Best of: Die Depression, die vom Darm kommt

Die Autorin ist in den Ferien. Deshalb publizieren wir dieses Posting aus den vergangenen Monaten, das besonders viel zu reden gab. Es erschien erstmals am 17. Februar 2018.

Von Kopf bis Fuss

Sie machte den Darm «gesellschaftsfähig»: Die Medizinerin und Autorin des Bestsellers «Darm mit Charme», Giulia Enders. Foto: Franziska Krug (Getty)

Noch vor wenigen Jahren war alles, was mit dem Darm oder mit der Verdauung zu tun hatte, ein Tabu. Doch das hat sich definitiv geändert. Was mit Giulia Enders’ Millionenseller «Darm mit Charme» vor vier Jahren begann, hat viele Nachfolger gefunden, die mit so k(n)ackigen Titeln wie «Alles Scheisse?», «Krebs – und trotzdem lacht der Darm» oder «Schlau mit Darm» an den Erfolg der jungen Medizinerin anknüpfen wollen.

Doch ganz so neu ist das Interesse an dem Verdauungsorgan nicht, das eine Länge von etwa sieben bis acht Metern hat und eine Oberfläche von 400 bis 500 Quadratmetern aufweist. Schon in sehr frühen Kulturen zog man Parallelen zwischen seiner reibungslosen Funktion und unserer Gesundheit. Schon Hippokrates vertrat 300 v. Chr. die These: «Der Tod sitzt im Darm.»

Heute weisen immer mehr aktuelle Studien darauf hin, dass der Darm nicht nur für unser Immunsystem wichtig ist, sondern auch einen Einfluss auf unsere psychische Gesundheit hat. Allerdings stecke die Forschung noch in den Kinderschuhen, sagte Aletta Kraneveld, Professorin für Pharmakologie an der niederländischen Universität Utrecht, gegenüber dem Wissenschaftsportal Spektrum.de. Tatsächlich interessiert sich die Wissenschaft erst seit etwa zehn Jahren für die Kommunikation zwischen Gehirn und Darm.

Der Bauch produziert Glückshormone

Das Bauchhirn ist ein riesiges Nervengeflecht und sitzt in den Wänden unserer Verdauungsorgane zwischen den Muskeln. Es bildet dort eine dünne Schicht, die aus 100 Millionen Nervenzellen besteht, vier- bis fünfmal mehr als das Gehirn oder das Rückenmark. Wissenschaftler sind sich mittlerweile sicher, dass das Bauchgehirn eine Art Kopie unseres Gehirns ist. Darauf deutet vor allem hin, dass in beiden Organen dieselben Hormone, Botenstoffe und Rezeptoren wirken. Auch die Nervenzellen sind identisch.

Wie die Kommunikation zwischen Darm und Hirn allerdings genau abläuft, darüber gibt es noch keine Gewissheit: «Ich vermute, eine Veränderung der Darmflora schlägt sich auf die Aktivität des Immunsystems nieder», sagt Aletta Kraneveld. Jedenfalls weisen Humanstudien darauf hin, dass depressive Verstimmungen mit einer Zunahme von Entzündungsstoffen einhergehen.

Der Zusammenhang zwischen unserer Laune und Glückshormonen wie Serotonin und Dopamin ist unbestritten. «Was allerdings wenige Menschen wissen, ist, dass 95 Prozent des produzierten Serotonins in der Darmschleimhaut hergestellt werden», sagt der Psychiater Josef Hättenschwiler. «Von dort geht es in den Blutkreislauf, kann aber die Bluthirnschranke nicht passieren und so nicht direkt die Stimmung beeinflussen». Ist die Darmflora durch bestimmte Bakterien gestört, kann sich das über zum Teil noch unbekannte Mechanismen auf die Stimmung negativ auswirken.

Aktiv zur Darmgesundheit beitragen

Es ist also durchaus vorstellbar, dass Depressionen nicht zuerst mit der Hirnaktivität in Verbindung stehen, sondern dass der Darm der Verursacher ist. «Vor allem eine ungesunde Ernährung fördert schädliche Darmbakterien», sagt Kraneveld. «Gesunde Kost kann die Symptome verringern, aber diese muss der Patient langfristig durchhalten.»

Aber nicht nur ungesunde Ernährung, sondern auch Stresshormone können die Nerven- und Immunzellen im Darm beeinflussen. Das beweisen Krankheiten wie beispielsweise der Reizdarm. Vielen Darmerkrankungen kann man vorbeugen, indem man versucht, Stress, Anspannung und Ärger zu vermeiden. Zusammen mit einer ausgewogenen Ernährung, dem Verzicht auf Nikotin und zu viel Alkohol sowie genügend Bewegung kann so jeder Mensch zu seiner Darmgesundheit beitragen.

Giulia Enders arbeitet übrigens nicht an einer Fortsetzung des Bestsellers «Darm mit Charme», der in 40 Ländern erschienen ist. Aber es gibt jetzt eine aktualisierte Neuauflage mit einem neuen Zusatzteil. Und auch die angehende Doktorin ist ausserordentlich an der Darm-Hirn-Verbindung interessiert, und dies bei Menschen. «Vorher gab es fast nur Studien an Tieren. Es ist zwar cool, wenn man endlich weiss, wie man den Stress seiner Haustiermaus verringern kann – aber letzten Endes wollen wir wissen: Was passiert bei uns Menschen, wenn es um unsere Laune, Stress oder depressive Verstimmungen geht?», sagte Enders gegenüber Stern.de.

7 Kommentare zu «Best of: Die Depression, die vom Darm kommt»

  • markus kohler sagt:

    Eine wirkliche Ahnung hat die Buchautorin nicht. Wirklich vertiefte Kenntnisse der Medizin erlangt man nur in der praktischen Arbeit mit Patienten. Es braucht viele Jahre Knochenarbeit, auch mit unangenehmen Nachtdiensten. Ein Girlie, das gerade erst ihr Studium abgeschlossen hat, mag nett aussehen und viel Begeisterung mitbringen, mehr als ein Kinderbuch ist ihr Werk leider nicht.

    • Frank sagt:

      Haben Sie das Buch überhaupt gelesen? Oder wie kommen Sie zu diesem Urteil? Besonders würde mich interessieren, weshalb in diesem Kontext die Anzahl Nachtdienste eine Rolle spielen soll.

    • Dorian Best sagt:

      Herr Kohler, bitte das Buch *lesen*. Gulia Enders schreibt aus der Sicht einer Betroffenen, deren Unverträglichkeitserfahrungen sie an das Thema heranführte. Es ist wohl richtig, dass es sich nicht um ein medizinisches Fachbuch handelt, aber es bringt die Sache auf den Punkt.

  • Martin Saner sagt:

    „Es bildet dort eine dünne Schicht, die aus 100 Millionen Nervenzellen besteht, vier- bis fünfmal mehr als das Gehirn oder das Rückenmark.“

    Hat nicht das Gehirn etwa 86 Milliarden Neuronen, also fast 1000mal mehr als der Darm?

  • Andreas sagt:

    Schön zu sehen, dass auch die Schulmedizin in Ansätzen (sehr kleinen, aber immerhin) feststellt, dass eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen nötig ist, um Erkrankungen zu verstehen und um zu heilen. Dies ist zum Beispiel in der klassischen Homöopathie seit langem bekannt. Leider sind die Anreize in der Schulmedizin, vorallem im Pharmamarkt falsch ausgelegt. Solange die Pharmafirmen an der Krankheit verdienen und nicht am „Gesundsein“ wird sich nicht viel ändern. Unser Immunsystem ist ein mächtiges Werkzeug, eigentlich das Effektivste was wir haben, stärken wir besser dieses mit Hilfe der anderen Medizinarten wie zum Beispiel mit der klassischen Homöopathie.

    • Jacques sagt:

      Kann man Depressionen (Major, nicht depressive Verstimmungen) mit Homöopathie behandeln? Wenn ja, gibt es einen Wirkungsnachweis?

    • Philip sagt:

      Homöpathie ist ein Pseudowissenschaft genau wie Astrologie. Es gibt schlicht und einfach keine Beweisse, dass es wirkt. Dass man am Darm was machen muss/kann, auf jeden fall, gesamtheilticher Ansatz, na klar!…aber sicher nicht mit Globuli, Urtinkturen oder so ein Humbug. Liber gesnund ernähren, Bewegung etc.

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