Warum es nichts bringt, streng mit sich selber zu sein

Vorsätze, die nur mit Disziplin erzwungen werden, werden meistens nicht durchgehalten.
Ob wir das Rauchen aufgeben, zehn Kilo verlieren oder weniger in die Glotze, aufs Handy und in den Computer schauen wollen: Untersuchungen belegen, dass es von zehn Personen durchschnittlich nur eine schafft, gute Vorsätze in die Tat umzusetzen. Für alle anderen aber gilt das Sprichwort: «Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.»
Der Jahresbeginn ist oft geprägt von Neuanfangsstimmung. Das neue Jahr soll frisch, sauber, gesünder, sportlicher und organisiert starten. Doch schneller als erwartet tappen wir in die Fallen des Alltags, und wir haben gute Gründe, wieso es nun doch nicht klappt: Der Zeitpunkt stimmt nicht, die Gesundheit lässt es nicht zu, und überhaupt ist das Leben viel zu anstrengend, um sich noch zusätzlich zu kasteien.
Natürlich kann man das mit den Vorsätzen auch ganz aufgeben. Ist sicher nicht das Dümmste. Denn, wenn man sich nichts vorgenommen hat, kann man sich auch nicht selber enttäuschen.

Autor Peter Gerst setzt auf Freude statt Disziplin. (Foto: Haufe-Verlag)
Für alle anderen habe ich den Coach Peter Gerst, der zusammen mit Reinhold Stritzelberger das Buch «Willensstärke» (Haufe-Verlag) geschrieben hat, gefragt, wie die Willensstärke gestärkt und neue Energien freigesetzt werden können. Und – surprise, surprise –: Der Coach setzt in erster Linie nicht auf Disziplin, sondern auf Freude, um Vorsätze in die Tat umzusetzen.
Peter Gerst, warum scheitern so viele Menschen an ihren Vorsätzen?
Ein Grund dafür ist sicher, dass man zu viel aufs Mal erreichen will, und so an seinen Erwartungen nur scheitern kann. Wir ärgern uns darüber, sind frustriert, denn unsere Erwartungen und die Wirklichkeit stimmen nicht überein. So verbinden wir unser Ziel dann unterbewusst mit diesen negativen Empfindungen. Es erscheint uns weniger attraktiv, übt zusätzlichen Druck auf uns aus und kostet viel Kraft und Energie. Mein Rat: Sich nur auf ein Ziel fokussieren und alle Energien darauf verwenden, es zu erreichen.
Warum scheitern wir oft, wenn wir bei der Zielsetzung schwammig bleiben? Wenn wir uns beispielsweise vornehmen, ein paar Kilo abnehmen zu wollen?
Wenn man sich etwas nur so ungefähr vornimmt, beispielsweise irgendwann mal Grösse 38 zu tragen oder einen Marathon rennen zu wollen, schwächt das den Willen. Eine genaue Planung hingegen wirkt wie ein Turbo. So könnte man sich beispielsweise vornehmen: Wenn ich am 25. Juni heirate, dann will ich sieben Kilo abgenommen haben. Am besten, Sie stellen sich dann noch vor, wie schön Sie dann im Brautkleid aussehen, und wie toll Sie sich fühlen. Je konkreter Visualisierung und Vorfreude sind, desto grösser die Chance, das gewünschte Ziel auch zu erreichen.
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass es Gebiete gibt, wo wir willensstärker sind als in anderen.
Das stimmt. Es fällt uns beispielsweise einfacher, Sexualität, Konsum oder die Müdigkeit im Griff zu haben. Besonders verführbar oder schwach werden wir bei den Themen Essen und Trinken, bei sportlichen Vorsätzen, oder wenn es um die Arbeit geht. Hier ist die Versuchung gross, sich beispielsweise übers Internet oder vom Fernsehen ablenken zu lassen.
Wer seine Ziele nicht erreicht, hört oft von seinem Umfeld: «Jetzt reiss dich mal zusammen!», oder: «Du musst einfach disziplinierter sein!». Sie dagegen behaupten, dass es nicht unbedingt die Disziplin ist, die unseren Willen stärker macht.
Streng mit sich selber zu sein, bringt bezüglich der erwünschten Zielerreichung wenig bis nichts. Denn diese moralischen «Opfer», bei denen wir ständig verzichten müssen, bringen wir vielleicht einige Male, dann aber hängen sie uns zum Hals heraus. Und das Versagensgefühl, dass sich dann einstellt, ist der ultimative Motivationskiller. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen, wenn andere Menschen ganz streng mit Ihnen sind und Ihnen die Schuld für etwas geben. Fühlt sich das gut an? Natürlich nicht! Sie zeigen eher Abwehrreaktionen, und Ihr Bedürfnis nach tröstlichen Dingen steigt. Dasselbe passiert, wenn wir gnadenlos selbstkritisch mit uns umgehen.
Selbstvorwürfe, etwas nicht geschafft zu haben, verstärken also das Bedürfnis nach Seelentröstern?
Genau, den Druck, Schuld zu haben, will niemand aushalten. Also suchen wir etwas, das Angst und Druck vertreibt. Jedenfalls nach Ansicht jenes Gehirnareals, das unter anderem für die Stressreduktion verantwortlich ist, unser altes, primitives Überleben sicherte und deshalb höchste Glücksgefühle hervorbrachte: Essen, Trinken, Beute machen, Sex und Nichtstun. All diese Dinge haben sich während der Evolution nicht verändert. Alles, was sich irgendwie nach Belohnung anfühlt, eignet sich als Seelentröster.
Wie kann man diese alten Muster überlisten?
Das Zauberwort heisst Freude. Oft stehen wir vor der Versuchung, einem Impuls nachgeben zu wollen. Sagen wir mal, Sie wollen abnehmen, vor Ihrer Nase aber steht ein unglaublich feines Tortenstück. Dann gilt es einen Moment innezuhalten und abzuwägen, was es mir bringt, das Stück zu essen, oder eben nicht. Und die Frage zu beantworten: Was macht mich mittel- oder langfristig glücklicher? Ist es diese kleine Verführung wert, das grössere Glück infrage zu stellen?
Und wenn die Lust stärker ist als die Vorstellung?
Das macht gar nichts. Dann versuchen Sie es erneut. Die Willenskraft ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. Bleibt man am Ball, hat man die besten Voraussetzungen, zu schaffen, was man sich vorgenommen hat.
7 Kommentare zu «Warum es nichts bringt, streng mit sich selber zu sein»
Warum es nichts bringt, zu streng mit sich selber zu sein – ist etwas vom schwierigstens und eine extreme Herausforderung die sich mir/uns stellt.
Es kommt auf die Erziehung die man als Kind genossen hat. Wenn dir als Kind immer die strengsten Massstäbe angelgt/aufgezwungen wurden, kennt man nichts anderes. solche „Gewohnheiten“, gerade wenn es einen selbst betrifft, sind schwer ausser Kraft zu setzen. Da ist man mit seinem Unfeld meist viel gnädiger.
Es gibt Phasen im Leben, da ist man bereit, mit Disziplin etwas Essentielles zu erreichen. Ich habe nur so mit dem Rauchen aufhören können, weil ich an einem Silvester noch so richtig gefeiert, getrunken, geraucht habe, bis es mir übel davon war am nächsten Neujahrstag. Dann nahm ich mich ernster und es funktionierte mit dem Zigarettenstengel entsorgen in den Abfallkübel. Es brauchte diesen zweiten Anlauf vor 30 Jahren am Jahresende bei mir, der bis heute anhält. Bei Torten sieht das anders aus, denn dieser Verlockung widerstehe ich nur, wenn ich vorher ein Glas Wasser getrunken habe und davon laufe – falls möglich. Dass die Freude am Geniessen mich mehr motiviert, einer erneuten Versuchung standzuhalten, ist bei mir inzwischen besser angekommen als eiserne Disziplin. Cheeres! :))
denn dieser Verlockung widerstehe ich nur, wenn ich vorher ein Glas Wasser getrunken habe und davon laufe – Widespenstige, gratulieren! Da genügt ein Glas Wasser nicht bei mir, und davon laufen, so weit kann ich garnicht laufen!
Mein Motto für 2016:
„So weit Deine Selbstbeherrschung geht, so weit geht Deine Freiheit“.
Für mich als spontanen Menschen vorerst ein „Lust“-Töter, nach ersten Anwendungen jedoch ein überraschend befreiendes Lebensprinzip!
Schon oft gehört: „Es gibt alte Bergsteiger und tollkühne Bergsteiger, aber es gibt sehr wenige alte und tollkühne Bergsteiger“. Sehen wir uns langfristig erfolgreiche Menschen an, alle haben etwas gemeinsam: Disziplin. Disziplinarme Menschen haben langfristig weniger Erfolg und werden weniger alt. Autor Peter Gerst setzt auf Freude statt Disziplin. Ein Taucher, der mit Freude statt Diziplin
absteigt, steigt eventuell nur mit der Rettungswacht wieder auf.
@ Karl-Heinz Failenschmid: Und was bringt einem ein langes und erfolgreiches Leben, wenn man nicht glücklich ist?
Glück bedeutet für jeden Menschen etwas anderes.