«Abnehmen ist eine hoch emotionale Sache»

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Emotionen und Krise nach Schlemmereien mit Freunden – wer denkt da nicht an Bridget Jones (Renee Zellweger). Screenshot: Universal Pictures

Lange hiess es: Bloss nicht ständig das Gewicht kontrollieren, das erzeugt nur Stress! Doch immer mehr Ernährungsberater raten wieder dazu, regelmässig auf die Waage zu stehen. Aktuelle Auswertungen der US-Gewichtskontrollkartei haben gezeigt, dass sich etwa 75 Prozent aller Menschen, die langfristig abgenommen haben, regelmässig wiegen. Nur ein Viertel schafft den Langzeiterfolg, ohne auf die Waage zu steigen. Die Ernährungsberaterin Maria Imfeld* glaubt, dass eine Waage beim Abnehmen helfen kann.

Gehören Sie auch zu den Ernährungsberaterinnen, die auf dem regelmässigen Wiegen Ihrer Klienten bestehen?

Ich schätze das individuell ab. Es gibt Klienten, die sich bei mir in der Praxis wiegen, andere wiegen sich zu Hause und teilen mir das Ergebnis mit. Ich habe allerdings bemerkt, dass ich die Leute gut abholen und motivieren kann, wenn sie bei mir in der Praxis auf die Waage stehen. Wir können so eine allfällige Gewichtsveränderung gemeinsam besprechen. Je besser die Leute abnehmen, desto lieber steigen sie auf die Waage (lacht).

Wieso aber braucht es die Waage eigentlich? Ich kann ja auch an meinen Kleidern feststellen, ob ich zu- oder abgenommen habe.

Klar merkt man, wenn die Hose oder der Jupe plötzlich spannen, aber der Mensch neigt dazu, sich selber zu «bschiisse». Die Jeans sitzt plötzlich so eng? Dann ist sie sicher in der Wäsche eingegangen. Ausreden gibt es viele, aber die Waage spricht eine deutlichere Sprache.

Fachleute streiten sich, ob man sich täglich oder wöchentlich wiegen soll.

Ich rate meinen Klienten, sich einmal wöchentlich zu wiegen. Kurzfristige Schwankungen sind oft auf den veränderten Wasserhaushalt des Körpers zurückzuführen und nicht auf Abnahme oder Zunahme des Körperfettes. Ausserdem besteht die Gefahr, dass man, wenn man einen Tag über die Stränge geschlagen hat und die Waage das am nächsten Tag auch anzeigt, denkt: «Jetzt spielts auch keine Rolle mehr.» Und man isst munter weiter.

Viele Menschen denken, dass eine Waage, die spezifische Körperwerte wie Muskeln, Wasser und Fett anzeigt, eine Motivation beim Abnehmen sein kann.

Es stimmt schon, dass sogenannte Körperfettwaagen genauer Aufschluss über die Zusammensetzung des Körpers geben können. Trotzdem rate ich nicht dazu, eine solche Waage im Laden zu kaufen. Wenn meine Klienten Genaueres über die Anteile von Fett, Wasser und Muskeln wissen wollen, schicke ich sie in die Klinik. Dort gibt es spezielle Waagen, die das wirklich ganz genau analysieren. Zusammen können wir dann das Ergebnis besprechen.

Danach weiss ich zwar, wie viel überflüssiges Fett ich mit mir herumtrage, aber beim Abnehmen hilft doch nur eiserne Disziplin.

Ich rede nicht gerne über Disziplin, wenn es ums Abnehmen geht. Das impliziert, dass es einem gelingen muss, die Gefühlswelt mit dem Verstand zu kontrollieren. Und das Abnehmen ist nun mal eine hoch emotionale Sache, da hilft Disziplin, wenn überhaupt, meistens nur kurzfristig. Jedenfalls bei Menschen, die ein Problem damit haben. Gefühle lassen sich nun eben nicht mit dem Kopf kontrollieren. Ich sage immer: Das Hirn ist ein Muskel, der bei zu grosser Anspannung immer wieder abschlafft. Übertragen auf das Abnehmen bedeutet das: Man schafft es vielleicht, einige Tage hart mit sich selber zu sein, dann wird man schwach.

Was ist Ihr Erfolgsmodell bezüglich Abnehmen?

Ich versuche bei meinen Klienten sowohl ans Gefühl wie auch an die Vernunft zu appellieren. Und die persönliche Motivation ist für mich das Wichtigste.

Wie soll ich reagieren, wenn ich merke, dass ich zugenommen habe?

Zuerst beobachten. Wenn die Zunahme länger andauert, alles, was man isst, aufschreiben, mehr Aktivität oder Sport einplanen und/oder eine Fachperson hinzuziehen.

Der Body-Mass-Index (BMI) hält sich trotz aller Kritik weiter, wenn es ums Idealgewicht geht. Eigentlich weiss man doch schon lange, dass diese Vorgaben nicht mehr zeitgemäss sind.

Das stimmt. Mit einem leicht erhöhten BMI kann einer genauso gesund sein wie jemand mit einem sogenannt idealen BMI, und er hat auch keine geringere Lebenserwartung. Ausserdem darf er sich mit zunehmendem Alter auch leicht nach oben verschieben. Dass der BMI trotzdem noch immer als das Mass aller Dinge gilt, hat auch mit den Krankenkassen zu tun: Denn ab einem BMI ab 30 gilt man als adipös. Und dann zahlen die Kassen die Ernährungsberatung. Sinnvoller wäre es, schon früher seine Essgewohnheiten anzuschauen, damit es nicht so weit kommt.

portrait * Maria Imfeld, B. Sc., Ernährungsberaterin SVDE, führt eine Praxis für Ernährung und Diätetik in Zürich.

2 Kommentare zu ««Abnehmen ist eine hoch emotionale Sache»»

  • Hannes Müller sagt:

    Der Tagi hat vor ein Paar Jahren im Digitalteil auf die App Caloryguard hingewiesen – damit habe ich ohne Anstrengung meine Essgewohnheiten optimiert und auf ein Gewicht abgenommen, bei dem ich mich sehr wohl fühle (BMI 21,5). Heute brauche ich die App nur noch von Zeit zu Zeit.

  • Wenn man Übergewicht und die dazu gehörige überzählige Energiezufuhr als Sucht betrachten würde?

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