Warum Make-up sogar für Blinde wichtig ist

Die blinde Köchin Christine Ha zeigt in ihren Tutorials, wie sie ihr Leben meistert. Video: Christine Ha/Youtube

Kürzlich hatte ich ein Bindehautentzündung und verliess das Haus ohne mein übliches leichtes Augen-Make-up. Kaum im Büro fragte mich schon die erste Arbeitskollegin mitleidig: «Bist du krank?» Nach der dritten solchen Bemerkung war ich so entnervt, dass ich murmelte: «Ja, schlimmer Magen-Darm-Virus, mir ist total schlecht.» Die feinfühlige Antwort von Kollegin Nummer drei lautete: «Ja, so siehst du auch aus.»

Das musste ich erst mal verdauen. Ohne Mascara und Rouge sehe ich also zum K … aus? «Du bist halt eine Blondine», tröstete mich mein Mann am Abend, «die neigen zur Blässe.» Und, fügte er an, «ich finde dich ungeschminkt mindestens so schön wie geschminkt».

Mein Mann ist ein Guter. Aber diesbezüglich traue ich ihm nicht ganz. Genau so wie 80 Prozent der englischen Frauen, die in einer Untersuchung angegeben haben, sie würden sich einem neuen Lover erst einen Monat nach dem Kennenlernen ohne Make-up zeigen. Abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das logistisch machbar ist – gehen die Frauen geschminkt ins Bett oder stehen sie heimlich früher auf? –, finde ich das eine Bankrotterklärung des eigenen Selbstbewusstseins. Ist man nur liebenswert mit perfektem Teint, rosigen Wangen und gefärbten Wimpern?

Von Kopf bis Fuss

«Ich fühle mich geschminkt hübscher», sagt Christine Ha. Foto: afb.org

Andererseits ist ein nacktes Gesicht immer intimer als ein Geschminktes. Farbe kann Distanz zur Umwelt schaffen, und die brauchen wir manchmal im Alltag. Aber sie sollte kein Muss sein. Ich kenn zahlreiche Kolleginnen, die sich nicht schminken und die ich wunderschön finde. Natürlich hat es eine rassige Brünette mit dunklen Augen leichter als eine Blondine mit einem leichten Albino-Einschlag, die ganz ohne immer leicht kränklich aussieht. Aber ich habe auch eine Freundin, Edith, die mit ihrem weissen, langen Haar und ihrem leuchtend roten Lippenstift sensationell aussieht. Und ohne ihr Markenzeichen, eben der Lippenstift, würde definitiv etwas fehlen.

Auch für Christine Ha, Amerikanerin vietnamesischer Herkunft, ist die tägliche Beauty-Routine eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch in diesem Fall ist das Auftragen des Make-ups etwas sehr Besonderes. Denn Christina Ha ist seit 2007 blind. In ihrer YouTube-Serie «The Blind Life of Christina Ha» zeigt die Küchenchefin, die 2012 die TV-Show MasterChef gewann, wie man sich mit einer derartigen Sehbehinderung im Alltag zurechtfindet.

Ha möchte gut aussehen, obwohl sie selbst nichts sieht. Weil ihr Make-up Selbstbewusstsein gibt. «Es ist nicht lebensnotwenig, aber ich fühle mich geschminkt einfach hübscher.» Beim Schminken verlässt sie sich dabei nur auf ihr Gefühl. «Ich spüre es, wenn das Mascara-Bürstchen über meine Wimpern fährt. Ich fühle, wie weit ich mit dem Blush-Pinsel meinen Wangenknochen entlang bürsten muss.»

Auch ich fühle mich mit einem leichten Make-up selbstsicherer. Trotzdem werde ich in Zukunft immer wieder mal einen schminkfreien Tag einlegen. Und der Welt mein ungeschminktes Gesicht zeigen.

15 Kommentare zu «Warum Make-up sogar für Blinde wichtig ist»

  • helga sagt:

    Das ist wirklich sehr gut geschrieben und selbst „blinde“ sollten es verstehen können 🙂 danke und lg, Helga

  • Christina sagt:

    Das stimmt, man sollte nur optimieren was schon da ist und das Beste aus jeden Gesicht herausholen, ohne dass es künstlich wirkt, sondern ganz natürlich. Ich bin Make-up Artist, und sehe oft viele Frauen die nicht wissen wie sie sich am besten schminken sollen. Weniger ist oft mehr…

  • Markus Schneider sagt:

    Geschminkte haben halt immer etwas Verlogenes an sich, können nicht zu sich stehen. Leider ist es meiner Erfahrung nach auch so, dass die weniger hübschen Frauen glauben, sie würden durch Schminke (oder teure Kleider, Schmuck usw.) schöner. Dem ist nicht so, auf mich wirken sie bloss billiger.

  • Anne Frei sagt:

    Ich habe AMD, Macula Degeneration und sehe mich im Spiegel praktisch nicht mehr. Ich schminke mich so gut es geht „nach Gefühl“. Wie kann ich es tun, wenn ich einmal mich gar nicht mehr sehen werde? Ein bischen Farbe steht mir besser… Für einen guten Rat sage ich Danke.

  • Peter-Jürg Saluz sagt:

    Wenn sich eine Frau schminken will, soll sie es tun, Wenn eine Frau glaubt, dass sie sich schminken muss, soll sie es lassen. Frauen, die sich wohl fühlen, haben – geschminkt oder ungeschminkt – eine besondere Ausstrahlung. Schade finde ich nur, dass Taattoos und Piercings so „in“ sind. Sie beeinträchtigen nach meinem Dafürhalten die natürliche Schönheit und nicht selten auch die Gesundheit. „Verschönerungen“ dieser Art haben im Vergleich mit einem Make-up ohnehin einen grossen Nachteil, denn sie lassen sich kaum oder sogar überhaupt nicht entfernen.

  • Christian sagt:

    Ich bevorzuge es wenn leute nicht geschminkt sind. Im gegensatz zu körperschmuck oder tätowierungen stört mich das oft irgendwie.

  • The it sagt:

    Ich bevorzuge Farbe auf dem Blatt, canvas oder Wand. Make-up ist schlicht eine Illusion ….wie die meisten hier sicher am Morgen fest stellen…..:)

  • Böser Wolf sagt:

    Die erste Frau, die sich nicht schminkt, heirate ich. Für mich hat der Zwang sich zu schminken etwas krankes an sich.

    • Blanche Wu sagt:

      Ich kenne einige Frauen welche sich nicht schminken. Ich selber benutze kein Make-Up, da ich ständig Angst habe danach mit Pickeln zu spriessen. Man verstopft doch seine Poren mit „Dreck“ und auch wenn das Make-Up am Abend abgewaschen wird, am Tag durch setzt sich was fest…vor allem Make-Up um Pickel zu verdecken…das macht doch alles noch viel schlimmer. Ausserdem sind Kosmetikas auch sehr teuer und Günstiges oft nicht zu gebrauchen.

      • michael sagt:

        Liebe Blanche, dann musst Du Dir mal was Gutes an Kosmetik kaufen, dann klappt das auch mit den Pickelm. Und eine gute Kosmetikerin ist goldeswert. Auch als Mann kann man sich das mal gönnen – ich geniesse es !

  • edith sagt:

    schminke ist wie kaffeetrinken am morgen..elementar, aufstellend und genussvoll.. ob lippenstift ( für mich absolut unerlässlich) ob wimperntusche mit schattenpowder, oder im falle eines schlimmen ekzems ( gerade eben mein problem) das leichte make-up das mich statt zoombie gleich wieder ganz normal aussehen lässt..es ist das seidene pijama am tage auf dem gesicht… dies scheint mir vorallem auch bei der wunderschönen von dir beschrieben köchin der fall zu sein..für alle gilt: schminken gibt ein gutes gefühl.. wenn das dann auch noch als besser aussehen wahrgenommen wird, umsobesser.. edith

  • sonja sagt:

    Habe aus „Gwunder“ nach dem Wikipediartikel von Christine Ha gesucht. Dort & und auf einer Referenzseite steht, dass sie nicht seit Geburt blind ist, sondern 1999 die Sicht auf einem Auge verlor und 2007 komplett erblindete. Sie leidet an der Autoimmunkrankheit Neuromyelitis optica.

  • Sarah sagt:

    Respekt! Wirklich bemerkenswert wie sie sich schminkt.

  • Gladys sagt:

    Meine Grossmutter hat immer gesagt man optimiere doch nur was schon da sei..so halte ich das auch. Nur halt nicht zukleistern und verschlimmbessern..

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