Der Stil der Guten

BlogMag663

Ich gebe zu, meine Damen und Herren, ich kann mich jetzt spontan nur an die groben Züge des legendären Road Movie «Smokey and the Bandit» von 1977 erinnern, diese ins Untergenre «Trucking Film» fallende romantische Geschichte eines Biertransports mit dem unnachahmlichen Burt Reynolds in der Hauptrolle. Bloss zwei Sachen weiss ich noch genau: Erstens, dass Sally Field als Beifahrerin andauernd ihre Füsse gegen Armaturenbrett bzw. Windschutzscheibe des Pontiac Trans Am presste. Und zweitens, dass der Bandit verfolgende Sheriff, der natürlich Justice heisst, hässlich ist. Womit wir schon einen bedeutenden Topos des Road Movie (und im Grunde natürlich jedes ordentlichen Films sowie jedes von mir geschriebenen Romans) beleuchtet hätten: Die Guten sind immer hübsch – wenn vielleicht nicht stets im klassischen oder wenigstens periodentypischen Sinne, wie Mr Reynolds, so doch wenigstens und immerhin im Sinne von: niedlich, cute, anrührend, so wie Dorothy in «The Wizard of Oz» oder Abigail Breslin als Little Miss Sunshine.

Die kleine Miss Sunshine trägt leuchtend rote Cowboystiefel, genau wie Burt Reynolds in «Smokey» und quasi jedem anderen seiner Filme (nur selbstverständlich nicht in Rot) – und dies ist bereits ein deutlicher Hinweis auf Stil und Symbolik des Helden, der sich im Road Movie auf die Strasse begibt, deren Ende der Horizont zu sein scheint: Was er trägt, drückt Freiheit aus, Freiheit und Unabhängigkeit (gar: Anarchie), Unkonventionalität und Individualität (was, neben der Abwesenheit geeigneter Karossen, auch erklärt, warum der Ostblock oder das chinesische Kino keine tauglichen Road Movies hervorbrachte und bringt).

Freiheit ist Bewegung

Der Begriff der Freiheit ist natürlich ein Emblem, das sich a priori über jede Art der Garderobe (mit Ausnahme vielleicht der Uniform) legen lässt, weil Freiheit, der Drang nach ihr, nicht an den Anziehsachen hängt, sondern am Träger. Auf diese Weise kann sogar ein in der Konvention der mittelmässig gekleideten mittleren Mittelklasse gekleideter Geschäftsmann mittleren Alters und mittleren Kaders wie Dennis Weaver in «Duel», einem der besten Road Movies aller Zeiten, mit seinem Mittelklassewagen in der kalifornischen Wüste zum Freiheitskämpfer werden. Und der Star aus «Rauchende Colts» gewinnt den Kampf schliesslich ausgerechnet mithilfe seines Aktenkoffers, diesem Symbol der Konformität. So kanns gehen, bei Herrn Spielberg. Weavers menschlicher Antagonist in «Duel», von dem man nicht viel sieht, trägt übrigens auch Cowboy Boots – aber aus Schlangenhaut. Good Governor, ich liebe diesen Film. Ich muss den unbedingt mal wieder sehen.

Nun könnte man einwenden: Was ist mit Kowalski? Kowalski ist nicht gerade ’ne Schönheit, und cute ist er schon gar nicht. Der Vietnam-Veteran, Ex-Rennfahrer und Held von Richard Sarafians 1971 erschienenem Film «Vanishing Point» hat das Styling eines Mittelklassenhippies in der kollektiv deprimierten Post-Woodstook-Ära (und das ist schlimmer als Geschäftsmann, mittleres Kader). Kowalski aber scheint sich seine Provinzfrisur erlauben zu können, denn er verkörpert: die Bewegung um ihrer selbst willen. Der Film behandelt eine Herausforderung, die eigentlich nicht nötig ist: Der Held will einen weissen Dodge Challenger in 15 Stunden von Denver nach San Francisco bringen, was er mithilfe von Hippies und Benzedrin und dem Lokalradio auch beinahe schafft, bis ihm die Gesellschaft in Form der Polizei einen Strich durch die Rechnung bzw. eine Sperre über die Strasse zieht, in die Kowalski als Ikone der Gegenkultur bewusst hineinrast. Das zeigt uns sehr schön die stilistischen Leitmotive des Road Movie: Aufbruch, Jagd und Aussenseitertum. Der Held wird gehetzt, weil er gegen eine Norm verstossen hat, die manchmal bloss das Tempolimit ist, manchmal auch was Gravierenderes. Meistens aber wird er gehetzt, weil er, der Held, andere Vorstellungen vom Leben hat als die anderen – und vielleicht zusätzlich noch ein wenig die Geschwindigkeit übertritt. Der Held ist ein Outlaw, ein Misfit, und die Bewegung ist seine Problemlösung. Die Gesellschaft immer hinterher. Das Ganze kann, wie bei «Vanishing Point», der übrigens zunächst in den USA nach Erscheinen nicht sehr erfolgreich war, leicht abrutschen; in der Tat ist der Film etwas plakativ und obendrein leicht homophob und jedenfalls durchaus nicht, wie Hauptdarsteller Barry Newman später reflektierte, «ein Essay über Existentialismus». Nicht jedes Werk, dessen Protagonist kein Ziel hat, ist deswegen existentialistisch. Sartre wäre in seinem 2CV auch nicht in 15 Stunden von Denver nach San Francisco gekommen.

Die Symbolik der Strasse

Aber der Appeal der Helden des Road Movie liegt eben darin, dass er seinem Dasein eigene Gesetze und eigene Bedeutung zu geben scheint und frei ist, zu tun, was er wünscht. Und dafür braucht es: die Strasse. Es ist ja nur ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium, dass bei einem Road Movie die Handlung unterwegs stattfindet, nein, nicht nur unterwegs, es muss auf der Strasse sein. Deshalb ist entgegen weitverbreiteter Auffassung «2001: A Space Odyssey» eben kein Road Movie und «The Wizard of Oz» trotz fehlenden Automobils hingegen schon, denn die «yellow-brick road» ist – eine Strasse (wie der Name schon sagt). Und warum ist die Strasse so wichtig? Weil man nur auf der Strasse, nicht im All oder in der Luft oder auf hoher See, Begegnungen haben kann. Die können unangenehm sein wie in «Duel» oder wundervoll wie in «The Muppet Movie», ebenfalls einem der besten Road Movies aller Zeiten. Die äussere Reise spiegelt die innere, getreu dem Vorbild der klassischen Bildungs- und Entwicklungsgeschichte der epischen Reise, von Odysseus und Aeneis über Don Quixote bis zu Jack Kerouacs «On The Road» und weitere Bücher der Beat Generation, die eine unruhige Wanderschaft als Ausdruck eines spezifisch modernen Lebensgefühls charakterisierten. Der Held oder die Helden entwickeln und verändern sich unterwegs, und es ist nebensächlich, ob die Reise ein Ziel hat und ob dieses Ziel erreicht wird.

Die grosse Zeit des Road Movie waren die 60er- und 70er-Jahre, das Bewusstsein vom Road Movie als einer Gattung mit eigenen unabdingbaren Versatzstücken und besonderer Ausstattung kam mit «Easy Rider» und «Bonnie and Clyde». Letzteres Werk zeigt, dass der Road Movie die einzige Möglichkeit für Helden darstellt, Schurken zu sein – natürlich nur im äusserlichen Sinne von Gesetzesbrechern (auch wenn dabei Statisten massenweise draufgehen können). «Easy Rider» hingegen gibt eine weitere stilistische Determinante des Unterwegsseins vor: männlich. Im Sinne von: herb, rau, wortkarg. Die Guten brechen Richtung Horizont auf und sind unrasiert und sonnenbebrillt und casual, mithin: careless. Die Sonnenbrille ist das wichtigste Accessoire im Road Movie, sie distanziert den Helden vom Geschehen, sie ist mit Beweglichkeit, Widersetzlichkeit, Agilität und also mit Jugend assoziiert, sie gehört zum Road Movie wie der endlos glänzende Highway als Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität, die Suche nach Glück, der Soundtrack, die Stationen, an denen getankt und gegessen, Herausforderungen bestanden, Wissen gewonnen oder ein Verbündeter verloren wird. Auch das Motiv des Fortbewegungsmittels als Fetisch, wie Regisseur Dennis Hopper es in «Easy Rider» etablierte, ist ein unverzichtbares stilistisches Versatzstück des Road Movie: das Automobil als Vehikel für Träume, Entwürfe und Illusionen, Grössenideen und Phantasien – aber auch als Vehikel der Revanche für Unterlegenheitsgefühle, der Rache für Unterdrückung und Beengung, als Waffe im Wettrennen um Geltung und Ansehen. Der Held hat zwar nicht immer das bessere Auto – doch er ist stets der bessere Fahrer. Ob am Steuer eines Pony Car wie Steve McQueen in «Bullitt» oder am Lenkrad eines Trucks wie Kris Kristofferson in «Convoy» oder hinter dem eines abgetakelten Busses namens «Priscilla, Queen of the Desert».

Was der Gute auf keinen Fall tragen darf

Parallel zur Fetischisierung der stilistischen Embleme von Freiheit und Abenteuer (ich sage nur: verspiegelte Ray Ban Aviators) lief auch beim Road Movie deren selbstironische Konterkarierung: die Männlichkeit und Improvisiertheit und Carelessness der Erscheinung wurde konterkariert durch Phänomene wie den Cat Suit von Farah Fawcett in «Cannonball Run». Was nichts daran ändert, dass sämtliche Protagonisten auch in diesem Meilenstein der Road Movie History, inklusive Dean Martin und Sammy Davis, Jr, sich in ein Urverhältnis zurückversetzt finden: der unversöhnlichen Spannung zwischen Wildnis und Bändigung, Freiheit und Zivilisation. Das geht einfach nicht in Cordhosen. Sowenig wie ein Hybridwagen in ein Road Movie passt. Womit wir bei der Schwarzen Liste wären: Was der Gute auf keinen Fall tragen und haben darf. Sandalen zum Beispiel. Oder Gesundheitsschuhe. Oder Hosenträger. Stellen sie sich die roten Hosenträger von Michael Douglas aus «Wall Street» in einem Road Movie vor – und sie haben «Thelma and Louise». «Thelma and Louise» ist in vielerlei Hinsicht das Tschernobyl des Road Movie und zeigt uns, was die Gattung zerstört: Gewolltheit. Vielleicht ist das der Grund, weshalb das europäische Kino nie ein funktionierendes Road Movie auf die Beine bzw. auf die Räder stellen konnte: In der alten Welt verstehen sich die meisten Regisseure als «Filmemacher» und suchen nach «filmischem Ausdruck» und dann kommt so ein prätentiöses, manieristisches Machwerk raus wie «Zabriskie Point» von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1970, was genau das verkörpert, wovor jeder Road Movie Hero sofort brausend wegrasen würde. Oder man versucht sich in der deutsch-betont-schwerfällig-lehrerhaft-symbolistischen Zitierung von Wanderschaftsmotiven des Bildungsromans. Damit will ich sagen: Es gibt keinen Wim-Wenders-Film, bei dem ich nicht mit offenem Mund einschliefe. Und bitte schreiben Sie mir jetzt dazu keine Kommentare. Die werden sofort vernichtet.

Das Ende steht fest

Zu den festen Gattungsbestandteilen des Road Movie gehören auch die Möglichkeiten für sein Ende. Grundsätzlich sind vier Varianten verfügbar: 1. Die Protagonisten erreichen das Ziel und lösen die Aufgaben und kehren weiser und erfahrungsreicher nach Hause zurück, so wie in «It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World». 2. Am Ende der Reise liegt für die Protagonisten ein neues Zuhause. So erfüllen sich (manchmal in ungeahnten Ausgestaltungen) die Hoffnungen, die das Unterwegssein mit sich bringt. Beispiel: «Rain Man». 3. Weil die Hoffnungen die Möglichkeit zur Enttäuschung in sich bergen, bleibt man lieber für immer unterwegs, wie in «Convoy». 4. Die Protagonisten realisieren als Resultat ihrer Reise, dass sie niemals nach Hause kommen werden, weil ein Zuhause als Ort unerreichbar oder inexistent ist. Sie wählen den Tod. Das sind die klassischen Antihelden Kowalski oder Bonnie und Clyde, die nur scheinbar erschossen werden (in Wahrheit: sich erschiessen lassen).

Selbst wenn die Reise endlos dauert oder die Helden draufgehen, ist es nicht richtig, dass die Vision des Road Movie ein Traum von der Flucht wäre. Der Leitsatz des Road Movie lautet vielmehr: Entdeckung ist Bewegung – und umgekehrt. Wegfahren ist nicht Weglaufen, der Mythos des Road Movie liegt nicht, wie manche glauben, in der Flucht, sondern im Aufbruch. Deshalb ist die häufigste Zeile des Road Movie: «Let’s get out of here.» Das ist der Satz der Guten, deren Stil individualistisch, authentisch, ungekünstelt und frei ist. Und der Stil der Guten ist der Sieg des Guten. Die Strasse ist eine Frage der Haltung. Das geht auch mit roter Krawatte und Tennissocken. Wie gesehen in «The SpongeBob SquarePants Movie».

Im Bild oben: Dennis Weaver wird in «Duel» im Mittelklassewagen zum Freiheitskämpfer. (Universal TV)

 

 

8 Kommentare zu «Der Stil der Guten»

  • Sascha Brunner sagt:

    Interessanter Beitrag bis auf die Bemerkung über das europäische Kino in diesem Zusammenhang, denn das vielleicht sogar beste Road Movie kommt formell doch sehr europäisch daher – Two Lane Blacktop von Monte Hellman.

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