Das macht wach!

Müdigkeit hat in unserer Gesellschaft kaum mehr Platz: Immer mehr Arbeitnehmer setzen auf Aufputschmittel. (iStock/Ivan Strba)
Meine erste Begegnung mit Halloo-Wach war ziemlich aufregend – und das im wörtlichen Sinn des Wortes. Ich fand die Koffeintabletten in der Handtasche meiner älteren Schwester. Als Teenager war ich immer neugierig, was sie vor mir verstecken wollte: Sei es nun die neuste Ausgabe von «Bravo», der Roman «Das Delta der Venus» von Anaïs Nin oder eben die Aufputschtabletten.
Als ich die kleine gelbe Schachtel mit dem roten Schriftzug in den Händen hielt, konnte ich wenig damit anfangen. Weder sah sie besonders speziell aus noch besonders verboten. Was solls, dachte ich mir, und schluckte drei Tabletten. Kurz: Es kam nicht gut. Innert einer halben Stunde verwandelte ich mich in einen Duracell-Hasen: Mein Herz raste, ich zitterte, und mir war speiübel. Kein Wunder, hatte ich doch zu diesem Zeitpunkt noch keine Erfahrungen mit Koffein gemacht.
Nach ein paar Stunden war der Spuk vorbei. Aus Angst vor einer Strafe hatte ich niemandem davon erzählt. Es war das erste und letzte Mal, dass ich Halloo-Wach geschluckt habe. Um mich wach zu machen, genügten von da an zwei starke Espressi. Doch es gibt auch Zeiten, in denen ich nicht in die Gänge komme und mir wünschen würde, dass es ein einfaches Mittel gäbe, um mich aufzuputschen. Zu viel Kaffee löst bei mir Übelkeit aus, und der Geschmack von Energydrinks dreht mir den Magen um.
Was also tun, um die geforderte Leistung zu bringen? «Jetzt nach den Ferien fällt es manchem schwer, wieder in den Arbeitsrhythmus zu finden», sagt der Zürcher Arzt Reto Semadeni im Interview. Dabei sind viele Hilfsmittel willkommen: Neben den legalen Wachmachern wie Koffein, dem Taurin in Energygetränken und Glutaminsäure setzten viele auch auf frei erhältliche Ginkgopräparate, die auch bei Demenz- und Alzheimer-Patienten eingesetzt werden. Auch gewisse Mittel gegen Durchblutungsstörungen im Gehirn und Antidepressiva wie Fluctin würden als Stimulanz eingesetzt. Letzteres ist allerdings nur auf Rezept erhältlich. Neben seiner aufputschenden Wirkung verleihe Fluctin das Gefühl, «eine dickere Haut» zu haben. Etwas, das im stressigen Arbeitsalltag besonders gefragt sei.
Das wohl zurzeit meistdiskutierte Aufputschmittel ist Ritalin. «Vor allem Studenten möchten das Medikament als ‹Hirndoping› verschrieben haben», sagt Semadeni. Das lehnt der Arzt jedoch rundum ab: «Erstens bekommt man als Arzt schnell den Ruf eines Dealers, und andererseits lehne ich es ab, die Leistungsfähigkeit künstlich zu steigern.» Seiner Meinung nach müsse sich die Gesellschaft hinterfragen, wenn immer mehr Leistung eingefordert werde, als der Einzelne erbringen könne.
Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in der Schweiz keine genauen Untersuchungen, wie viele Arbeitnehmer Aufputschmittel schlucken, um den Leistungsdruck besser auszuhalten und die Leistung zu steigern. Laut einer Studie der deutschen Krankenkasse DAK-Gesundheit ist in den letzten sechs Jahren der Anteil der Beschäftigten, die «Hirndoping» betreiben, von 4,7 auf 6,7 Prozent gestiegen. Für die Studie wurden 2,6 Millionen erwerbstätige Versicherte zwischen 20 und 50 Jahren befragt. Auslöser für den Griff zur Pille sind laut Studie meist hoher Leistungsdruck, Stress und Überbelastung. Aber nicht nur der Druck von aussen spielt eine Rolle, auch übertriebene Ansprüche an sich selbst können ein Problem sein.
Viele der leistungssteigernden Medikamente hätten einen minimalen Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit, sagt Semadeni. Oft spiele auch der Placeboeffekt mit. Auf der anderen Seite gebe es «hohe gesundheitliche Risiken wie körperliche Nebenwirkungen und Abhängigkeit». Wie reagiert Reto Semadeni, wenn er von gesunden Personen nach leistungssteigernden Mitteln gefragt wird? «Steigert eure Leistungsfähigkeit natürlich, macht Lernpausen, geht raus an die frische Luft, joggt und esst gesund!»
4 Kommentare zu «Das macht wach!»
mit hallowachtabletten wollte meine hart arbeitende mam 1966 wenigstens einen abend in den ausgang, das heisst mit meinem vater an eine tanzveranstaltung, ich knappe 16 durfte mit.. was dabei herauskam: meine mutter schlief ein, und zwar am tisch, wir bekamen sie fast nicht mehr wach, um sie nach hause zu begleiten. eine erfahrung die mir keine lust auf irgendwelche aufputscher hinterliess, denn jeder mensch kann total anders oder eben falsch auf solche harten wachmacher reagieren.. wirklich lieber im notfall schokolade, kaffee, bewegung schlaf und gesunde ernährung. edith
«Zwei starke Espressi», echt jetzt? Nicht lieber zwei Ristrettos?
*Ristretti
Solange man noch eine „normale“ 40-45 Arbeitsstundenwoche hat braucht man ausser ein paar Kaffees oder allenfalls ein paar Ginko- oder Gingsenkapseln keine weiteren Stimulanzien – genug Schlaf, etwas Sport und gesunde Ernährung genügen da ausreichend, selbst wenn es ab und zu mal stressig wird.
Muss man aber über längere Zeiträume 60, 70 oder 80+ Stundenwochen abspuhlen, wird der eine oder andere dann schon zu schärferen Mitteln wie Ritalin, Kokain, spez. Pharmazeutikas oder Amphetaminen greifen. Das kann man je nach Naturell einige wenige Jahre durchziehen bis irgendwann der Burn-Out kommt!