Das ist die Schweiz

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Gerade war bekanntlich der 1. August, meine Damen und Herren, und dann denkt man so als Schweizer über sein Heimatland nach, dessen Bevölkerung sich in der Vorstellung vieler Menschen vorzüglich mit der Herstellung von Käse, Schokolade und Uhren beschäftigt, und ab und zu liefern korrupte Menschen aus aller Welt ihr Geld in Koffern ab. Das stimmt natürlich vorne und hinten nicht. In Wahrheit ist die schweizerische Eidgenossenschaft eines der kleinsten, ältesten und schönsten Länder der Welt, mit funkelnden Seen besetzt und beschirmt von majestätischen Bergmassiven, in deren Täler sich Städte und Städtchen schmiegen, die wie zur Labsal und Erquickung müder Herzen hingezaubert aussehen mit ihren windschiefen Häuslein, altererbten Zunfthäusern, verträumten Gässchen und malerischen Ecken und Winkeln. Und deswegen ist es mir ein Anliegen, endlich aufzuräumen mit Klischees und Vorurteilen, indem ich im Folgenden schlagwortartig die wichtigsten Eigenschaften und Eigenarten Helvetiens und seiner Bewohner erhellen will. Für alle In- und Ausländer und Mischformen.

  1. Mentalität

    Die Schweiz, eingekeilt zwischen Europas grossen Kulturkreisen, ist eine Willensnation, die ihre friedliche Existenz als älteste Demokratie der Welt (hier wird irrtümlich oft Griechenland angeführt) der Fähigkeit ihrer Bewohner zu Konkordanz und Kompromiss verdankt. Der hier sesshafte Menschenschlag ist pragmatisch, betriebsam und nüchtern und richtet sein Streben gerne auf das Greifbare. Das heisst: Dieses Land hat fabelhafte Geschäftsleute hervorgebracht und gute Architekten – passable Dichter und Humoristen hingegen weniger. Nichtsdestoweniger sind die Leute freundlich und hilfsbereit, wenngleich reserviert. In öffentlichen Verkehrsmitteln wird nicht gesprochen. Ansonsten sorgt ein starker Föderalismus dafür, dass in der Schweiz alles lokalpolitisch betrachtet wird, auch die Mentalität. Zum Beispiel kann niemand so richtig die Zürcher leiden, die als arrogant und vorlaut gelten und besonders bei den Baslern unbeliebt sind. Berner wiederum gelten als bedächtig und ein wenig träge, und die Aargauer schliesslich sind für den Schweizer das, was für den Deutschen die Ostfriesen und für den Engländer seine Landsleute aus Essex sind. Die italienischsprechenden Tessiner hält dagegen jeder im Land für temperamentvoll. Zwischen der französischsprachigen Westschweiz (dem sogenannten Welschland) und dem deutschsprachigen Teil des Landes liegt bildlich gesprochen das, was landläufig als «Röstigraben» bezeichnet wird. Damit ist eine Art Kulturgrenze gemeint, die sich darin ausdrückt, dass die urbanen, sich kosmopolitisch verstehenden Kantone der Romandie wie Genf oder Lausanne bei Wahlen und Abstimmungen vor allem in Fragen der Aussen- und Sozialpolitik oft gegen die eher konservativen Ost- und Innerschweizer votieren.

  2. Schweizerdeutsch

    Das Schweizerdeutsche ist ein an lokalen Mundarten reiches Idiom, denn auch sprachlich ist die Eidgenossenschaft ein vielfältiges Gebilde; jeder Winkel hat, quasi, seinen eigenen Dialekt, und die Einheimischen können sich anhand ihrer Mundart bis in die Talschaft, Strasse oder Etage identifizieren. Hochdeutsch hingegen gilt der deutschen Schweiz als Fremdsprache, die nur im Verkehr mit den Westschweizern benutzt wird. Und mit Deutschen.

  3. Brauchtum

    Der eigentliche schweizerische Nationalsport ist nicht Fussball, sondern das Schwingen, eine Variante des Ringens, die sich in Hunderten von Jahren vom regellosen Sennen-Balgen zum reglementierten Kräftemessen entwickelt hat. Alle drei Jahre findet das beliebte Eidgenössische Schwing- und Älplerfest statt, wo riesige Männer einander in einer Freiluftarena aus Sägemehl auf den Rücken legen und danach liebevoll abklopfen, um später gemeinsam eine überdimensionierte Kuhglocke durch die Gegend zu tragen. Das Schwingen gehört genauso zum eidgenössischen Brauchtum wie das von den Engländern eingeführte Eispolo in St. Moritz. Die meisten Bräuche Helvetiens jedoch sind wiederum strikt lokaler Natur, wie etwa das Zürcher Sechseläuten (Sächsilüüte), ein Frühlingsfest im April, bei dem der Winter ausgetrieben wird, oder der sogenannte Morgestraich als Auftakt zur Basler Fasnacht, bei dem am Montagmorgen nach Aschermittwoch um vier Uhr früh die gesamte Innenstadt vollständig verdunkelt wird. Oder das Genfer Fontänensitzen jeden zweiten Mittwoch im Mai. Okay, dies Letztere habe ich mir bloss ausgedacht. Aber fest steht, dass Genf neben Zürich eine der letzten Städte auf der Welt (ausserhalb von Italien) sein dürfte, wo man zu jeder Jahreszeit mit Sonnenbrille und Pelzmantel auf die Strasse gehen kann, ohne schief angesehen zu werden.

  4. Direkte Demokratie

    Die Schweiz hat de jure keine Hauptstadt und keinen Regierungschef. Hier regiert das Volk. Und das Volk, dessen Herrschaft in diesem Land der Freiheit und der teuren Internate die schönste Ausprägung gefunden hat, ist – von Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich ein zivilisierter Schlag mit einer guten Tradition des «den anderen so sein lassen, wie er ist». Jüngst hat allerdings die sogenannte Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) sich von dieser Tradition verabschiedet, indem sie versucht, die Ehe als «Verbindung von Mann und Frau» in der Bundesverfassung zu verankern, und zwar über eine sogenannte «Initiative für Ehe und Familie», die nun der Bundesrat peinlicherweise zur Annahme empfohlen hat. What a shame. Und wo sind eigentlich die Homo-Organisationen in diesem Land, wenn man sie mal braucht? Jetzt kann das nur noch der aufgeklärte Bürger verhindern. (Oder später, nach amerikanischem Vorbild, die dritte Gewalt.) Die in der Schweiz praktizierte Staatsform der direkten Demokratie sorgt dafür, dass auch über Einzelfragen wie Strassenführungen, Ladenöffnungszeiten oder die Farbe von Müllsäcken abgestimmt wird. Die Bürgerschaft bildet hierzulande seit jeher ein Schutz-und-Trutz-Bündnis gegen die Gebirgsnatur und die Arglist der Zeit, vereint im Kampf für hohe Güter wie menschliches Glück, Selbstbestimmung und eigenen Herd. Alle sind, gewissermassen, die Hausmeister im gemeinsamen Schweizerhause. Manche übertreiben ein klein wenig, zum Beispiel jene anonyme Anwohnerin, die uns immer handgeschriebene Verwarnungen unter den Scheibenwischer klatscht, wenn wir ihrer subjektiven Auffassung nach nicht ganz korrekt parkiert haben.

  5. Glamour und Gesellschaft

    Die Schweiz ist arm an Bodenschätzen und Berühmtheiten. Sie ist ausserdem auf eine geradezu rührende Art erstaunlich unfähig gewesen, in den letzten 722 Jahren irgendetwas Glamouröseres als Ursula Andress oder Liselotte Pulver hervorzubringen. Vielleicht hat das mit ihrem calvinistisch-puritanischen Erbteil zu tun. Indessen gibt es ziemlich viele reiche Leute in der Schweiz, und zwar sowohl zugezogene wie Einheimische, die nicht selten durch das Geld von anderen reichen Leuten reich wurden. Der tief verwurzelte Sinn für Profit und Kommerz ist ein Erbteil der Schweizerpsyche und gehört zu jenen Antrieben, die dieses Land frei, stark und wohlhabend gemacht haben. Reiche Leute bringen nicht nur ihr Gold in die sagenumwobenen Bunker unter dem Zürcher Paradeplatz, sondern treiben Wintersport in Gstaad und Vevey, haben steuergünstige Wohnsitze in Zug oder Appenzell und schicken ihre Kinder in internationale Schulen wie Le Rosey am Genfer See oder das St. Galler Institut auf dem Rosenberg. In letzter Zeit wird es ausserdem trotz allem Zwinglianismus auch in Orten wie Zürich immer zulässiger, sein Geld zur Schau zu stellen, und inzwischen ist in der Limmatstadt das Verhältnis von Luxusgutanbietern zur Einwohnerzahl, der sogenannte Lily-Safra-Index (LSI), so hoch wie nur noch in gewissen Regionen Südkaliforniens. Andererseits werden reiche Leute auch in der Schweiz der veröffentlichten Meinung zufolge immer unbeliebter und schnell für alle möglichen Übel verantwortlich gemacht. Leider bisweilen gerne auch dann, wenn sie gar nichts dafür können.

Im Bild oben: Anlässlich der Bundesfeier am 1. August 2013 beigeistert ein Älplerchor das Publikum auf dem Bürkliplatz in Zürich. (Keystone/Steffen Schmidt)

26 Kommentare zu «Das ist die Schweiz»

  • irene feldmann sagt:

    nach diesem bericht, koennen wir schweizer sehr zufrieden mit uns sein…….:)

  • Melchior Steiner sagt:

    Typisch schweizerisch ist auch parkiert statt geparkt zu sagen, ebenso wie seine Landsleute oder adoptierten Landsleute für halbkorrektes Deutsch zu kritisieren …

  • Magdalena New York sagt:

    #4: „…Tradition des ‚den andern so sein lassen, wie er ist'“. Leider nicht meine Erfahrung. Die ‚anonyme Anwohnerin‘ die nicht davon ablassen kann ihre ’subjective Aufassung‘ von was ‚ganz korrekt‘ ist und was nicht, ist mir schon eher bekannt. Reservierte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, ja ganz sicher, und sehr angenehm weil nicht aufdringlich. Und vieles anderes positives das Sie aufzaehlen. Aber auch unterdrueckendes, moralisierendes, selbstgerechtes Beurteilen, was zudem noch als korrektes Verhalten eingestuft wird von der Gemeinschaft, wenigstens in meinem ehemaligen Dorf.

    • David Tsilp sagt:

      Als Ausländer kann ich diese Beobachtung bestätigen. Verschwiegenheit und ein Nationalstolz der eigentlich verlegen wirkt, zum trotzenden Schweizer jedoch passt. Sehr Fantasielos und Stur. Ansonsten funktioniert es hier wie auch überall sonst auf der Erde, mit Ausnahme der Tatsache das die Sturheit der Schweizer zu einen der besten Formen der Demokratie weltweit geführt hat

  • ladylike sagt:

    Bildlegende 1. August Bürkliplatz: Älplerchor ?? Diese Sänger/-innen sehen extrem danach aus… jedenfalls konnten sie sicherlich durch Ihre Stimmgewalt das Publikum schon restlos begeistern.

  • bambi die kuh sagt:

    SUPER Artikel, Lob an den Redakteur ;o))

    gut finde ich auch dass man in der schweiz grillieren sagt anstatt grillen, da wäre dann sicher wieder der Punkt dass man den Tieren in Ihr Metier hineinpfuscht ;o)

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