Schmerz lass nach!
Mit chronischen Schmerzen ist das so eine Sache. Man gewöhnt sich nie an sie, aber man kann mit ihnen leben. Weil man muss. Ich hatte vor einigen Jahren eine monatelange Phase mit starken Schmerzen im rechten Unterbauch. Alle Untersuchungen halfen nichts. Ich ging von Arzt zu Arzt, jeder arbeitet auf seinem Spezialgebiet, ein Befund blieb aus. Und weil die Ärzte nichts fanden, schoben sie die Schmerzen auf meine Psyche. In der Tat war ich damals in einer schwierigen Lebensphase, und langsam glaubte ich selber daran, dass ich ein «Psycho» bin. Als mich dann noch ein Magen-Darm-Spezialist anbrüllte: «Frau Aeschbach, Sie haben nichts, jetzt schlucken Sie endlich die verordneten Schmerzmittel», war ich nahe daran aufzugeben. Ich tat, was er von mir verlangte, und «ernährte» mich fortan von Ponstan, das er mir grosszügigerweise verschrieben hatte. Natürlich die grosse Packung zu 500 mg.
Die Schmerzen wurden chronisch – und ich immer verzweifelter. Bis eine Freundin mich auf ihren Hausarzt aufmerksam machte. Dr. S. war ein sehr angenehmer Mann, zu dem ich sofort Vertrauen fasste. Er hörte meine Leidensgeschichte an, runzelte die Stirn, als ich mich selber als Psycho bezeichnete, und untersuchte mich gründlich. Nach der Untersuchung sagte er, er hätte eine Vermutung und ich solle ein MRI machen. Und dass mein Schmerzmittelkonsum «zu hoch» sei. Über psychische Ursachen wollte er gar nicht reden, solange ein körperliches Leiden nicht ausgeschlossen werden könne.
Der langen Rede kurzer Sinn: Beim MRI wurde festgestellt, dass ich an einem akuten Bandscheibenvorfall litt, der in den rechten Unterbauch ausstrahlte. Als mir Dr. S. die Röntgenbilder zeigte, brach ich in Tränen aus, so glücklich war ich über die Diagnose.
In der deutschen «Ärztezeitung» erschien kürzlich ein Artikel, der beschrieb, wie wichtig schon ein kurzes aufklärendes Gespräch mit dem Arzt sei, denn manchmal könnten Ärzte auch mit wenig Zeit und Aufwand ein ernstes Problem lösen. So sei vielen Patienten mit Kopfschmerzen beispielsweise nicht klar, dass ihr übermässiger Schmerzmittelkonsum das Leiden auf Dauer verstärke, statt es zu lindern. Auch meine Bauchschmerzen wurden durch das Ponstan nicht besser, im Gegenteil.
Erklären die Ärzte ihren Patienten dieses Problem, dann reduzieren die meisten ihren Schmerzmittelkonsum und die Kopfschmerzfrequenz geht dauerhaft zurück. Darauf deutet jedenfalls eine norwegische Studie, die auf dem ersten Kongress der European Academy of Neurology in Berlin vorgestellt worden ist.
Von einem Tablettenmissbrauch wurde ausgegangen, wenn die Patienten an mindestens 15 Tagen im Monat Kopfschmerzen hatten und täglich Schmerzmittel einnahmen. Dabei gaben die Hausärzte 24 Patienten auch Tipps, wie sie ihren Konsum reduzieren können, und informierten sie über Entzugssymptome wie Rebound-Kopfschmerzen. Wie sich herausstellte, reduzierten mehr als zwei Drittel der Patienten ihren Schmerzmittelgebrauch in den ersten drei Monaten nach der Beratung. Nach einem Jahr hatten sich mehr als 70 Prozent entwöhnt. Mit der Schmerzmittelreduktion gingen auch die Kopfschmerzen zurück: 50 Prozent der beratenen Teilnehmer hatten nach einem Jahr keine chronischen Kopfschmerzen mehr, bei zwei Dritteln der anderen Hälfte war die Attackenfrequenz um mehr als ein Viertel, bei einem Drittel sogar um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Dagegen gab es bei den nicht beratenen Patienten kaum Veränderungen.
Natürlich sind Schmerzmittel hilfreich, aber manchmal übertünchen sie nur eine Krankheit wie bei mir, oder sie verschlimmern sie wie bei vielen Kopfschmerzpatienten. Und manchmal kann ein Gespräch mit einem guten Arzt der Anfang einer schmerzfreieren Zukunft sein.
9 Kommentare zu «Schmerz lass nach!»
die Bandscheibe resorbiert sich selber und das Outcome bei den Patienten ist besser als mit einer invasiven Therapie. Chirurgisch angegangen wird das Ganze eigentlich nur, wenn neurologische Ausfälle bestehen. Dadurch erübrigt sich auch wieder ihr gefordertes MRI, da dies keine Konsequenz für die Therapie hat – Schmerzen werden mit Schmerzmitteln bekämpft, ein wichtiger Teil der Therapie ist zudem keine Ruhigstellung und soweit möglich normale Bewegung. Bei neurologischen Ausfällen geb ich ihrer Forderung nach einem MRI selbstverständlich recht.
danke für diesen Bericht, meiner Frau ging es gleich und leider sind teilweise die Ärzte wirklich ratlos.
Ich hatte ebenfalls einen unterkannten Bandscheibenvorfall und bin damit damals mit 25 durch 5 Ärzte gerannt, inkl. Unispital. Scheint wohl öfters ein Leiden zu sein, was schwer diagnostizierbar ist.
Dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen. Ich ging über ein Jahr lang von Arzt zu Arzt um meine akuten Knieschmerzen zu bekämpfen. Vor dieser Zeit wurde ich bereits vier Mal am Knie operiert. Die Ärzte setzten mich schlussendlich auf Opiate. Diese starken Schmerzmittel verursachten bei mir tägliche Kopfschmerzen, sodass ich zu einem Neurologen ging. Dieser erklärte mir, dass der Körper bei Einnahme von Schmerzmitteln reagiere und dadurch Kopfschmerzen entstehen können, weil der Körper sich sagt, ich erhalte Medikamente, also muss ich Schmerzen haben. Schlussendlich war es doch das Knie!!!
Mir ist nicht ganz klar, was ein unerkannter Bandscheibenvorfall mit der Kopfschmerzstudie aus Norwegen zu tun hat. Die Studie handelt von Medikamentenmisbrauch, der durch Kurzinterventionen von Hausärzten reduziert werden kann. Aus beiden Geschichten kann man nur zwei Schlüsse ziehen: 1. Schmerzmittel sind Medikamente und sollten nicht unkontrolliert eingenommen werden. Eine „Beratung“ in der Apotheke reicht nicht. 2. Wenn Sie krank sind hüpfen Sie nicht von Spezialist zu Spezialist, sondern gehen Sie zu einem guten Hausarzt, der Sie ernst nimmt und nach einer Ursache der Beschwerden sucht.
Ich weiss jedenfalls, dass Bekannte die von einem schweren Bandscheibenvorfall betroffen sind/waren, zeitweise auch auf stark wirkende Schmerzmittel (Opiat-ähnliche sogar) angewiesen waren. Wegen grossen Schmerzen. Vom Spzialisten verschrieben, wie natürlich auch andere Therapie-Formen.
Ich bin auch der Meinung, man darf und soll Aussagen von sogenannten Fachpersonen auch kritisch hinterfragen. Ebenfalls finde ich, dass Zweit-Meinungen sich manchmal lohnen, und dass ein übermässiger Medikamentenkonsum das Problem in den wenigsten Fällen löst.
Ganz Krass der beschriebene Fall von Ihnen Frau Aeschbach! Solche Geschichten sind traurig und mir blieb eine ebensolche nicht erspart. Das positive daran? Es zeigt, dass es trotz allem auch „die guten Mediziner“ gibt, nicht alle „böse“ sind. Man muss Sie nur finden, und dann so lange wie möglich behalten. Und weiter empfehlen=)
ich kann silvias artikel nur bestätigen.schmerzen muss man auf den grund gehen. mir geht der satz komplett gegen den strich, den so viele ärzte draufhaben, man solle das oder das mittel ausprobieren und dann schauen wir mal. dann dieser blick, weil sie auch nicht weiter wissen: liebe frau, machen sie keinen aufstand! medikamentenlobby lässt grüssen.ein mri ist zwar teuer, aber würde sehr vielen patienten einen langen leidensweg, inkl magenbeschwerden, ersparen und mit einer etwas tiefgreifender kommunikationsphilosophie könnte vielem auf den grund gegangen werden. zeit ist auch geld. edith
Teilweise muss ich ihnen widersprechen. Erstens ist ein MRI nicht gerade günstig (und gerade in Zeiten mit steigenden Krankenkassenprämien würde das die Kosten nur unnötig weiter in die Höhe treiben, wenn jeder Schmerzpatient ein MRI erhielte…) und zweitens kann es natürlich ein Bandscheibenvorfall sein aber Studien haben gezeigt, dass die Schmerzen nicht mit dem Vorfall korrelieren, soll heissen es gibt Menschen mit starken Vorfällen die absolut keine Schmerzen haben und solche mit starken Schmerzen mit wenig Prolaps. Und in den meisten Fällen ist die beste Therapie keine, dh