Sexuelle Gewalt, Cybermobbing und Staatsanwälte

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Eine Meldung wie ein grosses Aufatmen. Die Zürcher Jugendstaatsanwaltschaft hat ihr Verfahren gegen ein 15-jähriges Mädchen wegen der Herstellung von Kinderpornographie eingestellt. Der Fall sorgte vergangenen Dezember für Schlagzeilen. Ein Ex-Freund des Mädchens hatte das Video im Internet veröffentlicht, wo es sich schnell verbreitete. In der Folge eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren – nicht nur gegen einige Teenager, die den Film auf ihrem Smartphone gespeichert hatten, sondern auch gegen das Opfer, wegen der Herstellung von Kinderpornographie.

Diese Ermittlungen wurden nun eingestellt, wie «20 Minuten» berichtete. Dabei kam ein Artikel im Jugendstrafrecht zur Anwendung, der dies ermöglicht, wenn eine angeschuldigte Person von den Folgen ihrer Tat so schwer betroffen ist, dass eine Strafe unangemessen wäre. Dennoch fragt man sich, wie die Jugendanwaltschaft überhaupt auf die Idee kommen konnte, ein Verfahren gegen das Opfer einer solch perfiden Attacke zu eröffnen. Dies, weil das Mädchen den Film eben nicht nur auf ihrem Smartphone behalten, sondern weitergegeben habe, so erklärte mir der Sprecher der Zürcher Jugendstaatsanwaltschaft.

Das Mädchen filmt sich also selbst, schickt den Film ihrem Freund und macht sich so strafbar. Die Beziehung geht auseinander und der Freund rächt sich, indem er das Material veröffentlicht. Während die Polizeibehörden damals laut einem Bericht von «20 Minuten» weiterführende Informationen zum möglichen Täter dankend ablehnte, zeigte die Zürcher Staatsanwaltschaft keinerlei Pardon und macht das Opfer dieses krassen Falls von Cybermobbing gleich noch mal zur Täterin. Auch wenn man das Verfahren inzwischen eingestellt wurde: Wie kann es sein, dass ein Mädchen, mit dem auf so erniedrigende Weise umgesprungen wurde, jetzt auch noch für das, was ihr angetan wurde, verantwortlich gemacht werden soll?

Wir alle wissen, dass Justiz nicht immer gerecht ist und wir wissen ebenfalls, dass das Internet unter juristischen Gesichtspunkten tatsächlich Neuland ist – denn die Mühlen der Justiz mahlen langsam und erfassen nur das, was in ihre schwerfälligen Greifzangen passt. Das Internet hingegen ist schnell und mobil und deshalb sind die Straftatbestände in vielen Fällen nicht nachzuweisen und deshalb auch nicht verfolgbar. Das ändert aber nicht am moralischen Bedürfnis  nach Strafen für jene, die Unrecht tun und nicht jene, an denen Unrecht begangen wird. Besonders, wenn das Opfer auf solch perfide Weise blossgestellt wird – man kann sich ausmalen, welche Langzeitfolgen diese Cybermobbing-Attacke auf die junge Frau haben wird.

Der Fall erinnert ein bisschen an Steubenville. Die US-amerikanische Kleinstadt wurde zum Begriff, nachdem verschiedene Mitglieder des örtlichen Highschool-Football-Teams eine Sechzehnjährige vergewaltigt und Filme davon übers Internet verbreitet hatten. Das Mädchen war während Stunden bewusstlos gewesen und die Footballspieler brüsteten sich über Social Media damit, dass sie das Mädchen vergewaltigt hatten. In der Folge wurden zwei Täter identifiziert. Die Berichterstattung grosser Medienhäuser wie CNN konzentrierte sich vor allem darauf, wie dieser Vorfall die gloriose Zukunft der Sportler nun überschatten könnte. Im März erhielten die beiden die Minimalstrafen.

Ganz anders ein Mitglied der Hackergruppe Anonymus, der die Website der Footballmannschaft gehackt hatte, um auf den Fall aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass ein Grossteil des örtlichen Footballteams bei der Attacke auf das Mädchen beteiligt gewesen war. Der Hacker bekam später Besuch vom FBI, wurde verhaftet und muss nun damit rechnen, eine saftigere Strafe aufgebrummt zu bekommen, als die Vergewaltiger selbst. Denn das amerikanische Justizsystem scheint Penetration von Computern für sensibler zu halten, als die Penetration einer bewusstlosen Sechzehnjährigen. Genau so wie das schweizerische Justizsystem das Opfer ohne Wimpernzucken erst mal zur Täterin macht in Ermangelung eines echten Täters. Der Ex-Freund, welcher den Film des Mädchens aufs Netz stellte, wurde nämlich nicht belangt – obschon «20 Minuten» und einige User der Newsplattform der Polizei Informationen über den Übeltäter zuspielen wollten. Was genau gelaufen ist, darauf wollte die zuständige Behörde aus «Datenschutzgründen» nicht weiter Auskunft geben. Wenn Datenschutz wichtiger ist als Opferschutz, in einer Zeit, da sowohl Geheimdienste wie auch Firmen ungebremst Daten sammeln und auswerten dürfen, dann stimmt etwas Grundsätzliches nicht mit diesem System.

Symbolbild oben: Bildschirmfoto einer jungen Frau, die sich selbst fotografiert. (Flickr/Amy Loves Ya)

38 Kommentare zu «Sexuelle Gewalt, Cybermobbing und Staatsanwälte»

  • eva sagt:

    Finde die Staatsanwaltschaft hat gut entschieden. Wäre interessant zu wissen was der Exfreund für eine Strafe erhalten hat

    • Astrid Meier sagt:

      Keine, das steht im Artikel. Er wurde nicht belangt.

    • Marti sagt:

      Steht im Artikel, und das ist ja das wunderbarste an der ganzen Sache (für die, die’s nicht merken: Sarkasmus):

      „Der Ex-Freund, welcher den Film des Mädchens aufs Netz stellte, wurde nämlich nicht belangt – obschon «20 Minuten» und einige User der Newsplattform der Polizei Informationen über den Übeltäter zuspielen wollten.“

  • Tom Inco sagt:

    Liebe Frau Binswanger, ich bin mit Ihrer Meinung weitgehend einverstanden. Das ist aber nicht eine Frage der „ungerechten Justiz“, sondern des Gesetzes! Da es sich beim Artikel 197 StGB um ein Offizialdelikt handelt, MUSS die Staatsanwaltschaft bzw. Jugendanwaltschaft ein Verfahren einleiten, auch wenn es, wie im vorliegenden Fall, äusserst stossend erscheint. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es Staatsanwälte/innen gibt, die das persönlich richtig finden, sie haben aber keine Wahl. Der einzige Weg, das Opfer nicht – noch zusätzlich – zu bestrafen, ist wohl derjenige, wie er gewählt wurde.

  • Gabi Amdalen sagt:

    Mit ein bisschen Staatskundekenntnis müsste man diese Frage nicht stellen: erfolgt ein Offizialdelikt, muss die Staatsanwaltschaft automatisch ein Verfahren einleiten. Das ist eine herausragende Besonderheit eines Rechtstaates, dass dies ohne Ansehen der Person geschieht. Alles andere wäre Willkür und würde der Korruption Tor und Tür öffnen. Aber ja, Empörung brauchts in den Medien, das verkauft sich besser als nüchterne, dröge Aufklärung, und wenn sie künstlich geschürt werden muss.

  • Dani sagt:

    Es ist leider so, mit unserem System stimmt es schon lange nicht mehr. Und wenn ich die Kommentare hier im Forum lese wundert mich das auch nicht.

  • el schneider sagt:

    umpf, das ist ja schon etwas krud. Ich habe dieses Video nicht gesehen (was wird da gezeigt? das was man eh schon überall sieht?), aber nach dieser Logik der Staatsanwaltschaft in diesem Fall, müsste ja dann eine 15jährige, die onaniert auch zu Unzucht mit einem Kind anklagt werden. Beim Auslegen und Anwenden von Paragraphen sollte wirklich etwas vorsichter umgegangen werden. Paragraphen sind ja nicht verselbständigte Spiesse, die je nach dem Opfer oder Täter attackieren, sondern es hantieren Menschen damit und sollten nicht ins Gegenteil verkehrt werden.

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