Wenn der Sonntagabend-Blues kommt
Je länger der Sonntag dauert, desto mehr schleicht sich bei mir eine gewisse Melancholie ein. Diese seltsame Leere, verbunden mit einer leichten Nervosität, verspüre ich meist so gegen fünf Uhr nachmittags. Ich kenne dieses Gefühl seit ich denken kann. Als Kind hatte ich dann immer das Gefühl, der Himmel würde sich verdunkeln. Und das auch im Sommer.
An solchen Abenden kann ich mich zu nichts aufraffen, am liebsten würde ich mit dem Sofa verwachsen. Es geht mir nicht wirklich schlecht, aber es scheint, als wäre meine Energie, die mich noch am Samstag beflügelte, in ein schwarzes Loch verschwunden. Ich habe mir schon oft überlegt, was mich im Laufe des Sonntags runterzieht. Ist es der Montag, der mir auf dem Magen liegt? Das Nicht-Wissen, was mich erwarten wird? Nein, ich freue mich auf meine Arbeit und meine Bürokollegen. Das Gefühl, nicht alles aus dem Wochenende «rausgeholt» zu haben? Auch das ist es nicht. Die Zeiten der voll verplanten Weekends sind schon lange vorbei. Oder ist es die Tatsache, dass die Strassen meistens leer sind und draussen nichts los ist? Nö, ich bin ja am Sonntagabend selten unterwegs. Zu meiner gedämpften Laune passt es auch, dass ich in der Nacht von Sonntag auf Montag meistens schlecht schlafe. Ich glaube, dass vor allem ein aus dem Lot geratener Schlafrhythmus der Grund sein könnte. Denn ich gehe am Wochenende später ins Bett, und ich schlafe auch länger.
Katerstimmung ohne Feier
Mein Mann hat noch eine andere Vermutung. Er meint, dass mir am Sonntag die berufliche Anerkennung fehle, und dass ich das gegen Abend besonders stark spüre. Das ist natürlich Mumpitz, denn ich bin schliesslich kein Workaholic.
Mit meiner Sonntagabend-Missstimmung bin ich nicht alleine. Bereits in den 1950er-Jahren beobachtete der Wiener Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl das «Gefühl der Öde und Leere, der Inhaltsleere und Sinnlosigkeit des Daseins, wie es gerade beim Stillstand wochentätiger Betriebsamkeit im Menschen aufbricht und zutage tritt.» Diese These ist durchaus nachvollziehbar, aber ich spüre die Missstimmung ja erst am späteren Nachmittag. Ich fühle mich dann so, als wäre ein Fest vorbei und ich sässe an einem langen Tisch mit lauter leeren Gläsern. Die Freunde sind gegangen, nur die überquellenden Aschenbecher und der Geruch von Zigaretten erinnern noch an die lange Nacht.
Wenn ich jetzt Single wäre, könnte ich den Sonntagabend-Blues leichter erklären, denn die Einsamkeit, die man dann oft spürt, kenne ich aus beziehungslosen Zeiten. Das ist aber nicht der Fall, und ich fühle mich in meinem Zuhause geborgen.
Zeit für Melancholie
Ich habe schon einiges unternommen, um meine Baisse auszutricksen. Nonstop fernsehen, inklusive «RTL Exclusiv» und eines «Tatort» hellten meine Laune nicht wirklich auf. Im Gegenteil, so ein «Tatort» ist nicht ein wirklicher Freudenspender. Ich habe Sport getrieben, bin ins Kino gegangen, habe mit meinen Hunden / meinem Mann geschmust, traurig-schöne/fröhliche Musik gehört. Ein üppiges Nachtessen brachte auch nichts ausser Bauchdrücken. Alkohol war auch keine Lösung. Einladungen? Eher nicht, ich will meine Freunde nicht mit meiner schlechten Stimmung langweilen. Und das Onlineshopping, sonst ein Garant für eine gewisse Zufriedenheit, konnte aus Budgetgründen auch nicht immer herhalten.
Aber nicht nur die Psyche ist verstimmt, nicht selten zwickt und zwackt es mich im Verlaufe eines Sonntags, ich spüre oft meinen Magen, oder ich habe Kopfschmerzen. Vielleicht ist das ein psychosomatisches Problem, eine sogenannte Leisure Sickness. Das gleiche Phänomen, wie wenn man immer in den Ferien krank wird. Es kann aber auch sein, dass ich am Sonntagabend einfach zu viel Zeit zum Grübeln habe. Und das tut bekanntlich nie gut.
Vielleicht ist die Akzeptanz der einzige Weg, mit dem ungeliebten Gast umzugehen. Stimmungsschwankungen gibts ja auch unter der Woche, aber dann ist man halt eher abgelenkt. Und vielleicht braucht auch die Melancholie einfach einen Platz in meinem Leben.
18 Kommentare zu «Wenn der Sonntagabend-Blues kommt»
gut getroffen, der beschrieb dieses unerklärlichen gefühls. ich glaube, es liegt daran, dass es immer mehr menschen vor dem montag und der neuen woche graut. soviele menschen gehen nur arbeiten, um am wochenende die sau raus zu lassen. sie haben einen «job», aber keinen beruf. denn beruf bedeutet «berufung» und wer erlebt heute noch seine arbeit als «berufung» ? das sind ganz wenige. ich habe es erlebt. es ist ein sagenhaftes gefühl! für die meisten dient der sonntag nur noch der ausnüchterung, welcher am sonntag abend der grosse kater folgt. feinfühlige menschen, zu denen die autorin ganz sicher zählt (und auch ich mich zähle), spüren diese stimmung und können sich kaum dagegen wehren oder doch?
Das mag bei nicht wenigen Menschen zutreffen, aber die Autorin hier schreibt doch, dass sie gerne arbeiten geht. Ich grundsätzlich auch, dank spannendem und privilegiertem Beruf. Trotzdem kenn ich das Gefühl auch, zumindest ab und an. Mit der Abneigung vor der Arbeit hat das aber nichts zu tun. Insofern wäre meine Erklärung eine etwas Grundlegendere: Der Sonntag ist eine ständige Erinnerung daran, wie schnell die Zeit vergeht. Weshalb dieses „schon wieder eine Woche um?!“ schnell mal ein mulmiges Gefühl bereiten und sich in Melancholie niederschlagen kann..
Lustigerweise habe ich das Problem nicht mehr, seit ich am Montag nicht mehr arbeite. Der Dienstag ist nun zwar mein erster Arbeitstag der Woche, der Blues fällt aber am Sonntag wie auch am Montag weg.
Ich kannt dieses Phänomen ebenfalls schon als Kind, und zwar schon am Sonntag Morgen, aber jeweils auch an den Festtagen wie Weihnachten, Ostern, Auffahrt, etc. Die Melancholie, dass alles wieder vorbei ist, die ganze Bescherung, der Samstag Abend, etc.
Sunday-Evening-Blues-Nutrition. Aber da kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.
Warum gegen den Blues ankämpfen? Ich geniesse es an manchen Sonntagen mich in genau diesem zu suhlen. Dieser Gemütszustand ist es, der es mir ermöglicht mit voller Musse zu backen / kochen (vorrätig für die Woche zum Beispiel), Briefe zu schreiben, Musik zu hören, in der Wohnung was umzuorganisieren… Alles hat einen anderen Rhythmus.
Also meine Devise: Annehmen und Dinge tun, die ohne diesen „Gang zurück“ nicht gleich viel Spass machen.
Es ist so einfach. Ein paar Stellenprozente streichen, auf etwas Luxus verzichten, Fixkosten tief halten und Projekte starten ausserhalb der Arbeitszeit, die einem auch am Sonntag freude machen. Warum ist der Sonntag immer so heilig? Frei nehmen an Wochentagen für freiwilligen Arbeit, oder Ausflüge hilft die Woche etwas zu brechen.
Die zeitliche Freiheit ist der neue Luxus.
Ich kannte dieses Gefühl nur allzu gut, bis zu dem Zeitpunkt als ich vor 10 Jahren mit Schichtarbeit angefangen habe. Mich interessieren heute keine Wochentage mehr, oft vergesse ich was für ein Tag gerade ist und Samstag und Sonntag sind Tage wie alle anderen. Dafür geniesse ich Freitage unter der Woche umso mehr oder der Heimweg morgens um 7 wenn all die anderen zur Arbeit fahren. Wenn es auch gesundheitliche Nachteile haben kann, mir geht es mit der Schichtarbeit psychisch viel besser. Kein monotones dahinackern mehr, sondern viel mehr Abwechslung im Alltag. Mir ist klar, dass dies nicht jedermanns Sache ist, aber mir bietet Schichtarbeit Erleichterung.
Kann ich mir gut vorstellen, dass das so ist.
«… habe mit meinen Hunden / meinem Mann geschmust …» Seltsame Reihenfolge. Vielleicht liegt da das Problem …
Ja warum wohl haben die Menschen einen Sonntag-Abend Blues? Weil die grosse Mehrheit der Menschen einen Scheiss-Job hat, mit einem miesen Lohn und ohne Anerkennung und Wertschätzung am Arbeitsplatz.
Genau richtig, Gerhard. Bei mir hörte der Blues in dem Augenblick auf, als ich pensioniert wurde, oder noch ein bisschen früher, sobald ich die Pensionierung in Sichtweite hatte. Und das hoffe ich doch für alle andern auch. Habe mich mit 60 verabschiedet und es die letzten 6 1/2 Jahre niemals bereut. Seither geniesse ich den Blues in musikalischer Form, von Robert Johnson und wie sie alle hiessen bis hin zu den heutigen Grössen.
Oh ja, das kenne ich. Wie schön, dass das in einem Blog aufgenommen wird!
Für mich hat das Gefühl den klaren Grund, dass es am Montag wieder losgeht mit dem getakteten Leben.
Und im Gefühl, dass das Wochenende fast zu rasch verflogen ist mit Aktivitäten/Erledigungen etc.
Das beste, was bei mir dagegen hilft: Um 15.30 aufbrechen in den nahen Wald und ein Feuer machen. Guetzli, Früchte und Tee dazu. Mit meinem Mann und meinen drei Kindern in die Glut starren, dem Sonnenuntergang entgegen. Die Waldluft atmen. Ohne Smartphone sein. Probieren Sie’s mal aus, 1-2 Stunden reichen!
Dieses Gefühl kenne ich auch in der gleichen Art und Weise, manchmal etwas stärker dann wieder schwächer. Mein Weg war der folgende:
Da dies meines Wissens nicht heilbar ist, sollte diese Empfindlichkeit als menschliche Unvollkommenheit akzeptiert werden. Darin liegt der Lernprozess: In Demut wertfrei diese Schwachstelle in unserem Leben annehmen. Dann wird diese Ebene heil, im Sinne von Seelenheil.
melancholie in kleinen dosen bereichert unser leben. diese momente des innehaltens nach schönen erlebnissen ein wichtiger bestandteil um gesund und munter die neuen nächsten ziele anzupeilen. nicht hängen bleiben am erlebten und keine zu grosse nostalgie zulassen die dann bedrückend werden kann. ich halte es da wie im film vom winde verweht: loslassen und nach vorne schauen! morgen ist ein neuer tag und neue möglichkeiten. edith
Ich kenne das „Problem“ von meiner Frau her zur Genüge. Es hat wohl auch damit zu tun, dass am Montag wieder der geordnete Ablauf, die Monotonie bevorsteht. Man muss sich nur vorstellen, dass man am Montag Morgen früh den Flieger in einen abenteuerlichen Urlaub nimmt. Hätte man dann dieselbe Melancholie am Sonntag Nachmittag verspürt? Wohl eher nicht. Es ist wahrscheinlich die Angst vor dem Alltag, das Fehlen von Impulsen, das fehlende Benzin für den Antrieb. Genau hier ist der Hebel anzusetzen: woher kommt der Antrieb? Hat man einmal die Quelle gefunden, ist die Melancholie wie weggeblasen.
Es hilft im Leben sich seine persönlichen Kraftorte zu suchen und zu finden, sei es in Form eines Ortes, Menschen oder Hobby.
Oh was für ein Kommentar am Sonntagmorgen. Es überfällt mich auch manchmal. Der Sonntagsblues. Was ich dagegen mache? Alles für die nächste Woche schon am Samstag versuchen zu administrieren und zu erledigen. Sonntag 17.00h ist mit Sicherheit der falsche Zeitpunkt. Es hilft auch den Tagesplan etwas umzustellen. So habe ich letzten Sonntag eine Sonnenaufgangsfahrt gemacht. Diese wird vielerorts an vielen Berggipfeln angeboten, oder ich fahre extra an den Flughafen um ein Buch zu kaufen, welches ich dann zu lesen beginne. All das lässt sich übrigens auch mit Kindern machen. Auch die Sonnenaufgangsfahrt. Dann heissts eben abends früh ins Bett (für alle wäre das dann). Dem Kopf hilft es sehr, wenn man etwas macht, was man noch nie gemacht hat. Eine Stadt, ein Hobby, Ausflüge, etc.