Sich schön fühlen – trotz Krankheit

Actress Christina Applegate arrives at the Annual Backstage at the Geffen Gala in Los Angeles on Monday, March 22, 2010. (AP Photo/Matt Sayles)

Ein persönliches Pflegeprogramm habe ihr geholfen, sich trotz Krebskrankheit weiblich zu fühlen: US-Schauspielerin Christina Applegate. (Bild: Matt Sayles/Keystone)

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als 13-Jährige während einer Turnstunde den Fuss brach und danach fünf Wochen liegen musste. Die Zeit verging im Schneckentempo, und die Kollegen kamen immer seltener vorbei. Doch Miranda entpuppte sich als wahre Freundin, sie besuchte mich regelmässig und brachte immer kleine Geschenke mit, wie das neueste «Bravo» oder ein Ragusa. Eines Tages überraschte sie mich mit einem knallroten Nagellack, eigentlich einem No-go – denn meine Mutter hätte nie rote Nägel an mir geduldet.

Miranda steckte mir ein Kissen in den Rücken, nahm meine Füsse auf ihren Schoss und begann die Nägel zu lackieren. Als sie fertig war, ging es mir schlagartig besser. Ich liebte meine «verbotenen» roten Nägel, und selbst meine Mutter duldete die Aktion, weil sie merkte, wie sehr mir dieses bisschen Schönheitspflege gutgetan hatte.

Es ist nicht verwunderlich, dass Schönheit bei Krankheit einen ganz besonderen Stellenwert bekommt. Egal, wie schwer das Leiden ist: Etwas für sich selber zu tun – und sei es nur die Schicht Wimperntusche während einer Grippe aufzutragen –, zeigt: Ich bin es mir wert.

Eine meiner Freundinnen hatte Brustkrebs. Das Erste, was sie nach der Chemotherapie tat, war, sich Extensions zu leisten. Ihre eigenen Haare hatten arg gelitten und waren sehr dünn geworden. Mit dem neuen Haar fühlte sie sich wieder «wie eine Frau». Auch die Schauspielerin Christina Applegate hatte vor einigen Jahre Brustkrebs und liess sich beide Brüste amputieren. Sie betonte in Interviews immer wieder, wie sehr ihr auch ihr persönliches Pflegeprogramm geholfen habe, sich trotz ihres Schicksals weiblich zu fühlen.

Wer das Thema Beauty als überflüssigen Schnickschnack abtue, verstehe nicht das Geringste von Frauen und auch nicht von den vielfältigen Auswirkungen von Krankheiten, schreibt die englische Kolumnistin Sali Hughes in ihrem Buch «Echt schön». In finsteren Zeiten bekomme die Schönheit eine besondere Bedeutung – für viele werde sie zu einer wichtigen Bewältigungsstrategie.

Eine schwere Krankheit wie Krebs kann besonders grausame Spuren hinterlassen. Für eine Patientin kann der Verlust der eigenen äusserlichen Identität traumatisch sein und ihr gesamtes Körpergefühl beeinträchtigen. Eine klinische US-Studie ergab, dass der Haarverlust 77 Prozent der Krebspatientinnen psychisch sehr belastet. Viele empfinden ihn noch schlimmer als alle anderen Nebenwirkungen, die auch nicht ohne sind.

Natürlich hat die Gesundheit oberste Priorität, aber das äussere Erscheinungsbild wirkt sich stark auf unser Wohlbefinden aus.  Wenn das eigene Leben total auf den Kopf gestellt ist, kann ein simples Schminkritual so etwas wie Alltag herstellen. Durch dieses gelingt es auch, so etwas wie die Kontrolle über den eigenen Körper zu behalten. Vielen Patientinnen hilft die Schönheitspflege auch, nicht aufzufallen, wenn die körperlichen Auswirkungen der Krebstherapie zu drastisch sind. So wie meine Freundin mit Brustkrebs, die sich nach überstandener Therapie die Extensions machen liess. Sie gilt inzwischen als geheilt und sagt: «Ich wollte nie nur durch meine Krankheit definiert werden.»

Inzwischen bieten auch einige Beautyfirmen besondere Schminkkurse für Krebspatientinnen an. Die Stiftung Look Good … Feel Better wurde 1998 in den USA gegründet. Die Idee dahinter: Krebspatientinnen, die sich einer medizinischen Behandlung unterziehen, erhalten in kostenlosen Beauty-Workshops konkrete Tips zum Schminken und neues Selbstvertrauen. Seit zehn Jahren ist Look Good … Feel Better auch in der Schweiz tätig. Viele Frauen sagen, dass solche Kampagnen ihnen geholfen hätten, sich wieder weiblicher, normaler und optimistischer zu fühlen.

Ich erinnere mich an dieser Stelle an meine Mutter, die sich zeit ihres Lebens immer wieder schweren Operationen unterziehen musste. Doch sie liess sich nie unterkriegen. Ich würde sogar behaupten, dass, neben ihren guten Genen, eine grosse Portion Disziplin und eine gewisse Eitelkeit ihr halfen, 94 Jahre alt zu werden. Nach einer besonders schweren OP wachte sie aus der Narkose auf, nahm meine Hand und flüsterte: «Bitte ziehe mir die Lippen mit etwas Rot nach. Es hat hier einen besonders attraktiven Arzt.»

 

19 Kommentare zu «Sich schön fühlen – trotz Krankheit»

  • trix abdelmejid sagt:

    Hhhmmm…. Ich stehe diesem Thema ebenfalls sehr zwiespaeltig gegenueber. Ich hatte 2x Krebs. 2x neue Haare und ehrlich, waehrend der Chemo hatte ich echt keine Energie, mich in irgendeiner Art zu „pflegen“. Da gings einfach nur ums ueberleben und die ganze Sache hinter mich zu bringen.
    Als es dann vorbei war, da hatte ich wieder Energie fuer sowas und ja, frau fuehlt sich tatsaechlich besser wenn man nur schon eine feine Bodylotion benuetzt.

    @Bettina fries
    eine gute Kollegin von mir hat dieselbe Krankheit wie sie. Ich kann mir nur annaehernd vorstellen, wie es Ihnen tagtaeglich gehen muss. Ich wuensche Ihnen von Herzen weiterhin viel Kraft!

  • Nina sagt:

    Stimmt schon. Ich habe damals realisiert, dass ich am tiefsten Punkt angelangt war, als mir sogar die Kraft fehlte, mir eine simple Bodylotion aufzutragen, obwohl es dringend nötig gewesen wäre…

  • Petra sagt:

    Mich regt es extrem auf, dass in den Medien Frauen sehr oft nur übers Aussehen definiert werden. Ich halte es für gestört, zu erwarten, dass Frauen in jeder Situation hübsch sein müssen!
    Aus eigener Erfahrung, halte ich die Behauptung, dass Schönheit bei Krankheit einen ganz besonderen Stellenwert bekommt, für kompletten Unsinn. Im Gegenteil, durch Krankheiten wird manchen erst sichtbar bewusst, wie vergänglich Schönheit ist.
    PS: Looks good feel better wurde 1989 (nicht 1998) gegründet, mit dem Ziel für teure Kosmetikprodukte neue zahlungsbereite Kundinnen zu gewinnen. Da Krebspatientinnen vieles zu verlieren drohen und deshalb oft verzweifelt sind, stellen sie die Ideale Zielgruppe für…

    • Petra sagt:

      Teil 2… Kosmetikprodukte dar, welche ein Stück heile Welt vorgaukeln.

      • HomeImprovementQueen sagt:

        Und weil es für dich so war, muss es für alle betroffenen Frauen auch so sein? Ich habe aus nächster Nähe erlebt, wie wichtig jeder Schritt zurück ins Leben ist. Wie dieser Schritt aussieht, wie gross oder klein er ist, ist individuell. Sich darüber ein Urteil anzumassen, finde ich voll daneben.

    • Anastasia sagt:

      Es geht doch nicht darum, dass sich Frauen nur über das Aussehen definieren. Es geht darum, dass sie sich trotz Krankheit gut fühlt und Pflege hat mit diesem guten Gefühl auch etwas zu tun. Nicht für andere Schön sein sondern sich selber für sich schön finden.

  • edith schmidt sagt:

    liebe silvia du triffst mit deinem thema den nagel auf den kopf! wenn ich ja sogar im total gesunden zustand mein lebensgefühl durch roten lippenstift, eine schmeichelnde bodylotion, ein neuer duft, ein coiffeurbesuch etc , zum absoluten höchstgefühl schwingt, wie ist es denn erst enorm
    wichtig, in einem schwierigen und kranken moment, sich mit schönheitspflegenden möglichkeiten zu beschenken oder beschenken lassen… unsere psyche will und braucht das, davon bin ich überzeugt! edith

  • Bettina Fries sagt:

    Das mag bei „vorübergehenden“ schweren Erkrankungen ja stimmen, aber für chronisch kranke Frauen mit andauernder Müdigkeit sind solche Artikel nur ein weiterer Seitenhieb. Ich bin immer extrem müde. Immer. Jede Stunde von jedem Tag. Manchmal finde ich meinen Körper einfach nur ein A****, eine unkooperative Hülle, die mir im Weg steht, den ich ignorieren will. Die „Disziplin“ Ihrer Grossmutter in Ehren, aber gerade Frauen sollten aufhören, einander immer härtere Ansprüche aufzuerlegen. Übrigens – wenn ich mich mal wieder eine Zeit lang bemühe, und in der Phase krankheitsbedingt etwas ablehne oder absage, kommt sofort: „Hä, aber du siehst gar nicht krank aus!“. You can’t win.

    • Silvia Aeschbach sagt:

      Liebe Bettina, es tut mir leid, dass Sie so unter ihrer Müdigkeit leiden. In meinem Post geht es weder um einen «Seitenhieb» noch um «Disziplin», sondern darum, dass es Möglichkeiten gibt, dass man sich durch gewisse kleine Pflegeeinheiten wieder besser fühlen kann. Dass haben z.B. Frauen mit Krebs tausendfach erlebt. Und dieser ist ja bei vielen keine «vorübergehende» schwere Erkrankung. Und wie alles im Leben beruhen auch Schönheitsrituale auf totaler Freiwilligkeit. Ich hoffe, dass es Ihnen bald besser geht! Herzlich Silvia

      • Bettina Fries sagt:

        Chronische Krankheit = für immer. Besser gehen tut es einem in dem Sinne nicht, es gibt lediglich bessere und schlechtere Tage. Für mich ist Disziplin auch am Wochenende vor Mittag aufstehen und duschen. Und unter der Woche pünktlich zur Arbeit erscheinen, mich durch den Tag kämpfen (Mittagspause = Powernap) und einen guten Job zu machen. Wie ich dabei aussehe ist mir egal aber der Vorgesetzte meinte, er würde mich gerne befördern aber ich müsse dafür schon mehr Business-like aussehen. Ich habe wohlgemerkt keinerlei Kundenkontakt. Er weiss auch nicht, dass ich krank bin, die wenigsten verstehen meine Erkrankung. Gute Besserung mag ich zum Beispiel echt nicht mehr hören, also sag ich nichts.

  • betty lux sagt:

    Danke für diesen sehr hilfreichen und wahren Artikel. Gerade auch nach Schwangerschaften und Geburten ist es sehr wichtig für eine Frau, sich wieder schön zu fühlen. Hübsche, weite Blusen aus Seide, tolle Lippenstifte oder delikate Gesichtscrèmes können über die ersten körperlichen Strapazen hinweghelfen. Sie sind ohne viel Aufwand anwendbar und verleihen der entkräfteten Mami einen Hauch von Gepflegtheit, das Gefühl, sich selbst etwas Gutes zu tun. Schönheit und Liebe zu sich selbst und demnach auch zu anderen sind eng verknüpft. Lasst uns demnach weiterhin der Göttin Venus huldigen!

  • Sophie Marten sagt:

    Es fängt schon im ganz Kleinen an, im Spital duschen zu können und schon ist man ein neuer Mensch. Körperpflege zu vernachlässigen, heisst sich aufzugeben. Das gilt für kranke Menschen und auch für gesunde.

    • Nina sagt:

      Das würde ich aber wieder auch nicht unterschreiben. Es gibt Phasen, da sind die existenziellen Dinge wie essen, trinken, schlafen schon so anstrengend (und aber doch auch so wichtig), dass keine Kraft und ehrlich auch gar kein Interesse mehr bleibt für „Beauty & Wellness“. Was aber noch lange nicht heisst, dass man sich deswegen bereits aufgegeben hätte, im Gegenteil! Man konzentriert seine Kämpferkräfte & Energie aufs absolut wesentliche & lebensnotwendige, bis wieder mehr da ist für anderes…

      • Silvia Aeschbach sagt:

        Obwohl ich zum Glück noch nie so krank war, kann ich mir gut vorstellen, dass, wenn man mit seinen Kräften am Ende ist, kein Interesse an Pflegeritualen hat. Aber wenn die Energie wieder ein bisschen zurückkommt, kann alles, was man für sich macht, gut tun. Oder, man hat jemanden, der einem dabei hilft. Ich habe meinem demenzkranken Vater regelmässig die Hände und Füsse mit einer wohlriechenden Lotion massiert. In seinen klaren Momenten hat er mir immer gesagt, wie gut ihm das tue. Es muss nicht Kosmetik sein, liebevoller Körperkontakt hilft ebenfalls.

      • Nina sagt:

        Das sicher! Meine besten Erinnerungen an die Zeit sind liebevolle, helfende, verwöhnende Hände von geliebten Nahestehenden. Die geben einem ein bisschen Würde und Wohlsein wieder zurück.

      • Nina sagt:

        P.s. Vorausgesetzt, man erträgt die Berührungen in dem Moment. Manchmal ist Kranksein etwas sehr isolierendes & einsames. Aber jede liebevolle Geste & Zuwendung zählt, auch wenn sie im Moment vielleicht nicht direkt den gewünschten Effekt erzielt – sie wirken alle heilend nach…

  • schneeleopard sagt:

    Ja alldem kann ich nur zustimmen.
    Die Kehrseite ist, dass dich die Aerzte nicht mehr ernst nehmen.

    Ich hatte mir angewöhnt auch während meinen Klinikaufenthalte mich morgens zurecht zu machen. In erster Linie für mich und auch ein wenig für den Besuch und Pflegepersonal.

    Gut, ich kam am Morgen geschminkt und gut frisiert aus dem Badezimmer.

    Kommentar der Ärzte; so glaubt man ja nicht mehr, dass sie krank sind. Sie sind selber schuld nicht mehr ernst genommen zu werden.

    Muss ich wirklich ungepflegt im Bett liegen, dass man mir glaubt?

  • Ruth Michel sagt:

    Ich habe genau die gleiche Erfahrung gemacht: wegen einer Chemotherapie verlor ich alle Haare und trug deshalb die ganze Zeit bunte Kopftücher, dazu schminkte ich mich sorgfältig. Gelernt hatte ich dies in einem Kurs der aargauischen Krebsliga. Ich hatte selten so viele Komplimente für mein Aussehen bekommen wie in dieser Zeit!

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