Schreiben gegen das Sterben

Zum Beispiel Nina Riggs: Mit einem Blog und einem Buch thematisierte sie das eigene Sterben. Im Februar 2017 erlag sie dem Krebs. Foto: Nina Riggs via Twitter

«Sterben ist nicht das Ende der Welt.» Diesen Satz hatte Nina Riggs nie verstanden. Bis zu dem Tag, an dem die 38-jährige Amerikanerin die Diagnose Krebs erhielt. Die Ärzte gaben der zweifachen Mutter höchstens noch 36 Monate zu leben. Die Schriftstellerin schrieb in den nächsten Monaten in ihrem Blog Suspicious Country über ihren metastasierenden Brustkrebs und veröffentliche Texte in der «Washington Post» und in der «New York Times». Vor kurzem ist ein Buch von ihr erschienen. In «Die Helle Stunde» (BTB Verlag) beschreibt sie ihre letzten Lebensmomente auf beeindruckende Art und Weise. Keine Kampfansage an das Monster Krebs, kein Heldentum, sondern ihre ehrlichen Zweifel und Ängste und die Schönheit des Augenblicks.

Die Klaviatur der Gefühle

Durch das Internet, aber auch in Büchern, geraten Krankheit und Tod zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Noch vor wenigen Jahren wurden diese Themen an den Rand gedrängt. Es müssen auch nicht immer tödliche Krankheiten sein, auch über das Leben mit Diabetes, multipler Sklerose oder Reizdarm wird geschrieben. Aber natürlich sind es vor allem die Erlebnisse über das Sterben und den Tod, die besonders berühren. Die Betroffenen spielen mit ihren Aussagen auf der ganzen Klaviatur der Gefühle. Sie kämpfen, klagen an, geben Weisheiten weiter, belasten ihre Leser bis aufs Äusserste, lösen Mitleid aus, verursachen Unbehagen. Und sie beschreiben ihr Leben, wie es wohl in solchen Situationen ist: knüppelhart, hoffnungsvoll, niederschmetternd, aber auch humorvoll.

Lässt man sich auf das Leben der Kranken ein und begleitet man sie (aus sicherer Entfernung), kann das eigene Ängste schüren oder auch die Freude daran wecken, gesund zu sein, oder man fühlt sich als Voyeur, indem man Einblicke in Tiefen und Höhen miterlebt. In guten Momenten spürt man tief empfundenes Mitleid mit den Kranken, in schlechten ein Unbehagen, frei nach dem Motto: So genau wollte ich das nicht wissen. Denn das bewusste Sterben hat oft wenig Heroisches oder Verklärendes an sich, sondern ist einfach nur beschissen.

Wissenschaftler interessieren sich für die Blogs

Auch für die Forschung ist diese Art der Kommunikation interessanter geworden. Die Kommunikationswissenschaftlerin Deborah Chung und die Pathologin Sujin Kim von der University of Kentucky in Lexington sehen durch das Bloggen vor allem zwei Bedürfnisse schwer Erkrankter befriedigt: das nach emotionaler Unterstützung und das nach Information. Wie die deutsche «Ärzte-Zeitung» schreibt, haben die beiden Wissenschaftlerinnen in einer Umfrage mit 113 Teilnehmerinnen von Krebsblogs gezeigt, dass neben der emotionalen Stärkung der anderen auch der Informationsaustausch wichtig ist, wenn es beispielsweise um gute Therapien oder bessere Entscheidungen im Umgang mit der Krankheit geht.

Verfolgt man das Schicksal der Schwerkranken, verliert man oft die Distanz. Und erfährt man vom Tod des Schreibenden, trifft einen das so, als hätte man den Betroffenen wirklich gekannt. So ging es mir bei Nina Zacher, die ihre tödliche Krankheit ALS offensiv auf verschiedenen Kanälen teilte. Die Mutter von vier Kindern war sportlich, gut aussehend und beruflich erfolgreich, als ihre Muskelkraft zu schwinden begann, bis sie am Schluss vollständig gelähmt war. Kurz vor ihrem Tod, abgemagert auf 36 Kilo, schrieb sie auf Facebook: «Ich lasse mir jetzt Flügel wachsen und werde ein Engel.»

Viele Kranke und Sterbende haben die gleiche Einsicht: Erst als das Leben endlich wurde, konnte ich es wirklich auskosten. Wenn nur diese eine Botschaft die Überlebenden inspiriert, das Leben bewusster zu leben, haben die Erzählungen nicht nur für die Kranken, sondern auch für die Lesenden einen Sinn gemacht. Nina Zacher hat das geschafft. Und auch Nina Riggs. Sie ist im Februar dieses Jahres an Brustkrebs gestorben.

15 Kommentare zu «Schreiben gegen das Sterben»

  • Ka sagt:

    Des is ja jenau so…lass sie reden…lass sie doch einfach machen…sie tun jedenfalls was respekt carolina

  • Martin sagt:

    Wer will soll so Sachen lesen. Ich persönlich bin der Meinung, dass zu viel Negatives verbreitet wird. Das Drama hat ausgedient, also holt man sich echte Dramen und ergötzt sich daran. Ich finde das pervers. Meine Mutter hat auch immer wieder vom Tod gesprochen und auch andere Leute aus meinem Umfeld. Ich habe mir einfach gedacht: „Wenn ihr sterben wollt, dann macht ruhig, ich bleibe noch ein bisschen hier.“ Ich kann so Deprogerede nicht ausstehen. Es ist nichts philosophisches am Tod. Mir tut es immer leid für solche Menschen, die an solchen Krankheiten sterben und es auch wissen. Leider ist so Deprozeugs sehr weit verbreitet und wird auch als wichtig und philosophisch betrachtet. Wer das nicht so sieht, der ist doof. Bin ich eben doof.

    • Peter H. sagt:

      Ausser dem Titel, der nicht von der porträtierten Nina Riggs oder einer andern im Artikel erwähnten „Bloggerin“ stammt, sondern von der nicht sehr bedarften Journalistin, ist der Inhalt keineswegs depro. Aber haben sie ihn gelesen, Mister Antidepro Depro (Martin)?

  • Grollimund sagt:

    Würde die Menschheit sich vermehrt mit diesem Thema befassen (können), hätten wir etwas mehr Ruhe auf dieser Welt!

  • Leila Stern sagt:

    Eine Bemerkung zur Blogüberschrift noch: Gegen das Sterben hilft weder das Reden noch das Schreiben.

    • Peter H. sagt:

      Einverstanden, aber die Sprache ist so dehnbar wie etwa Kaugummi: Sie meinte wohl nicht den Kampf gegen das Sterben, sondern gegen das Sichaufgeben, und das ist ihr im Artikel (äh … Blogbeitrag) durchaus gelungen, nicht wahr?

  • Leila Stern sagt:

    „Keine Kampfansage an das Monster Krebs, kein Heldentum, sondern ihre ehrlichen Zweifel und Ängste und die Schönheit des Augenblicks.“ – Ein gänzlich verunglückter Satz!

    Beim Schreiben sollte man auf die Eigenschafts- und Bestimmungswörter achten! – Gibt es „unehrliche Zweifel und Ängste“?

    „Auch für die Forschung ist diese Art der Kommunikation interessanter geworden. […]“

    Im soeben teilweise zitierten Satz vermisse ich das Hauptwort „Exhibitionismus“. – Wer erinnert sich heute noch an die „Diktate über Sterben und Tod“ oder an die via Television vermittelten peinlichen Auftritte des sterbenskranken und alsdann verstorbenen Baumeisters und Politikers This Jenny?

  • Anh Toàn sagt:

    Ich schreibe Kommentare gegen die Endlichkeit meines Daseins: Wir wissen doch: Das Netzt vergisst nie!

    • Jacques sagt:

      Ich schreibe gegen den Lauf der Zeit. Die Erde dreht sich weiter, und ich mit ihr. Immerhin bleibe ich standhaft dran; wie Sisyphos. Man muss ja etwas tun.
      Pathos mag ich nicht. Ist eher ein Hobby.

  • Lorenzo Molinari sagt:

    „Erst als das Leben endlich wurde, konnte ich es wirklich auskosten.“ Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen und sagen: „Das Leben IST endlich“. Seit ich das „erlebt“ (keine Nahtoderfahrung, sondern etwas in mir drin, eine Emotion) und verstanden hatte, sind meine täglichen Handlungen bewusster geworden. Manchmal mache ich etwas nicht, weil mir die verbleibende Zeit dazu zu schade ist.

  • Jean-Pierre Neidhart sagt:

    Denn das bewusste Sterben hat oft wenig Heroisches oder Verklärendes an sich, sondern ist einfach nur beschissen. Diese Aussage der Autorin zeigt mir vor allem eines; die Menschen haben scheinbar noch nicht begriffen, dass der Tod genauso zum Leben gehoert wie die Geburt. Wer sich also sein ganzes Leben lang nicht auf den Tod vorbereiten und auseinandersetzen mag, der hat ganz einfach nicht richtig gelebt.

    • Samira Maurer sagt:

      Das ganze Leben, das machen heute kaum noch Menschen und das fängt schon früh an: Viele Kinder lernen inzwischen den Tod meist irgendwann im späten Teenager- oder frühen Erwachsenenleben kennen.
      Erst werfen Eltern aus fast immer rein egoistischen Gründen ein Kind ins Leben und dann sind sie zu feigen, dem Kind zu gestehen, dass sie ihnen als ständigen Begleiter des Lebens auch noch den Tod und die lebenslange Angst vor dem Sterben aufgehalst haben.

  • Ralf Schrader sagt:

    Mit Kunst hat das Betroffenheits- Geschreibsel nicht zu tun, aber auch der Kunst würde derzeit eine Entsubjektivierung, Entgegenständlichkeit gut tun. Individuelle Geschichte kann man ja ab und an lesen, aber nicht unbedingt öfter als einmal in der Dekade.

    • Jacques sagt:

      Wenn die Dame in schwarz (’schwarze Melancholie‘; nach C.G. Jung) aber Eintritt begehrt, bitte ich sie nicht herein, sondern weise ihr freundlich die Tür. Bin nicht Jungianer, Eso gar. Und höre lieber ‚Lady in Black‘ von Uriah Heep, mit bitter-zartsüsser Melancholie. Musik tut mir immer gut. Geniesse lieber Freud(e).

    • Carolina sagt:

      Sie können es lesen oder Sie können es lassen – es dürfte denen, die das Bedürfnis haben, solches zu schreiben bzw lesen, völlig gleich sein, wie Sie selber verfahren oder ob Sie dieser Gattung Kunst zusprechen oder nicht.
      Ich begleite Schwerstkranke und Sterbende seit Jahren und war selbst einmal sehr krank: seitdem verbiete ich es mir, darüber zu richten, wie Menschen mit Tod und Sterben umgehen. Es gibt keine allgemein verbindlichen Aussagen in diesem Bereich, ausser vielleicht der einen, dass immer noch jemand aus der Hecke spricht, der auch bei diesem Thema noch Besserwisserisches von sich geben kann.
      Verdrängung, Vorbereitung, Darüberschreiben, Berichte über das Sterben verschlingen, Schweigen etc – alles ist überlaubt und man hat darüber nicht zu richten.

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