Früher trainiert, heute glücklich


«Ich habe zu viel geopfert»: Trailer zum Dokumentarfilm «Embrace» von Taryn Brumfitt. Video: Majestic Film

Normalerweise geht ein klassisches Vorher-Nachher-Projekt so: Frau ist unzufrieden mit ihrem Körper. Frau diszipliniert sich, geht auf Diät und fängt an, Sport zu treiben. Frau hat Erfolg, postet ihr neues Körperbild in den sozialen Medien und bekommt dafür haufenweise Likes.

Diese Geschichte verlief anders. Eine Frau, genauer gesagt die australische Fotografin Taryn Brumfitt, litt nach der Geburt ihrer drei Kinder unter ihrer Figur und wollte dies ändern. Sie begann, obsessiv zu trainieren und auf ihre Ernährung zu achten. Nach einigen Monaten war sie so durchtrainiert, dass sie sogar als Bodybuilderin auftrat.

Die grosse Veränderung

Trotz ihres «Erfolgs» stellten sich bei ihr keine Glücksgefühle ein. Im Dokumentarfilm «Embrace», der vor kurzem in Deutschland Kinopremiere feierte und bei uns auf Netflix zu sehen ist, erzählt Brumfitt: «Ich hatte den perfekten Körper, den alle Frauen haben wollen. Aber ich habe nur gedacht: Um hierhinzukommen, habe ich zu viel geopfert, zu viel Energie, zu viel Besessenheit.»

Sie änderte ihre Einstellung und begann wieder zu essen, bewegte sich draussen statt im Gym und versuchte, zu spüren, was ihr Körper wirklich brauchte und ihm guttat. Aus dem durchtrainierten Muskelpaket wurde ein weiblicher, weicher Körper.

Doch die Fotografin wollte diese Veränderung nicht nur selbst spüren, sie wollte diese Erfahrung teilen. Sie stellte die Vorher-Nachher-Fotos ins Netz. Damit wolle sie nach eigenen Aussagen «die Frauen ermuntern, ihren Körper so zu lieben, wie er ist».


Das war 2013. Der Rest ist Geschichte. Die Fotos lösten eine riesige Debatte aus, über 100 Millionen Menschen teilten und kommentierten die Bilder. Neben viel Zuspruch wunderten sich viele, dass eine Frau ihren ganz normalen Körper lieben kann, auch wenn der nicht den Idealmassen entspricht.

Körpergefühl und Schlankheitswahn

Dieses enorme Echo motivierte die inzwischen 39-jährige Brumfitt, einen Dokumentarfilm zu machen und darin den allgemein herrschenden Schlankheitswahn zu thematisieren. Für den Film reiste sie um die Welt, befragte die unterschiedlichsten Frauen über ihr Körpergefühl und versuchte herauszufinden, warum es Frauen so schwerfällt, sich selbst zu mögen. In Wien traf sie schliesslich auf die Schauspielerin und Produzentin Nora Tschirner, die ihre Einstellung teilt. Heraus kam eine beeindruckende Dokumentation. Brumfitts Botschaft: «Liebe deinen Körper, denn er ist der einzige, den du hast!»

Ob «Embrace» etwas verändern wird, ist fraglich. Solange auf allen Kanälen ein fragwürdiges Schönheitsideal gehypt wird, scheint dies illusorisch, denn ein überkritischer Blick auf den eigenen Körper lässt sich nicht so schnell verändern. Ein positives Selbstbild zu bekommen, hängt von vielen Faktoren ab. Trotzdem ist ein Film wie «Embrace» wichtig. In einer Gesellschaft, in der über 90 Prozent der Frauen mit ihrer Figur unzufrieden sind und 45 Prozent aller Frauen mit einem gesunden Körpergewicht denken, sie wären zu fett, regt er zum Nachdenken an. Und er gibt vielleicht einen Anstoss für einen liebevolleren Blick auf sich selbst.

20 Kommentare zu «Früher trainiert, heute glücklich»

  • Lina sagt:

    Wie unfassbar traurig und beschämend, dass dieser Film in der Schweiz nicht die nötige Aufmerksamkeit erhält und im Kino gezeigt wird, so wie unter anderem in Deutschland, Australien. Er würde der Frauenwelt so gut tun !!

  • Leo Klaus sagt:

    Ich kenne in meinem Umfeld keine Frau unter 50 die mit ihrem Koerper und ihrem Aussehen rundum zufrieden waere. Viele dieser Frauen sind ganz normal, einige haben vielleicht ein paar Kilos mehr, viele sind sogar sehr attraktiv und fit, zufrieden sind sie aber alle dennoch nicht. Sie sind stets um ihren Gewicht, ihren DIaet, Fitness usw. besorgt, damit sie ja nicht „dick“ werden. Ueber andere Dinge wie Kleider und Schminke muss man ja gar nicht reden.

    Diese Einstellung werden sie passiv und aktiv an ihrem Nachwuchs weitergeben.

    Ist es nicht deprimierend? In welcher Welt leben wir?

  • oez selma sagt:

    Leider nicht auf Netflix!!!

    Schade!!!

  • Thomas sagt:

    Jeder Körper ist schön, jede Frau und jeder Mensch ist etwas vom wunderschönsten was es gibt.

  • Speech sagt:

    Es wurde langsam Zeit, dass dieses Thema so breit aufgegriffen wird! Wir dürfen nicht vergessen, dass die Optimierung des weiblichen Körpers eine lange Tradition hat, aus welcher die Schönheits- und Fitnessindustrie Kapital schlägt und grossen Umsatz generiert. Übrigens, aus einem Gender-Aspekt aus gesehen: habt ihr auch schon Männer beobachtet, die mit „rausgestrecktem Ranzen, ungeschnittenen Nasenhaaren und nicht sehr vorteilhaft überkämmten Glatzen“ rumstehen und aus der Wäsche kucken, als würde ihnen die Welt gehören? Dies ware für alle Frauen wünschenswert!(selbstverständlich meine ich damit dieses natürliche Gefühl der Selbstsicherheit und Wohlbefinden im eigenen Körper). Ich glaube ernsthaft, dass die Welt dann eine bessere wäre weil Komplexe die Wurzel mancherlei Übel sind.

  • Laura Fehlmann sagt:

    Was heisst „den Körper so lieben, wie er ist“? Der Körper ist ja nicht einfach gottgegeben, sondern verändert sich, je nachdem was und wieviel wir essen und ob wir uns mehr oder weniger bewegen. Wir haben nur einen Körper, wenn wir ihn gesund und schön erhalten bedeutet das noch keinen Schönheitswahn!

    • Speech sagt:

      Es geht in diesem Beitrag darum, dass viele Frauen VIEL MEHR tun müssen als „nur ein bisschen den Körper gesund und schön erhalten“, um den in den Medien vorgelebten extremen Schönheitsidealen zu entsprechen. Und zwar so viel dafür tun müssen, dass dies zur Besessenheit führt und die Energie, die reingesteckt wird, im totalen Unverhältnis zu den anderen wichtigen Aspekten im Leben steht. Und das ist einfach nur traurig/schade/unnötig….

      • Laura Fehlmann sagt:

        Bleibt zu definieren, was VIEL MEHR ist. Für viele ist das schon, 2 Busstationen zu gehen…

      • Chris Stoffer sagt:

        Aha und Männer sehen automatisch durch nichts tun aus wie die in den Medien vorgelebten extremen Schönheitsidealen (äh Muskelprotze).

        Und jetzt kommt mir nicht mit dem Unsinn, dass ihr einen dünnen Schlacks einem Hugh Jachmann vorzieht.

        Oder anders gesagt. Das Aussehen ist nun mal wichtig und es gehört auch zu einer gesunden und respektvollen Beziehung sich nicht gehen zu lassen. Jeder der ohne Aufwand sich einen super-body bekommen könnte, würde das auch tun. Nur weil man zu faul ist dann einfach das als Mediendruck weg zu rationalisieren ist lächerlich. Was ich akzeptieren kann ist Ehrlichkeit: Ich bin zu faul dafür / Mir fehlt die Disziplin. Usw. Aber Armes Medien-Opfer spielen. Lächerlich und betrifft alle, auch Männer.

      • Franz Pfister sagt:

        @Chris Stoffer:
        Männer sind vom Körpervergleichswahn weniger betroffen, könnte aber vor allem daran liegen, dass Männer den Vergleichswahn primär in anderen Disziplinen ausüben.
        Ändert nichts daran, dass es lächerlich ist. Noch lächerlicher wird es wenn man sich vor Augen führt, dass die pösen Medien bloss das liefern was der Konsument, sprich die Frau, offenbar will.

  • erich schweizer sagt:

    Diese 90 % mit ihrem Körper unzufriedenen Frauen gibt es nur in der Fantasie.
    In Wahrheit sind es sicher weniger als die Hälfte, ausser die Frage lautete: Waren Sie jemals in Ihrem Leben unzufrieden mit Ihrem Körper?
    Bei den Männern sind es nochmals viel weniger.

    • Andrea sagt:

      Aha! Und woher nehmen Sie ihre Meinung? Wenn man den Frauen so zuhört scheinen mir die 90% nicht wirklich ein Fantasieprodukt.

    • Christoph Bögli sagt:

      Ich würde nicht sagen, dass es diese „90%“ nicht gibt, sondern dass das Problem eher darin liegt, dass da eine erfragte Banalität zum Drama aufgeblasen wird. Wenn man Leute fragt, ob sie mit ihrem Körper wirklich hundertprozentig zufrieden sind, wird dem wohl kaum jemand zustimmen. Etwas besser hier oder da ginge ja effektiv immer. Das ist wie mit dem Geld, da würde auch niemand verneinen, dass etwas mehr ganz nützlich wär.

      Bloss: Das ist eben trivial und keineswegs problematisch. Der Anteil an den „90%“, bei denen diese „Unzufriedenheit“ wirklich ein relevantes Ausmass hat, also zu einem dominierenden, gar krankhaften Teil des Lebens wird, dürfte verschwindend klein sein.

    • tina sagt:

      denke auch, da sind halt alle mit dabei, die ihren körper nicht für makellos halten. sprich 10% sind total eingebildet 😉

      • tina sagt:

        ok, falsch. ein teil dieser total rundumzufriedenen sind einfach genau das. ein grosser teil von diesen vorsätzlich. zurecht 🙂

  • Cybot sagt:

    Zum Glück gibt es immer noch jede Menge Leute (auch Frauen), die sich nicht nur über Likes in Social Media definieren. Die 90% Unzufriedenen entstehen doch nur deshalb, weil die Zufriedenen an den entsprechenden Umfragen gar nicht teilnehmen, die finden ja meist genau auf den Seiten statt, die die Frauen erst unglücklich machen.

    • Doris sagt:

      Cybot: So sehe ich das auch. Sich vernünftig gesund zu halten und Sport zu treiben etc., ist gut für das Wohlbefinden, aber der stete Zwang zur Selbstoptimierung einiger Frauen hat für mich etwas Hysterisches an sich. Leitsatz: Ich bin schlank, also bin ich? Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, Mangel an andern Inhalten etc. Die wirklich umwerfenden Frauen sind für mich die, die ganz viel an mentaler Stärke, Zufriedenheit ausstrahlen und auch mal herzhaft über sich selbst lachen können.

    • Irena sagt:

      So ist es! Auf den Punkt gebracht!

  • Matthias Schärer sagt:

    Unterhalb des Artikels steht: „Das könnte Sie auch interessieren“. Das Kontrastprogramm vom Tagi zum Artikel von Frau Aeschbach.

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