Melancholisch oder depressiv?

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Mehr als nur schlecht drauf: Kirsten Dunst in Lars von Triers «Melancholia». (Zentropa/Arte)

Kürzlich erzählte mir ein Nachbarskind: «Ein schwarzer Vogel sitzt auf meiner Brust.» Zuerst verstand ich nicht, was die Kleine meinte, bis ich nachfragte, was es denn mit diesem Vogel auf sich habe. Da sagte sie schlicht: «Ich bin eben traurig.» Die Sechsjährige hatte es verstanden, ihre Gefühle in ein Bild zu fassen. Etwas, das uns Erwachsenen selten gelingt.

Traurig, pessimistisch, schlecht drauf: Wie oft spüren wir diesen schwarzen Vogel selber? Der Ausdruck «Ich bin depro» wird heute beinahe inflationär gebraucht, andererseits ist in der Gesellschaft fast kein Platz mehr für diese Art der Gefühle. Gerade im Frühling, wenn die Tage länger und wärmer werden, fühlen sich viele Menschen verstimmt. Nicht im düsteren November ist die Zahl der Suizide am höchsten in der Schweiz, sondern im angeblichen Wonnemonat Mai. «Der Antrieb durch Licht und Wärme wäre eigentlich da», sagt Joe Hättenschwiler vom Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ), «aber die Stimmung hinkt hintendrein.» Das setze Menschen, die sich psychisch schlecht fühlten, zusätzlich unter Druck. «Wenn die Sonne scheint, ist eine depressive Grundstimmung manchmal noch schwerer auszuhalten als bei Hudelwetter. Alle scheinen gut drauf zu sein, ausser man selber», sagt Psychiater Hättenschwiler.

Wie aber erkennt man, ob man einfach schlecht drauf ist oder schon depressiv? «Ich frage meine Patienten dann: Sind Sie länger als zwei Wochen freudlos, deprimiert und antriebslos? Oder haben Sie immer noch Spass daran, Freunde zu treffen, am Essen und an Ihren Hobbys?», erklärt Hättenschwiler. «Wenn letztere drei Punkte zutreffen, haben die Menschen in der Regel keine Depression.»

«Es ist völlig normal, zu gewissen Zeiten traurig und deprimiert zu sein», sagt auch der Philosoph Wilhelm Schmid, der mit seinem Buch «Gelassenheit – was wir gewinnen, wenn wir älter werden» seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht. «Doch die Menschen akzeptieren nur die Hochs und wollen so schnell wie möglich aus den Tiefs herauskommen.» Ist man nach einem schlimmen Ereignis niedergeschlagen, ist einem klar, woher diese Gefühle kommen. Aber die anscheinend grundlose Traurigkeit, die oft mit Depressionen verwechselt wird, macht uns schwer zu schaffen. Dabei würden solche melancholischen Stimmungseinbrüche einfach zum Leben gehören. «Die Positive Psychologie, die einen geradezu auffordert, gut drauf zu sein, kann fatal sein», sagt Hättenschwiler, «denn sie geht wider die menschliche Natur.» Eine Verstimmung ist noch keine Depression. Während die Depression eine Gemütserkrankung ist, die fachgerecht behandelt werden sollte, bedarf es bei einer Verstimmung weder Medikamenten noch einer Psychotherapie. «Wenn es in mir zwei, drei Tage recht düster aussieht, heisst das noch lange nicht, dass man krank ist», stellt auch der österreichische Psychotherapeut Wolfgang Pichler fest.

Anders als die Krankheit Depression, die durch Gefühle des Erstarrtseins und Nichtfühlens geprägt ist, sind Traurigkeit und Melancholischsein von Gefühlen geprägt und manchmal auch von übergrosser Sensibilität. Es gibt daran nichts zu heilen, eher diese Seite des Menschseins zu pflegen. Bei vorübergehender Niedergeschlagenheit gilt es also, sich auf sich selber zurückzuziehen, sich was Gutes zu tun und vielleicht auch mal in seiner Melancholie zu schwelgen. Zum Beispiel mit einer DVD. Tipp: «Melancholia» von Lars von Trier.

Bei einer vermuteten Depression hilft allerdings nur der Gang zum Arzt, der nach Abklärungen eine Diagnose stellen kann.

Die wichtigsten Kriterien

Wie aber kann man erkennen, ob man nur verstimmt ist oder an einer echten Depression leidet? Ein wichtiges Kriterium ist die Dauer des Zustandes. Die Grundsymptome einer Depression halten mindestens 14 Tage lang an. Diese Grundsymptome sind:

• Verlust von Freude und Interesse
• eine hartnäckige, durch äussere Faktoren kaum zu beeinflussende gedrückte Grundstimmung
• unproduktive Betriebsamkeit
• Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen
• Schlafstörungen
• Morgentief
• Schuld- und Versagensgefühle
• Gefühl der Leere
• Selbstmordgedanken, Selbstverletzungen
• Verlust des sexuellen Verlangens
• Appetitlosigkeit/Gewichtsverlust
• körperliche Symptome wie Schmerzen, Schwindel, Schwitzen, Tinnitus

(Quelle: ICD-10 / WHO World Health Organization)

 

 

17 Kommentare zu «Melancholisch oder depressiv?»

  • edith sagt:

    melancholie ist wie ein paar tage intensiv dunkles nasses kaltes wetter.. deswegen man aber noch lange nicht unabsehbar die sonne nicht mehr sehen sollte.. man hat noch ganz klar die überzeugung dass sie wieder kommt, das vertrauen, das sie wieder scheinen wird… und kann sogar die tage nutzen zum aufräumen, loslassen und ausruhen!! eine depression ist ein loch ohne momentane zuversicht und braucht von aussen unterstützung… die man sich gönnen sollte ! ohne verlustängste: man kann nur gewinnen.. edith schmidt

  • Kleingeist sagt:

    Ganz gutes Buch zum Thema: „Mein schwarzer Hund“ sowie „mit dem schwarzen Hund leben“

    • Lisa sagt:

      Ja, das Buch ist wirklich sehr schön. Vor allem um Kinder zu verstehen, was eine Depression bedeutet.

      • agi sagt:

        Dieses Buch bringt es sehr gut auf den Punkt, was eine Depression ist. Für Betroffene und Angehörige eine Hilfe, diese Krankheit vielleicht etwas besser zu verstehen.

  • Manuela sagt:

    Das ZADZ ist ein hochkompetes Zentrum mit der Bemühung, seine Patienten und Patientinnen auf bestmögliche Art und Weise im Genesungsprozess zu unterstützen. Mit Professionalität, Weitsicht und Engagement. Ein depressiver Mensch kommt alleine nicht mehr aus dem Dunkel, dank dem ZADZ geht es vielen Betroffenen wieder gut und können am Leben wieder teilnehmen. Ich habe diese Erfahrung selbst gemacht.

  • Fredi sagt:

    Die hohe Depressions- und Selbstmordrate bei gleichzeitig immer höherem Lebensstandard ist ein Paradoxon. Anscheinend geht materielle Sicherheit und Lebenszufriedenheit eben doch nicht überein. Was allerdings auch immer mehr zunimmt sind die gesellschaftliche Dynamik, Oberflächlichkeiten und Ablenkung. Was mehr und mehr fehlt sind soziale Wärme, echte Freundschaften und „kontemplative“ Momente. Vielleicht sollte man sich mehr um die letztgenannten Bereiche kümmern, anstatt Pillen zu verschreiben.

  • Lisa sagt:

    Als Topmanagerin war ich in einer schweren Krise. Ich konnte mich weder krank schreiben lassen, noch konnte ich Jemanden davon erzählen. Das hätte mich meinen Job gekostet. Im ZADZ war ich sechs Monate in Behandlung, parallel zum Alltag und Berufsleben. Keiner merkte etwas und heute bin ich wieder stabil ohne Depressionen. Aus meiner Sicht ist es wichtig gewesen begleitet zu werden. Herrn Dr. Hättenschwiler habe ich viel zu verdanken.

    • Ben sagt:

      Mag ja alles stimmen, ïch bevorzuge aber systematisches Wohlwollen für öffentliche Einrichtungen den die gehören allen anstatt wenigen

    • Giorgi sagt:

      Das man dies heimlich macht ist traurig, aber verständlich. Da muss in der Gesellschaft noch viel geschehen.

  • Annegreth sagt:

    Zum Glück gibt es so professionelle Anlaufstellen wie das Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ).
    Ein Gewinn für unsere Gesellschaft!

  • Deprimed sagt:

    Wie bereits gesagt kommt heute zweierlei in der Gesellschaft zum Vorschein. Jede Stimmungsschwankung und depressive Verstimmung die einen nicht in den Kram passt obwohl ganz normal muss behandelt werden ob mit Medikamenten, KVT etc. andererseits aber auch eine tatsächliche Zunahme wirklich Depressiver, aus welchen Gründen auch immer (zu schnelle Entfernung für den Menschen geeigneten Lebensmodellen, Reizüberflutung etc.). Wichtig ist ein guter Psychiater der unterscheiden kann.

  • Temo Belanov sagt:

    Interessanter Artikel, aber wenig passende Bildwahl. Im Film „Melancholia“ geht es nicht (oder nur nebenbei) um Depressionen…

    • Matt Kimmich sagt:

      Oder es geht zentral um Depressionen, und die Weltuntergangsgeschichte ist primär metaphorisch zu sehen. Der Planet, der auf die Erde zurast, heisst nicht umsonst gleich wie der Film.

  • Carolina sagt:

    Frau Aeschbach, gutes und wichtiges Thema! Heute wird gerne alles in eine Diagnose verpackt, alles Vage, Unerklärliche, Nicht-zu-Fassende ist sehr schwer zu ertragen. Und ‚Schulen‘ wie das positive thinking helfen dabei auch nicht weiter.
    Worte sagen schon sehr viel, wie schön von Ihnen beschrieben: das Kind, das mithilfe von Symbolen ausdrückt, wie es ihm geht; ein Mensch, der lernt, Melancholie auszuhalten, vielleicht als Hinweis seines Körpers zu sehen, dass er mal wieder Ruhe braucht und nicht noch mehr Ablenkung. Oft machen (vermeintliche) Diagnosen tunnelblickig, sie verhindern den

    • Carolina sagt:

      /2 weiteren Blick auf sich selbst und fördern das Schubladendenken. Besser wäre es, auch mit der Sprache sorgfältiger und kreativer umzugehen, um wieder ein Gefühl dafür zu bekommen, dass es völlig normal und sogar erwünscht ist, dass Gemütszustände wechseln.

      • Giorgi sagt:

        Ich bin, nach eigenem Erleben, klar der Meinung dass der Mensch sehr gut zwischen Melancholie und Depression unterscheiden kann.

  • Ben sagt:

    Oft damit einhergehend Burnout oder umfassender Anpassungsstörung, so eine offizielle Wahl für einen Zustand von dem die Depression eine Komponente ist… mit nichts davon ist Spass zu treiben. Mir passt etwa die Wahl von Anpassungsstörung überhaupt nicht weil damit die Ursache beim krank gewordenen gesucht wird und so quasi wenn der kranke sich einfach anpassen würde hätte man diese Probleme (immer gerne missbraucht, die Kosten und Verluste und wer bezahlt) nicht… Lässt man Melancholie und auch Langeweile über sich ergehen können daraus richtig gute kräftige Emotionen werden

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