Der Krebs ist geheilt – und ist doch nicht weg
Für Aussenstehende ist es schwer nachvollziehbar. Gilt ein Krebspatient als «geheilt», erwartet die Umwelt, dass alles wieder so ist wie früher. Auch viele ehemalige Kranke haben diese Erwartungshaltung und hegen den Wunsch, der Alltag solle sich so schnell wie möglich normalisieren. Doch Fachleute warnen, dass die Folgen einer solchen Krankheit oft unterschätzt werden. Auch der Psychiater Josef Hättenschwiler vom Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ) hat diese Erfahrung gemacht: «Die Verarbeitung eines solchen Traumas kann dauern, weil es tiefe Verunsicherung und Depressionen auslösen kann.» Viele Patienten hätten durch eine Krebserkrankung das Urvertrauen ins Leben verloren, und damit auch eine gewisse Zuversicht.
Meret Schüller* war 43, als sie an Brustkrebs erkrankte. Für die Physiotherapeutin und Mutter eines siebenjährigen Buben war der Befund «ein Riesenschock, der mein Leben auf den Kopf stellte». Ihre pragmatische Art half ihr jedoch über die Diagnose hinweg: «Ich dachte immer, mein Leben ist jetzt ein langer, dunkler Tunnel, aber wenn ich da wieder rauskomme, fange ich neu an.»
Doch die Dunkelheit dauerte länger als gedacht. Nach einer Brustamputation streuten Metastasen ins Rückenmark. Es folgten mehrere Monate Bestrahlungen und drei Chemotherapien, die erfolgreich verliefen. Seit anderthalb Jahren hat Meret bei den dreimonatlichen Untersuchungen keinen krankhaften Befund mehr und gilt als gesund.
«Nach der Chemo begann ich schnell wieder zu arbeiten», erinnert sie sich. «Doch meine Leistungsfähigkeit war beeinträchtigt. Dinge, die mir früher spielend leicht gefallen waren, strengten mich an. Auch psychisch war ich total durcheinander. Ich sagte mir immer wieder: ‹Jetzt beginnt mein zweites Leben›, aber die Verunsicherung über das Erlebte war stärker als die Zuversicht.» Auch ihr nahes Umfeld konnte sie nicht trösten, obwohl ihre Freunde und ihre Eltern sie immer unterstützt hatten. «Ich fühlte mich total allein, hatte das Gefühl, niemand könne mir helfen.»
Für das nahe Umfeld sind die Nachwirkungen oft nur schwer nachzuvollziehen – denn äusserlich zu sehen sind sie ja nicht. «Es wird völlig unterschätzt, wie lange die Folgen einer Therapie nachwirken können», sagt auch Dirk Jäger, Professor und Direktor für Medizinische Onkologie im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, in der «Welt».
Auch bei der Arbeit fühlte sich Meret oft unverstanden. Sie hatte ihre Kolleginnen und ihren Chef immer über den Verlauf ihrer Krankheit informiert, «aber von dem Moment an, als ich krebsfrei war, hatten alle das Gefühl, ich müsse wieder 100-prozentig auf der Matte stehen und optimistisch in die Zukunft schauen».
Ihr Fazit über diese Zeit ist bitter: Das Umfeld vergisst schnell. «Ich fühlte mich durch die Krankheit stigmatisiert, hatte das Gefühl, für alle war ich nur noch ‹die mit dem Krebs›.»
Am Anfang ihrer Erkrankung hatte sich Meret von ihrem langjährigen Partner getrennt, der neue Mann an ihrer Seite unterstützte sie nach Kräften, aber auch er konnte nicht verhindern, dass sie Mühe hatte, ihren Körper zu akzeptieren. Auch der Wiederaufbau der Brust änderte das nicht. «Die Narben störten mich nicht wirklich, aber mein Selbstbewusstsein war dahin. Ich hatte den Krebs besiegt, sollte glücklich sein, aber über mir hing ein Damoklesschwert.» Würde sie gesund bleiben? Würde der Tumor zurückkommen?
Dank einer Freundin, der sie sich anvertraute, fasste sie nach langen Überlegungen den Mut, eine Psychotherapie zu beginnen. «Zuerst wollte ich in eine Selbsthilfegruppe für ehemalige Krebspatienten, aber ich wurde nicht fündig. In der Tat gibt es für Krebskranke und ihre Angehörigen viele Selbsthilfegruppen in der Schweiz. Für Menschen, die den Krebs besiegt haben, gibt es aber nur wenige.» Darauf entschloss sich Meret zu einer Einzel-Gesprächstherapie bei einer Psychologin. «Hier konnte ich allen Frust und alle Ängste rauslassen. Etwas, das ich früher nie gemacht hatte.»
Ein guter Entscheid: Nach mehreren Monaten Therapie fühlt sich Meret heute «gut» und sogar «vitaler» als vor ihrer Krankheit. «Ich weiss, es tönt klischiert, aber ich geniesse wirklich jeden Augenblick meines Lebens.» Das gelinge ihr natürlich nicht immer, aber «ich lebe viel bewusster als vor meiner Erkrankung». Sie ist überzeugt, dass ihr vor allem die Therapie geholfen habe, das Erlebte zu einem grossen Teil zu verarbeiten. «In letzter Zeit spüre ich eine neue Kraft in mir, ich bin stolz auf mich, dass ich die Krankheit durchgestanden habe, nicht an ihr zerbrochen bin.»
Bedauern tut sie nur eines: dass sie so lange gebraucht hatte, bis sie Hilfe angenommen habe. Denn: «Manchmal schafft man das Leben nicht allein.»
13 Kommentare zu «Der Krebs ist geheilt – und ist doch nicht weg»
Ja nach so einer krankheit ist nichts mehr so wie es wahr.man verändert sich..auch können dies nicht alle verstehen und wenden sich ab.dies tut weh.ich finde die kraft in der natur..in den bergen und im wald.müde bin ich oft und die arbeit fordert mich.ich lebe aber viel bewusster und geniesse diese tage da ich dann frei habe ganz anders als früher.der krebs hat mich geleehrt egoistischer zu leben.“Nein sagen “ ist heute vielleicht ein ja zu sich…allen viel kraft auf dem neuen weg.
Das kenne ich auch. Als bei mir anno 2012 ein adenokarzinom diagnostiziert wurde und die ganzen behandlungen nach ca 4 Monaten beendet waren, haben einige Leute nicht geglaubt, dass davon bleibende Andenken zurück bleiben. Von der Bestrahlung habe ich heute noch ständig Durchfall, vertrage nicht alles und muss genau Buch darüber führen, was ich esse und wie der M-D Trakt reagiert. vor allem das Unverständnis hat mich sehr betrübt, dass viele nicht glauben wollen, dass – auch wenn der Krebs geheilt ist – immer ein Rest zurück bleibt. Allen Betroffenen viel Kraft.
1. Die meisten Menschen leben in der Illusion „mir doch nicht, nur die anderen!!“. Daher muss dieser Teil der Realität, notfalls auch samt einem solchen Betroffenen ratzekal verdrängt werden. Die verliert ein Betroffener dann.
Was dann übrig bleibt sind die bisher diskreten, unbeachteten Freunde, die plötzlich übrig bleiben.
2. Der Kampf gegen einen Krebs entspricht „Mord und Totschlag“, zurück bleibt eine Art „Marignano“ im Gewebe, womit klar ist, dass es nicht mehr ist wie vorher. Auch der damit verbundene Stress hinterlässt ein „Souvenir“.
3. „Geheilt“ ist wohl oft zu optimistisch!
Meine persönliche Erfahrung in der Familie hat mich folgendes gelehrt, dass nach der Erkrankung ca. 50% aller Freunde weg sind. Ich habe nicht verstanden weshalb aber jede Erkrankung diesen Kaliber kostet etwa die Hälfte der Freundschaften. Ich vermute es ist die Unfähigkeit der Menschen mit erkrankten Mitmenschen umzugehen.
Diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Nur stellt sich die Frage, ob es sich bei diesen sogenannten Freunden, auch wirklich um Freunde gehandelt hat oder eben nur um Menschen, mit denen man eine gewisse Lebensstrecke zusammen gegangen ist.
nach jedem tiefen einschnitt in unsere normalen, uns vertrauten lebensabläufe sind wir alle ein schiff ohne kompass. jeder muss leider seine ganz eigene, ihm helfende unterstützung finden. unsere gesellschaft und das diktat des wohlstands, lässt es nicht allzulange zu, sich auszuruhen. man kann aber gegen den strom schwimmen, sich und seinem eigenen umfeld mehr zumuten. wir müssen nicht immer unser leben den regeln der allgemeinheit unterjochen. aber man muss leider auch die andere seite akzeptieren; wer nicht selbst in einer schwierigen situation ist, wird grundsätzlich anders denken! edith
Ich verstehe das sehr gut. Bin froh über diesen Artikel, er hat meinen Horizont erweitert.
Habe etwas ‚ähnliches‘ erlebt. Bevor wir unsere mittlerweile 10jährige Tochter bekamen, hatte ich 3 Verschüttungen. Ein zweites Kind hat es leider nicht mehr gegeben.
Von mir wird erwartet das jetzt alles gut ist, da wir ja ein Kind – und erst noch ein gesundes – haben. Ich trauere den Verschüttungen nicht nach. Beschäftigen tun mich heute noch die Reaktionen und Kommentare anderer.
Ich wünsche allen in solchen und ähnlichen Situationen viel Kraft.
Kann es sehr gut nachvollziehen, könnte mein Erfahrungsbericht sein.
Mich würde interessieren, ob auch die Leistungsfähigkeit wieder voll da ist.
Marc ich wünsche Ihnen alles Gute! Und wenn Sie noch keine Psychotherapie gemacht haben: Wagen Sie es! Es tut gut! Nur schon das Abladen von all den Gedanken, die Sie beschäftigen, ist eine Befreiung. Und von da kann man dann gemeinsam Strategien für den Umgang damit entwickeln.
Lieber Marc
Ja, die Leistungsfähigkeit ist wieder voll da. Meret fühlt sich sogar «vitaler« als vor ihrer Karnkheit. Aber natürlich geht solch Erlebtes nicht unbemerkt an einem vorbei. Sie ist überzeugt, dass die Therapie ihr sehr viel geholfen hat im Genesungsprozess. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Kraft!
Die Leistungsfähigkeit, die ich vor der Krankheit besass, habe ich (zumindest gefühlt) nie wieder erlangt – heute sehe ich das als Segen. Es stimmt natürlich, dass oftmals unterschätzt wird, welche langfristigen Auswirkungen eine solche Krankheit hat – acht Jahre später muss ich aber auch sagen, dass ich heute vieles positiv sehe, dass die Krankheit für mich ihr Gutes hatte (das hat mir ganz am Anfang jemand gesagt und ich hätte ihm ohne Probleme in den Hintern treten können) – man hebe sich solche Prophezeiungen und ‚Ratschläge‘ auf, sie klingen kurz nach der Diagnose hohl und leer.
Hört
/2 sich sicher an wie ein Clichée, aber in meinem Fall und dem vieler Mitleidender stand nach all den Behandlungen, den Zweifeln, der tiefen Verunsicherung und Angst und vor allem dieses Verlusts des Urvertrauens (sehr schön beschrieben oben) ein völlig neues Selbstvertrauen, ein viel tieferes Verständnis für das Mensch-sein und die stärkere Fähigkeit, Wichtiges und Unwichtiges voneinander zu trennen. Die Tiefe meiner Beziehungen heute lässt sich überhaupt nicht mit der vor der Krankheit vergleichen – dass ich lernen musste, ganz allein mit dieser Lebenssituation umzugehen, hat mich sehr
/3 stark gemacht.
Wichtig für mich war, dass ich jemanden hatte, bei dem ich all die Wut, die Angst und die Zweifel loswerden konnte – immer und immer wieder. Aber das ist nicht bei jedem so – ich würde heute sagen, Marc, dieses ist eine dieser Situationen im Leben, in denen Sie wirklich das machen sollten, was Ihnen persönlich am meisten Hilfe verspricht, was immer das ist. Ich habe jemanden gekannt, der angefangen hat, jedes Wochenende zweimal auf den Mythen zu sprinten – er sagt heute noch, das habe ihn geheilt. Aber jeder Mensch ist da anders und deshalb müssen wir alle ‚unseres‘ finden.