiese, das neugierig zu mir hinkam und vertrauensvoll meine Hand ableckte …

    • Ralf Schrader sagt:

      Mir sind die Schreie der aufgeschnittenen Tomaten unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Seitdem lebe ich anorganisch.

      • Hanspeter Niederer sagt:

        Eindrückliche Selbst-Disqualifikation. Aber man weiss immerhin sofort, woher der Wind weht. Von einem Fleischsüchtigen, der scheinbar problemlos über Leichen wehrloser Mitgeschöpfe geht für seinen unnötigen Gaumenkitzel.

      • Jacques Zimmer sagt:

        @Schrader: Ihre sinnfreien Bemerkungen provozieren mich nicht im Geringsten, wecken höchstens mein Mitleid einem rohen und hirnlosen Gesellen gegenüber.

      • Anna Meier sagt:

        @Ralf Schrader: Sie sollten mal überlegen weniger Fleisch zu essen. Es scheint Ihnen angesichts Ihrer völlig befremdlichen Kommentaren nicht gut zu bekommen.

    • Hanspeter Niederer sagt:

      Danke für diese Stimme des Mitgefühls über die Artgrenze hinaus. Natürlich und selbstverständlich für ein waches Herz, das sich nicht von der erduldeten Konditionierung durch eine rücksichtslose ignorante Tierausbeuter-Kultur zum Schweigen bringen liess und lässt.

  • christopher robert sagt:

    Immer wieder erlebe ich Leute, die (teilweise zurecht) die Rolle der Kirche und der klassischen Familie in Frage stellen und den Verlust dieser Leitlinien durch andere Dogmen ersetzen. Dazu gehören Fitness, Gesundheit, Klimaschutz und Ernährung. Grundsätzlich ist dies gut, doch wenn dies zum Religions-Ersatz wird, finde ich dies fragwürdig. Und diese Fragwürdigkeit wird bestätigt, wenn man mit diesen Leuten nicht mehr rational und kritisch über diese Themen diskutieren kann.
    Woody Guththry sagte ‚Take it easy, but take it.‘, ich passe dies auf die heutige Zeit an und plädiere ‚Take it, but take it easy.‘.

    • Ralf Schrader sagt:

      Gesundheit ist eine religiöse Kategorie, welche in der griechischen Mythologie entstanden, als der erste Arzt Asklepios seine Kompetenzen überschritten hat und Menschen vom Tod erweckt hat. Daraufhin hat Zeus ihn erschlagen, ihm und allen folgende Ärzten die Fähigkeit des Heilens entzogen und durch die Neuerfindung Gesundheit ersetzt.

      In der griechischen Mythologie ist das Heilen mit Begriffen wie Seelenheil, Heiliger, Heiland von den Menschen zu den Göttern gewandert, dafür wurde die schon von den babylonischen Gottheiten benutzte Kategorie der Reinheit in Gesundheit umbenannt und den Menschen zur Verfügung gestellt.

      Gesundheit ist eine subjektive religiöse Kategorie ohne biologische und medizinische Bedeutung. Die Umgangssprache geht leider völlig falsch damit um.

      • christopher robert sagt:

        @ Ralf Schrader:
        Danke für die Aufklärung.

      • Hanspeter Niederer sagt:

        „Gesundheit ist eine subjektive religiöse Kategorie ohne biologische und medizinische Bedeutung.“

        Absurder geht immer.

  • Carmen Siegrist sagt:

    Es gibt Länder, in denen die Menschen froh sind, überhaupt etwas zu essen zu haben. Unsere grosse Auswahl überfordert viele Menschen. Es kommt wirklich nicht alleine darauf an, was wir essen, sondern wie wir es essen. Mit Genuss und gut gekaut ist halb verdaut. Auch ist alles eine Sache der Menge. Wir sollten wieder ein Gespür dafür entwickeln, was uns selbst gut tut. Denn was meiner Nachbarin bekommt, löst in mir ev. ein Gefühl des Unbehagens aus. Jeder und jede hat seine eigene Verdauung. Wenn ich bedenke, dass wir vor Jahren kaum ein Ei oder Butter anschauen durften wegen des Cholesterins, und heute von denselben Wissenschaftlern jeden Tag ein Ei empfohlen wird, und das Gleiche beim Kaffee, der heute als vorteilhaft beschrieben wird, dann können wir uns nur wundern. Also geniessen!

  • René Wenger sagt:

    Ich finde, die gesündeste Lebensweise ist die 5-Punkte-Diät. Sie ist sehr einfach. Pt.1 = Ich esse alles, was mir schmeckt. Pt.2= Ich esse nichts, das ich nicht mag. Pt.3= zu einem Essen gehört ein Glas Wein. Pt.4= Nach einem Essen brauche ich einen Espresso oder Caffè Corretto . Pt.5= Cholesterin, Kalorien und das Zeug ist für mich chinesisch und diese Sprache kenne ich nicht. Mit diese Diät lebe ich seit Jahrzehnten beschwerdefrei ohne Arzt- und Apothekerkosten. Kürzlich konnte ich problemlos meinen Fahrausweis verlängern. (Jg.1923)

  • Ralf Schrader sagt:

    ‚…wir mit einer gewissen Askese, mit Disziplin und Kontrolle die besten Chancen auf ein gesundes und langes Leben haben‘

    Jeder naturwissenschaftlich gebildete Mensch weiss um die Unhaltbarkeit dieser religiösen These. Die Möglichkeiten der Steuerung von Lebenslänge und -Qualität über Ernährung sind in der Schweiz seit langem ausgereizt. Man kann mit verbundenen Augen einkaufen gehen und verzehren, was zufällig in die Hände fällt. Biologische Konsequenzen hat es nicht, gesundheitliche erst recht nicht.

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