Arbeit im Himmel

Vor gut 15 Jahren flog ich eines Tages mit British Airways von London nach Zürich, in einer riesigen Maschine, in deren hinteren Reihen eine fröhliche und mittelschwer alkoholisierte schottische Reisegruppe sass. Welche alsbald nach dem Start begann, Volksweisen aus ihrer Heimat anzustimmen, und ich werde nie jenen Moment vergessen, als die Chef-Stewardess (das Wort durfte man damals noch benutzen), die aussah wie Farah Diba (mit dem Unterschied, dass sie eine goldene Zahnspange trug), sich seufzend an die Kombüsenwand lehnte und zu ihrer Kollegin sagte: «There’s madness at the back!» Das war, wie gesagt, vor 15 Jahren, und rückblickend erscheint es mir bisweilen so, als wäre Farah Diba die Letzte ihrer Art gewesen und die goldene Zahnspange schon so eine Art Menetekel des Verfalls – denn viel ist seitdem geschehen. Und untergegangen. Der Zauber der zivilen Luftfahrt scheint untergegangen, und dieser Zauber bestand nicht zuletzt aus Formationen von hübsch uniformierten Flugbegleitern, die mit synchroner Anmut vorstudierte kleine Handlungen ausführten, eine Art Luftballett, in dessen Mitte der ikonische Typ der Stewardess seine Pirouetten drehte, als könnte sie selbst fliegen, voll bezaubernder Anmutung und esoterischem Sex, geladen mit Glamour, von Grazie geadelt.
Ah, the golden days of glamour!
Das war das goldene oder sogenannte Coffee-Tee-Or-Me-Zeitalter der zivilen Luftfahrt, als das fliegende Personal auf den Flirt gedrillt war und Flugreisen ein einziges grosses Datingspiel zu sein schienen. Seitdem ist das Volumen des Luftverkehrs rasant gestiegen; aber nicht immer gilt dies auch für die Qualität des Service über den Wolken. Andererseits kann man auch nicht fünf Euro für einen Flug von München nach Madrid bezahlen und erwarten, von Madame Pompadour bedient zu werden. Oder doch? – Die Paradezeiten des fliegenden Personals waren die Sechziger- und Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als Flugbegleiter noch nicht als kostenintensive Massenabfertiger verstanden wurden, sondern als Gesicht und Aushängeschild, quasi als Personifikation ihrer Fluggesellschaft. Sie mussten hübsch sein und jung und – wenigstens dem Anschein nach – verfügbar. Ihre Aufmachung und Uniformen mit hohen Säumen, exzentrischen Hüten, psychedelischen Mustern und gewagten Farben waren Marketinginstrumente, um Kunden anzuziehen. Fliegen war schick (und teuer) und auch die Passagiere kleideten sich entsprechend: Herren trugen Anzug und Krawatte, die Damen Twinsets mit Perlen und hohe Hacken, die auch während eines Transatlantikflugs niemals abgestreift wurden. Fluggesellschaften wie Braniff International oder United Airlines setzten Trends, indem sie ihre Bordgeschwader von avantgardistischen Modeschöpfern wie Pucci oder Jean Louis einkleiden liessen (zuerst Braniff mit Pucci im Jahre 1965 als Teil der popkulturelle Standards setzenden Kampagne «The End of the Plain Plane»). Flugbegleiterinnen wurden angehimmelt wie Mannequins (so nannte man damals Models) – und sahen nicht selten auch so aus, zumal die Airlines ihren Stewardessen damals strikte Figurvorschriften aufdrücken und in die Verträge schreiben konnten, dass sie spätestens mit Ende 20 oder im Falle einer Heirat den Dienst zu quittieren hatten. Die Heirat im Dienst vor Ende 20 war denn folglich meist auch erklärtes Ziel der hochfliegenden Damen und quasi impliziter Bestandteil des Arbeitsvertrages.
Das hört sich alles ein bisschen sexistisch und von gestern an. Andererseits konnte die indische Fluglinie Indian Airlines (inzwischen aufgegangen in Air India) vor gar nicht allzu langer Zeit eine Dienstanweisung gerichtlich durchsetzen, wonach übergewichtige Flugbegleiterinnen am Boden zu bleiben haben. (Und, überlegen Sie mal: Haben Sie jemals an Bord irgendeines Flugzeugs einen richtig dicken Flight Attendant, egal welchen Geschlechts, gesehen? Na bitte.) Das höchste Gericht in der indischen Hauptstadt Neu Delhi urteilte, die Anweisung diene der Flugsicherheit, da Stewardessen in Notfällen helfen und dafür körperlich fit sein müssten. Und: Die Fluglinie habe auch wegen wachsender Konkurrenz das Recht zu einem solchen Schritt. Dieses Urteil zeigt paradigmatisch den Rollenwandel der modernen Flugbegleitung: Ein höheres Passagieraufkommen und strengere Sicherheitsvorschriften verschärfen das Dilemma der Flight Attendants zwischen ihren Aufgaben als durchsetzungsfähige Sicherheitsverantwortliche einerseits und warmherzige, attraktive Gastgeber andererseits. Als ich neulich die Strecke Paris–Zürich mit Air France zurücklegte, wurde der Flug von deren Tochterlinie City Jet bewirtschaftet, und hier hatte die Cabin Crew den raubeinigen Charme einer nordirischen Wehrsportgruppe. Die Purserette sah aus wie Janet Reno und zog den Passagieren vor Start und Landung mit resoluter Beherztheit die Rückenlehnen nach vorne und die iPod-Stöpsel aus den Ohren. Bezaubernd war dies nicht – aber ich hätte Janets Anweisungen im Notfall sofort Folge geleistet.
Das Urteil von Neu Delhi unterstreicht jedoch auch den uralten Satz, dass Konkurrenz das Geschäft belebe. Im Fachjargon der Ökonomen spricht man hier von Konsumentensouveränität, und das bedeutet: Der mündige Passagier wird in Zukunft immer mehr seine Fluggesellschaft auch danach aussuchen, ob er den Bordservice lieber schnell und billig oder versiert und gepflegt haben will. Wir steuern also auf eine Phase der mehr oder weniger friedlichen Koexistenz zu: die diensteifrigen Damen (und Herren) von Singapore Airlines auf der einen Seite – und der Wer-nicht-aufpasst-wird-mit-dem-Saftwagen-überfahren-Charme manch anderer Fluglinie auf der anderen Seite. Singapore Airlines hat übrigens seine Borduniformen (von Pierre Balmain) seit 1968 mehr oder weniger unverändert beibehalten, und ein «Singapore Girl» zu werden ist immer noch einer obersten Berufswünsche an der Spitze der malayischen Halbinsel. Die Standards sind rigoros: Die Singapore Girls haben ihren eigenen Make-up-Berater, und der massgeschneiderte Sitz der Uniform wird mindestens alle sechs Monate überprüft. Der Service bei Singapore Airlines zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass feengleiche Wesen, die jeder Turbulenz standhalten, dem Passagier Wünsche erfüllen, bevor er sie ausspricht. Oder wusste, dass er sie hatte. Mir gelang es auf einem Flug nach Singapur nicht einmal, ein Zuckertütchen selbst aufzuheben, das irgendwann versehentlich zu Boden ging. Sofort war die Elfenhand zur Stelle, und die dazugehörige Dame lächelte wie auf einem Foto und sagte mit weicher Stimme: «I’ll bring you a new one.» Das ist tatsächlich wie im Himmel.
Die Sexiness der Züchtigkeit
Wettbewerb also. Und der Fluggast hat die Wahl. Wobei «ruppig» durchaus nicht immer gleichzusetzen ist mit «günstig». Der Fluggast braucht also Erfahrung. Oder er greift einfach auf die Erfahrungen anderer zurück: Internetplattformen wie beispielsweise Skytrax bewerten neben Flughäfen und Bodenpersonal auch die Qualität des Service in der Luft. Und viele Fluggesellschaften scheinen die Wichtigkeit von Attitüde und Erscheinungsbild der Crew wiederzuentdecken, und vielleicht entspricht das auch dem Geist unserer Zeit, der, oft genug verwirrt und enttäuscht von Tempo, Effizienz und Kostendruck, sich sogenannten Retro-Phänomenen zuwendet, zum Beispiel den popkulturellen Versatzstücken aus der goldenen, zukunftsfrohen Ära des Fliegens, lange vor CO2-Abgabe und Mobiltelefonen; Versatzstücke, die in Mode und Grafik wieder auftauchen oder pseudo-authentisch zu Kunst inszeniert werden, etwa in dem Fotoband «Flight Attendants» von Brian Finke oder, natürlich, der Serie «Mad Men».
Und die Kunst scheint auf das Leben überzugreifen: Delta Airlines, sonst nicht eben für Glamour bekannt, heuerte zur Neugestaltung seiner Uniformen den Modeschöpfer Richard Tyler an, und Air France, schon dem Namen nach der Couture verpflichtet, hat nach Christian Dior, Nina Ricci, Louis Féraud und Cristobal Balenciaga bereits vor einiger Zeit Christian Lacroix gebeten, auf der Grundlage von Marineblau («seit über 70 Jahren Farbe von Air France») und eines Phänomens namens «Elégance à la française» eine neue Kollektion fürs Personal zu entwerfen, die bis 2015 weltweit das Bild der Fluggesellschaft prägen soll. Wenn das Air-France-Personal jetzt dazu noch Englisch lernen würde – könnten wir mit dem Pushback beginnen!
Leider schon wieder abgestürzt hingegen ist die als «Mad Men of the skies» beworbene Serie «Pan Am», benannt nach der wohl legendärsten Airline aller Zeiten. Der amerikanische Sender ABC wollte hier einen romantisierten Blick auf das fliegende Personal der einst grössten US-Fluggesellschaft werfen, vor dem Hintergrund der Sechzigerjahre, als das Jet Set die Café Society ablöste und der Kalte Krieg im Hintergrund spielte und alsbald die Clipper von Pan American mit Menues von Maxim’s in Paris aufwarteten und man noch ein paar Jährchen später in der Piano Bar auf dem Upper Deck der 747 zwischen Nan Kempner und Henry Geldzahler eine endlose Reihe von Dunhills und Highballs konsumieren konnte. Die Anfänge des kommerziellen Jet-Zeitalters waren magisch und glamourös und auch ein wenig einfältig in ihrer attraktiv zurechtgemachten Unschuld. Und der Typus der Stewardess hatte den Zenit seiner Vollendung erreicht: perfekt auf Nettigkeit abgerichtet in einer unbefleckten Uniform. Airlines gehören zu den Entdeckern der Sexiness von Züchtigkeit, wie sie eine adrette, sittsame Uniform ausstrahlt. Das ist die eine Ambivalenz. Die andere, interessantere ist jene, die im Beitrag der Flugverkehrsbranche zur Emanzipation der Frau liegt; einer Branche, die einerseits mit rigiden sexistischen Standards und Prozeduren wie Gewichtsüberprüfungen und Korsettkontrollen begann, andererseits aber die Wege ebnete für berufstätige, selbstständige Frauen, die den sozialen Wandel vorantrieben.
Und abschliessend, on a totally unrelated note, noch eine kleine Geschichte zu Farah Diba: Also, ich liege neulich so auf dem Sofa vor dem Fernseher und Richie, der beste Ehemann von allen, der in der Küche mit dem Sunday Roast beschäftigt ist, ruft irgendwann herüber: «Was siehst du?» Und ich erwidere: «Eine Dokumentation über Farah Diba, die Frau des letzten Schahs.»
«Was?», ruft Richie zurück, «Pfarrer Sieber, die Frau des letzten Schahs?»
Die Stewardessen der Fernsehserie «Pan Am» (v. l.): Margot Robbie, Karin Vanasse, Keli Garner und Christina Ricci . (Foto: Shoe Money Productions)
17 Kommentare zu «Arbeit im Himmel»
Ich hätte nichts dagegen, wenn sie auch im TGV solche freundlichen (Zug)Begleiterinnen einsetzen würden. Im TGV fährt man auch rel. schnell, ausserdem gibt es noch einen Bistrot-Waggon.
Tempi passati, leider. Heute kann es sich (fast) jeder leisten, „around the world“ zu fliegen. Das nennt man wahrscheinlich „Demokratisierung alter Privilegien“. Ist das gut, ist das schlecht‘ Ich neige dazu, den zweiten Teil dieser Frage als Antwort zu setzen. Hat da jemand „Klimaschutz“ gerufen, oder „Abtauen des Permafrostes“? Was soll’s! Mobilität, auch die in ferne Länder, wird heute als Jekami verstanden. Nein, als „Menschenrecht“. Als Folge davon ist der Glanz auch der Glanz über den Wolken stumpf geworden.
Also, wenn ich fliege (was selten vorkommt), dann möchte ich möglichst sicher von A nach B kommen und dazu braucht es sicher kein a****kriechendes Kabinenpersonal, welches sich alles gefallen lassen muss. Es reicht völlig, wenn sie freundlich sind und mir das gewünschte ausschenken.
Apropos Singapore Airlines: viele Asiaten/innen strahlen mit ihrem Lächeln keine Freundlichkeit aus, sondern Kälte und Falschheit. Das Lächeln ist nicht echt, sondern einfach antrainiert und ohne Ausstrahlung.
Haben sie ein problem mit freundlichen asiaten? Also, das was sie schreiben, kann ich absolut NICHT bestätigen, und da bin ich bestimmt nicht die Einzige !!!!!
fliegen heute ist proletisch, wie bus fahren.