Edward mit den Zauberhänden

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Extravagant und doch bescheiden: Edward Bess. Foto: www.edwardbess.com

Als Erstes fallen seine dunklen Haare auf, die in weichen Wellen über seine Schultern bis runter zu den Hüften fallen. Ein eher ungewohnter Anblick in einer exklusiven Parfümerie an der Zürcher Bahnhofstrasse, wo gut betuchte Kundschaft verkehrt. Hier hat der amerikanische Make-up-Designer Edward Bess einen kurzen Zwischenhalt eingelegt, um seinen gleichnamigen Brand vorzustellen. Eigentlich ein normaler Pressetermin, der aber durch die ungewöhnliche Persönlichkeit von Bess ziemlich speziell wird. Da wäre zuerst einmal seine ungewohnt herzliche und offene Art, die in der Branche, die sich so sophisticated gibt, unüblich ist. Trotz seines extravaganten Äusseren tritt Bess ungewöhnlich bescheiden auf und wirkt fast ein bisschen verloren zwischen all den luxuriösen Cremen und Tiegeln.

Er muss meinen erstaunten Blick auf seine Haarpracht richtig gedeutet haben: «Du kannst sie gerne anfassen, das wollen alle», sagt er zur Begrüssung. Und so greife ich in die seidenweichen Strähnen eines jungen Mannes, den ich geschätzte drei Minuten kenne. So viel Intimität könnte durchaus eine peinliche Komponente haben, aber Bess lacht jegliche Befangenheit weg. «Wir wären ein schönes Duo, du und ich», stellt er fest, und zieht mich vor einen grossen Spiegel, «du mit deinem kurzen Pixie à la Mia Farrow, und ich mit meiner Walla-Mähne.» Das Eis ist gebrochen.

Bess macht keine Werbung für seine Haarpracht, auch wenn das vielleicht naheliegend wäre, sondern für seine eigene Make-up-Linie. Er ist gerade aus den USA angereist, wo er als kommender Superstar in der Branche gehandelt wird. Gerade mal 30 Jahre alt, wurde er vor zehn Jahren mit einer einzigen Lippenstift-Kollektion berühmt und mit Auszeichnungen überhäuft. So kürte ihn das Magazin «Time» zu einem der «Top 100 People and Ideas Behind Today’s Most Influential Design», das renommierte «Allure»-Magazin wählte seine Produkte als «Best of Beauty»-Winner, und Oprah Winfrey outete sich als sein Fan, genauso wie eine Vielzahl von anderen weiblichen Stars.

BEVERLY HILLS, CA - FEBRUARY 11: Cosmetics designer Edward Bess (L) and guests attend the Neiman Marcus Beverly Hills Grand Re-Opening of Cosmetics and Fragrance at Neiman Marcus on February 11, 2015 in Beverly Hills, California. (Photo by Rachel Murray/Getty Images for Neiman Marcus Beverly Hills)

Mit wenigen Handgriffen zum perfekten Make-up: Edward Bess in einer Boutique in Los Angeles. Foto: Getty Images

In den letzten Jahren hat Bess seine Make-up-Kollektion weiterentwickelt, die jetzt in ausgesuchten Läden weltweit, so zum Beispiel bei Bergdorf Goodman in New York und im Nobel-Kaufhaus Colette in Paris, erhältlich ist. Und jetzt eben in der Parfumerie Osswald in Zürich. Als Einzelkämpfer in einer Branche, die von einigen wenigen grossen Konzernen dominiert wird, seit zehn Jahren erfolgreich zu sein, braucht – neben viel Talent auch einiges an Standfestigkeit. Und Bess hat immer an seine Träume geglaubt.

Aufgewachsen in Charleston im Süden der USA, hat er schon als Knirps seine Mutter und seine Schwestern in Make-up-Belangen beraten. Woher er das Auge dafür hat, weiss er auch nicht so genau, nur dass «die Schönheit mich schon immer angezogen hat». Als Autodidakt lernte er alles rund ums Make-up, vor allem auch in jener Zeit, in der er selber erfolgreich als Model arbeitete.

Wenn es ums Schminken geht, lautet Edward Bess’ Devise: «Less is more.» Die Produkte, die er entwickelt, sollen die natürliche Schönheit einer Frau unterstreichen. Genauso wie seine berühmte Kollegin, die Unternehmerin Bobbi Brown, setzt der Jungstar erfolgreich auf Understatement. Und natürlich lässt er es sich nicht nehmen, seine Make-up-Kunst auch gleich am Objekt zu zeigen. Ich zögere ein bisschen: Draussen ist es an die 35 Grad heiss, und der Schweiss fliesst in Strömen. Doch Bess zeigt kein Erbarmen. Mit flinken Bewegungen trägt er seine Produkte auf mein verschwitztes Gesicht auf, und nach fünf Minuten schaut mir ein ziemlich optimiertes Ich aus dem Spiegel entgegen. Mit nur wenigen Handgriffen hat es der Make-up-Künstler verstanden, meine Haut zum Strahlen zu bringen. Verglichen mit anderen Produkten liegen seine federleicht auf der Haut, die sanften und natürlichen Farben verschmelzen mit dem eigenen Hautton, so als wäre man praktisch nicht geschminkt.

Während seiner Arbeit erweist sich der Jungunternehmer als unterhaltsamer Gesprächspartner. Er zeigt sich sehr interessiert, was die Schweiz und ihre Besonderheiten betrifft. Obwohl er zum ersten Mal in Zürich ist, weiss er bereits einiges über Stadt und Land und straft das Klischee des oberflächlichen Amerikaners Lügen. Und er nimmt klar Stellung zum stetig wachsenden Beauty-Druck. Schönheits-OPs bezeichnet er «als  grassierendes Elend in den USA», und er regt sich darüber auf, dass Jugendlichkeit in der heutigen Gesellschaft «als höchstes und einziges Gut» gilt. «Meine schönsten Kundinnen sind in reifem Alter», sagt er.

Ob er dies sagen würde, wenn ich erst 30 Jahre alt wäre? Ich glaube kaum. Bess ist ein guter Verkäufer und seine charmante Offenheit ist sehr sympathisch. Bevor wir uns verabschieden, muss ich natürlich noch einmal über Edwards Seidenteppich fahren. «Nur zu», lacht er, «wer weiss, ob die Haare noch dran sind, wenn wir uns das nächste Mal sehen!» Ein letzter Blick in den Spiegel, und ich verlasse die Parfümerie gut gelaunt und selbstbewusst. Und ein gutes Gefühl, das ist es ja, was ein gelungenes Make-up bewirken sollte.

 

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