Warum uns körperliche Nähe so guttut

Einfach mal ganz fest drücken, und schon fühlt man sich besser. Foto: Pexels.com

Im Dezember hatte ich mehr Stress als gewohnt. Und damit meine ich nicht die Art von Stress, die durchaus beflügeln kann. In jenen arbeitsreichen Phasen falle ich zwar abends todmüde, aber mit einem zufriedenen Gefühl ins Bett. Wenn ich in letzter Zeit dagegen im Bett lag, war ich zwar kaputt, aber hatte Mühe einzuschlafen, weil sich mein Gedankenkarussell wie wild drehte. Und im Alltag fühlte ich mich oft überfordert und gestresst, und ich reagierte schon bei den kleinsten Schwierigkeiten gereizt.

Während dieser Zeit bemerkte ich, dass ich zunehmend körperliche Nähe zu anderen suchte. Meine Freundinnen und Freunde, die ich normalerweise mit einer kurzen Umarmung begrüsse, drückte ich fester als sonst. Und wenn ich spürte, dass sie dies erwiderten und ich vielleicht ein Sekunde länger als sonst gedrückt wurde, tat mir das  gut, und ich fühlte mich geborgen. Mein Umfeld schien diese gewisse Bedürftigkeit zu spüren, ohne, dass ich darüber sprach. Und ich war froh, dass ich nicht gefragt wurde, was los sei.

12 Umarmungen täglich machen stabil

Bei meinem Mann und meinen Hunden fällt es mir natürlich leicht, körperliche Nähe zuzulassen und auch zu geben. Auch wenn Letztere fast etwas verwirrt schienen ob all der Streicheleinheiten, die sie abbekamen. «Wer Streicheleinheiten erhält, verkraftet auch Kummer oder Stress besser», sagt Anik Debrot, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Universität Lausanne im Magazin «Brigitte Psychologie». Und es seien eben auch die sogenannt «harmlosen» Berührungen unter Freunden, die Energie gäben: «Wenn wir berührt werden oder eine andere Person berühren, spüren wir tatsächlich körperlich, dass wir nicht allein sind.» Berührungen seien auch «weniger missverständlich als verbaler Austausch». Denn bei jeder Berührung wird in unserem Gehirn das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, der Botenstoff, der vor Stress schützt und die Grundlage dafür ist, dass wir lieben und vertrauen können. Und körperlich den Blutdruck senkt und unser Immunsystem stärkt.

In dieser Zeit, in der wir uns zweimal überlegen, ob wir den Arm tröstend um eine Arbeitskollegin legen, die Kummer hat, neigen wir dazu, jegliche körperliche Berührung ausserhalb des Privatlebens auf die Goldwaage zu legen. Und wenn wir einen dieser seltsamen Typen in der Stadt sehen, die auf einem Karton «Free Hugs» anbieten, schütteln wir im ersten Moment belustigt den Kopf. Aber wir könnten diesen Hinweis ja auch so umsetzen, dass wir einen lieben Freund beim nächsten Treffen nicht nur auf die Schulter klopfen, sondern ihn auch mal kurz in den Arm nehmen. Virginia Satir, die «Mutter der Familientherapie», war überzeugt, dass zwölf Umarmungen am Tag einem Kind ein Maximum an Stabilität geben. Und vier nötig seien, damit es sich nicht einsam fühlt. Was bei Kindern stimmt, kann ja bei uns Erwachsenen auch nicht so verkehrt sein.

Wenn heute mein Gedankenkarussell wieder Fahrt aufnimmt, entspannt es mich, wenn ich nach der Hand meines Mannes greife. Oder, falls diese nicht in Griffnähe ist, sanft über das Fell eines meiner Hunde streichle. Das Einschlafen gelingt so einfach besser.

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20 Kommentare zu «Warum uns körperliche Nähe so guttut»

  • Fisch sagt:

    Ein großes Lob an Daniel Montefiori!
    Toller Kommentar !!!

  • Kurt J. sagt:

    Wie kann man nur so empathielos durchs leben gehen. Ich schätze und geniesse die Umarmungen auch als Mann mit meinen Nächsten – den Kindern – den Enkelkindern – den Verwandten und Freunden. Frau Aeschbach ich kann Ihnen nur zustimmen.

  • Chris sagt:

    Mein Kind hat mal gesagt: „d Mensche sind verschiede.“ Dabei hatte es recht. Ein „Bitte-nicht-berühren-Mensch“ stelle m.E. das eine Extrem der Skala dar wie der „oft-sehr-nahe-kommende-Mensch“ andererseits. Die meisten bewegen sich im Mittelfeld der Skala je nach Geschichte, Fähigkeit, Charakter. Für den Durchschnitt gilt, was die Autorin beschrieben hat, was nicht heisst, dass es auch Menschen gibt(sieh an) die dieses Bedürfnis weder haben, noch haben wollen. Ich sehe meetoo da nicht als Gewinn, sondern als verlogene Dummheit an, weil normale Berührungen schon latent vorverurteilt werden. Da haben wir die amerikanische Prüderie in unser Denken gelassen, das hat mit Christentum rein gar nix zu tun! Klare Berührungen geben Halt.

  • sepp z. sagt:

    Bin heutzutage mit dem Umarmen sehr selektiv. Meine südlichen Freunde, speziell in Tänzerkreisen, umarme ich bei Begrüssungen, Verabschiedung etc. Völlig easy.
    Hingegen ignoriere ich weisse ’schweizerische‘ Frauen automatisch. Abgesehen davon, dass ihnen jegliche körperliche Präsenz fehlt, ists scheinbar ein Risiko und sie wollens auch nicht.

    • Aquila Chrysaetos sagt:

      „Abgesehen davon, dass ihnen jegliche körperliche Präsenz fehlt“ – es geht doch nichts über das celebrieren von Klischees.

  • Jessas Neiau sagt:

    Sorry, aber wer unverzichtbar „12 Umarmungen täglich“ braucht, um „stabil“ zu sein, der hat doch nicht alle Tassen im Schrank. Zum Glück schaffen’s einige Menschen auch ohne solche Ratschläge und wissen sich selber zu helfen – diese umarmt man dann auch wesentlich lieber als solche psychischen Wracks. Nur halt auf keinen Fall 12-mal am Tag.

  • Hansli sagt:

    Sorry, aber eine Arbeitskollegin zu umarmen war bereits lange vor metoo ein Kündigungsgrund. Zumindest habe ich immer in einem solchen Umfeld gearbeitet.
    Ich persönlich will ausser von meiner Frau von niemanden angefasst werden. Ich könnte auch auf die dauernden Küsschen verzichten

    • Aeschbach sagt:

      Ich habe diesen Blog als Frau geschrieben. Und so kann ich meine traurige Arbeitskollegin auch in den Arm nehmen, ohne eines Übergriffs verurteilt zu werden? Ob oder wenn überhaupt Sie jemanden in den Arm nehmen, ist Ihnen überlassen. Und PS: mit den Küsschen habe ichs auch nicht….

  • Sonusfaber sagt:

    „Aber wir könnten diesen Hinweis ja auch so umsetzen, dass wir einen lieben Freund beim nächsten Treffen nicht nur auf die Schulter klopfen, sondern ihn auch mal kurzin den Arm nehmen“ – kurz? Ja, heute wäre eine KURZE Umarmung eines LIEBEN Freundes schon etwas Gewagtes. So weit sind wir gekommen. Man spürt diese Zurückhaltung allenthalben und sie schmerzt. Sogar mich schmerzt sie, der ich eine Frau habe, die mir in puncto körperliche Nähe nie etwas hat entbehren lassen, und gute Freunde, die mich jeweils LANGE und FEST umarmen, wenn wir uns treffen, was ich auch total geniesse. Wer von mir umarmt werden möchte – egal, aus welchen Gründen – den umarme ich gerne: Denn es ist ein Urglück, das wir niemandem verweigern sollten, finde ich. Auch nicht einem Menschen, den man nicht mag.

  • Sonusfaber sagt:

    Zweitausend Jahre Christentum haben nach und nach alles Körperliche in ein schiefes Licht rücken lassen, es zunehmend verteufelt. Eine Wende ist nicht in Sicht. Es wird also immer weniger Menschen geben, die körperliche Nähe zulassen, und diese wird immer mehr reglementiert, immer mehr eingeschränkt werden. Es wird daher immer mehr Menschen geben, die auf körperliche Nähe verzichten müssen, weil sie weder Frau noch Mann noch Kinder haben. Die Erkenntnisse der Wissenschaft werden diese Entwicklung bestenfalls verlangsamen. Ich bir mir sicher: Ich zwei–, dreihundert Jahren werden die Menschen in den zivilisierten Ländern noch zurückhaltender sein als heute in Bezuf auf körperliche Nähe und es wird daher noch mehr Menschen geben, die vereinsamen …

  • Martin sagt:

    „…ob wir den Arm tröstend um eine Arbeitskollegin legen, die Kummer hat…“ – Wie bitte? Die Existenz riskieren? Fristlose Kündigung, Verlust von Einkommen, Ruf und Ehre, drohende Klagen? Vor dreissig Jahren war das so, da hat man gefragt „Oh, was hast du, ist was?“ und hat sich daneben gesetzt. Tja, dank Meetoo ist das nun vorbei.

    • R. A. Green sagt:

      Irgendwie wollen Sie die Message der Autorin nicht verstehen. Es ist doch völlig logisch, völlig klar, dass man sich situativ nach wie vor im Griff haben muss. Doch erwarte ich auch von einem Mann, dass er sich nicht wie ein Holzklotz gebärdet sondern in der Lage ist das nötige Feingefühl aufbringt, ehrliches(!) Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Und das sage ich ihnen von Mann zu Mann.

      • Sonusfaber sagt:

        Und Ihnen selbst fehlt komplett das nötige Feingefühl, um das, was Martin mitteilen will, zu verstehen. Dass Sie ihn indirekt als Holzklotz bezeichnen, zeugt davon unmissverständlich …

      • Martin sagt:

        Danke für die Unterstützung, Sonusfaber.

        R. A. Green unterstellt mir, ich hätte meine Triebe nicht unter Kontrolle: „,,,dass man sich situativ nach wie vor im Griff haben muss.“ Metoo ist eine Zivilisationskrankheit. Diese Leute unterstellen (ausschliesslich weissen) Männern, sie würden eine solche Situation unterschwellig auszunutzen versuchen.

        Genau das ist das Problem: „…in der Lage ist das nötige Feingefühl aufbringt…“; das ist nicht mehr möglich, weil latent pauschale Anschuldigungen schweben. Deshalb ist es nicht mehr möglich, eine Arbeitskollegin in schwieriger Situation aufzumuntern. Tragisch.

      • R. A. Green sagt:

        Sonusfaber und Martin, Sie entfachen einen Sturm im Wasserglas! Sie überbewerten „me Too“! Vermutlich, weil dies in den Medien abenteuerlich (verantwortungslos) hochgeschrieben wurde. Die erdrückende Mehrheit der Frauen ist total unverändert normal. Ein erwachsener Mann sollte doch diese Bewegung in etwa einschätzen können und nicht in die Hysterie mit einstimmen!

      • Daniel Montefiori sagt:

        @R. A. Green
        „Me too“ – und alles was damit leider einhergeht – können gar nicht überwertet werden! Sie sind nämlich eine umfassende Katastrophe und wirken sich entsprechend katastrophal aus.
        Was damit einhergeht ist das – nicht mehr aufhaltbare? – Ende einer spezifischen Zivilisation, auch wenn dieses Ende sich vielfältig schon vor-eingebahnt hatte.

        Es geht nicht um die Tatsache, daß im Privaten etliches noch durchaus Bestand hat, sondern darum, daß sich ÖFFENTLICH alles in dem Bereich wandelt, und die zivilen Vorverständnisse dazu verkommen und schwinden.
        (Auf dieser Art in einer Momentaufnahme Privates und Öffentliches zu verwechseln ist ein folgenreicher Kategorienfehler.)

      • Aquila Chrysaetos sagt:

        Bei « metoo » geht es um das Anprangen von sexueller Belästigung im Alltag, also eine wichtige und gute Sache. Das hat nichts mit einer freundschaftlichen Umarmung zu tun, von denen die Autorin hier schreibt. Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die das nicht einordnen kann. Die « metoo » Kritiker kommen mir ziemlich histerisch vor. Wünschen die sich die Zeiten zurück, als sexuelle Belästigung einfach zu akzeptieren war? Als Vater von einer Tochter sage ich: niemals!

  • Ralf Schrader sagt:

    ‚Wir‘ und ‚Uns‘ sind eigenartige Tiere, denen ich noch niemals begegnet bin. ‚Wir‘ und ‚Uns‘ kennen Dinge, die mir unbekannt sind. Stress kenne ich nicht und anfassen lasse ich mich auch nicht gern. Ich musste das Anfassen mal zulassen, weil ich Kinder wollte und das geht ohne Anfassen nicht. Aber als die Kinder erwachsen waren, habe ich wieder ausgeschlossen. Ausser den Enkeln, solange sie klein sind, darf mich niemand berühren und ich berühre auch niemanden.

    Ich weiss aus meine Berufstätigkeit ziemlich sicher, dass ich da nicht der Einzige bin. Die beiden seltsamen Tiere ‚Wir‘ und ‚Uns‘ gibt es sicher häufig, aber nicht so häufig, wie immer unterstellt wird.

    • Christina sagt:

      Wieso wollten Sie eigentlich Kinder? Sie haben uns schon andernorts geschildert, dass Ihnen eigentlich alle Mitmenschen zu viel sind und jeden Anschluss als Belästigung empfinden. Dass so vielen die Umarmung fehlt, ist eben die Folge davon, dass wir lieber auf Empathie verzichten, denn das schafft Verpflichtungen. Nichts ist in dieser Welt umsonst zu haben. So eine Einstellung können sich nur Reiche leisten, und jetzt klagen sie über die Folgen. Mit Pro Senectute, Rheumeliga und Spitex kommt man ja schon irgendwie durch.

    • Einzelkind sagt:

      @Schrader: ich fühle mit Ihnen! Mir sagte körperliche Nähe noch nie etwas, und das hat sich auch nie geändert. So gerne ich meine sozialen Kontakte pflege, so angewidert bin ich von anderen Menschen egal welchen Geschlechts, kommen sie mir zu nahe.
      Die einzige Ausnahme geht zurück auf meine späten Teenagerjahre, als ich einmal im Suff mit einer Schulkameradin knutschte – dabei ist es bis heute geblieben. Und nein: ich vermisse nichts ausser manchmal das Verständnis von Dritten für diese Eigenheit!

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