Dunkle Auslese

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Die Kulturgeschichte des Kaffees, meine Damen und Herren, ist schon öfter neu geschrieben worden als die Lebensgeschichte von lovely lovely Joan Collins. Uns aber interessiert hier weniger, wann nun genau das erste Kaffeehaus in Wien eröffnet wurde (nach neuesten Erkenntnissen 1685 durch den Armenier Johannes Diodato) oder ob es wirklich der Ingenieur Luigi Berazza war, der 1901 ein Patent für ein Gerät erhielt, mit dem man Espresso herstellen konnte. Nein, uns erschliesst sich Geschichte zuallererst in Anekdoten, in jenen kleinen prägnanten Signalen unseres Alltags, die den Kaffee tatsächlich zum lebendigen Kulturträger erheben. Kaffee beugt bekanntlich nicht nur Alzheimer und Gallensteinen vor, sondern auch Depressionen. In der Tat wird das moderne zivilisierte Individuum oft nur durch eine Tasse Kaffee davor bewahrt, sich in ein aufgelöstes, apathisches Nervenbündel zu verwandeln. Hier sind fünf Dinge, die wir nicht aushalten würden ohne Aussicht auf Kaffee:

  1. «Vom Winde verweht»

    Geht auch mit Kaffee beinahe nicht.

  2. Autofahren

    Besonders in so Wunderwerken wie der neuen Mercedes S-Klasse, die ich vor drei Wochen zu testen das Vergnügen hatte. Hier hilft ein Eimer Espresso Frappuccino Light ganz vorzüglich dabei, beim Einparken voll und ganz der Stereokamera zu vertrauen. Oder auf dem klassischen Sitzplatz für diese Art von Auto, nämlich hinten rechts, die Hot Stone Massage noch angenehmer zu gestalten, während man gleichzeitig während der Fahrt durch den Gotthard-Tunnel «Mommie Dearest» schaut. No wire hangers, ever!

  3. Das Internet

    Wir sagten es schon an anderer Stelle: Man kann online virtuell alles tun, ohne es wirklich zu tun, und das kann einem nach kürzester Zeit recht frustrierend vorkommen. Ohne Kaffee, jedenfalls.

  4. Die Frankfurter Buchmesse

    Egal, wie irrelevant die Neuigkeiten sind, die Ihnen gut informierte Kreise auf Fachmessen zukommen lassen, antworten Sie immer mit: «Oh ja, das habe ich schon gehört.» Dann nehmen Sie einen vielsagenden Schluck Kaffee und setzen einen Gesichtsausdruck auf wie Myra aus «Episodes».

  5. Detox-Kuren

    Es ist schon Prüfung genug, in Gesellschaft von lauter Typen wie Bobby Brown 90 Tage lang fernab vom wirklichen Leben bei Sojamilch und Hollywood-Yoga dahinzuvegetieren. Da will man wenigstens einen Schluck Espresso. Wenn einem schon das Adderall weggenommen wird.

Im Bild oben: Jack Nicholson schenkt sich im Film «The Bucket List» (2007) einen Kaffee ein.

14 Kommentare zu «Dunkle Auslese»

  • Philipp Rittermann sagt:

    …bucket list -> der berüchtigte „kopi-luwak“ – kaffee aus exkrementen von schleichkatzen. edward cole schwört darauf. kaffee ist in der tat wichtig um:
    1) wenigstens noch einen primär-antrieb zu finden um aufzustehen und arbeiten zu gehen.
    2) bei der dritten „bullshit-bingo“-sitzung der woche mit dem mänätschment nicht einzuschlafen.
    3) die zigarettenpausen noch substantieller in die länge zu ziehen.
    4) die pausen zwischen dem alkoholkonsum auszufüllen.
    5) den stuhlgang anzuregen.

  • Anne sagt:

    Oh – es gibt also noch jemanden, der DEN epochemachenden Satz aus der Fimgeschichte kennt.
    Ich kann keinen Drahtbügel sehen, ohne „No wirehangers! Ever!“ zu denken oder sogar meist zu murmeln. Wenn Joan Crawford wüsste…

  • Karl Knapp sagt:

    Jetzt bin ich als BMW-Fahrer aber wirklich neidisch ! Im neuen S-Mercedes ist eine Kaffeemaschine integriert ? Ist doch endlich mal ein brauchbares Assistenzsystem, wirklich. Aber definitiv stilvoll geniesst man den Kaffee auf der Gotthardstrecke eigentlich nur im Panoramawagen der SBB, Kirche von Wassen inbegriffen.

    • daniel g. sagt:

      Herr Rittermann
      Haben Sie das Buch „Weltrevolution der Seele, Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis“ herausgegeben von von Peter Sloterdijk und Thomas H. Macho in ihrem Bücherbestand stehen? Falls nicht: sofort erwerben. Faszinierend!

    • Philipp Rittermann sagt:

      danke für den tipp, daniel – ich werde es mir ansehen.

  • Lord Henry sagt:

    „Nobody ever said live was fair….“

    • Lord Henry sagt:

      Sorry, natürlich „life“

    • Philipp Rittermann sagt:

      life is live, lalaaalaaalala! 🙂

    • Lord Henry sagt:

      Lieber Herr Rittermann,
      für den wichtigsten Satz der Protagonistin in „Mommie Dearest“ halte ich doch meinen oben genannten. Er ist erfrischend realistisch und scheint auch kaum von einem Erwachsenen ertragen zu werden. Die Leute heutzutage taumeln zwischen Optimismus und Euphemismus einen ganz schwindelig.

    • Philipp Rittermann sagt:

      da haben sie natürlich wieder mal recht, eure lordschaft. wir zeitgeistgeschädigten neo-mennoniten sind an kausaler promiskuität de facto gar nicht mehr zu überbieten. wäre nicht diese dissuasive mentale inkontinenz, würde ich meine gnostische demagogie viel häufiger einsetzen um das orakel zu befragen; gerade in diesen zeiten der lepsie und achromatopsie.

    • Lord Hernry sagt:

      War denn beim letzten Laphroaig noch alles in Ordnung Herr Rittermann ?

    • Philipp Rittermann sagt:

      ich weiss nicht, lieber lord henry…sagen sie’s mir! 😉 apropos – versuchen sie mal den 16-jährigen linkwood von gordon & mcphail.

  • christel sagt:

    Starbucks?!? Hat nun rein gar nix mit Kaffee zu tun, wo oder wann auch immer.

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