Mit einer App gegen Essstörungen

Jourvie

Die «Jourvie»-App hilft Essgestörten, ihre Essgewohnheiten zu protokollieren. (Jourvie.com)

Als 18-Jährige nahm Ekaterina Karabasheva den Kampf gegen ihre Magersucht auf. Sie musste während ihrer Therapie täglich Essprotokolle ausfüllen und aufschreiben, was und wo und mit wem sie gegessen hatte, aber vor allem, wie sie sich dabei fühlte und welche Gedanken sie bezüglich des Essens hatte. «Leider war die A4-grosse Tabelle sehr unpraktisch, und ich wollte auf keinen Fall, dass meine Mitschülerinnen etwas von meiner Krankheit mitbekommen», erinnert sich die 25-jährige ehemalige Gymnasiastin, die ursprünglich aus Bulgarien stammt und heute in Berlin lebt. Damals hatte sie die Idee, für Essgestörte eine digitale Protkollvorgabe zu entwickeln, die diskret benutzt werden kann.

Nachdem sie nach Deutschland gekommen war und ein Studium der Medienwissenschaften absolviert hatte, gründete sie 2014 «Jourvie», eine gemeinnützige Initiative, die Essgestörte in ihrer Therapie unterstützen soll, und entwickelte die App, die sie als Jugendliche selber gerne gehabt hätte. Damit können Betroffene protokollieren, mit welchen Gefühlen sie essen. Die Protokolle können nach dem Eintrag direkt an den Therapeuten geschickt werden. Das Programm hat Karabasheva unter der fachlichen Beratung der Charité Universitätsmedizin Berlin entwickelt. Es wurde an diversen internationalen Kongressen vorgestellt und ausgezeichnet.

Neben dem Essprotokoll enthält die App auch Bewältigungs- und Motivatiosstrategien. Die Benutzerin wird zum Beispiel aufgefordert, zehn Dinge aufzuschreiben, die ihr Freude machen, und im Fall einer Attacke etwas davon sofort zu machen. «Das kann sein, dass man eine Freundin anruft, oder ein Musikstück hört», sagt Karabasheva. Mit ihrem Projekt will sie Menschen erreichen, die sich ihrer Essstörung, egal ob Bulimie, Magersucht oder Esssucht, bewusst sind, und mithilfe von Therapie und digitalen Essprotokollen geheilt werden möchten.

Ekaterina Karabasheva weiss, wovon sie spricht. «Als junge Frau hatte ich ungeheure Schwierigkeiten, vor mir selber zuzugeben, dass ich eine Essstörung habe», erinnert sie sich. «Ich hatte Angst, einen Apfel zu essen oder bei Verwandten eingeladen zu werden.» Schliesslich überwand sie sich und vertraute sich ihrer Mutter an, die sie fortan beim Kampf gegen die Krankheit unterstützte.

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Ekaterina Karabasheva (links, mit einer Mitarbeiterin) wurde für die «Jourvie»-App mit dem Aspirin Preis ausgezeichnet. (Jourvie.com)

Essstörungen sind in der Schweiz überdurchschnittlich häufig. 3,5 Prozent der Bevölkerung leiden oder litten daran. Bei den Frauen ist der Wert mit 5,3 Prozent deutlich höher als bei den Männern mit 1,5 Prozent. Dies zeigt die Studie «Prävalenz von Essstörungen in der Schweiz» (PDF downloaden), in der ein Team der Universität Zürich im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit erstmals untersucht hat. Dazu haben die Forscher rund 10’000 Menschen über ihr Essverhalten befragt. In Deutschland gehen neue Schätzungen von 2,3 Millionen Essgestörten aus. Betroffen sind vor allem Mädchen zwischen 13 und 19 Jahren. Die Facebook-Generation ist denn auch in erster Linie das Zielpublikum der kostenlosen «Jourvie»-App. Jetzt hofft die junge Frau, die Teilzeit für einen Pharmakonzern arbeitet, auf Sponsoren und Partner aus der Wirtschaft. Das Start-up-Unternehmen beschäftigt heute vier ehrenamtliche Mitarbeiter. «Jourvie versteht sich als mehr als eine App und möchte zu einem allgemein gesünderen Körperbild junger Frauen und Männer beitragen», sagt Ekaterina Karabasheva.

2 Kommentare zu «Mit einer App gegen Essstörungen»

  • edith schmidt sagt:

    essen als waffe gegen sich selbst und gegen die aengste und ansprüche, auch von aussen! immer aber hat dieser waffengebrauch ja auch einen ursprung. ich persönlich finde es schwierig jemandem zu helfen, ohne zu wissen was der grund für sein verhalten ist, ohne zu wissen woher seiner ängste herkommen! ohne zu erkennen was er damit erreichen möchte! oder wie sein umfeld reagiert. gesprächstherapien ( nicht über das essen reden) eine reale möglichkeit, dies herauszufinden. zuviele verschiedene ursachen sind da im spiel. das virtuelle helfen, ohne die ursache zu kennen kann fatal sein edith

  • luna sagt:

    leider nur auf android… :((

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