Das Unlustprinzip

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Wahrscheinlich haben sie es auch gelesen, denn die frohe Kunde war prominent auf dem Titel des «Sonntagsblick»: Ein grosser wissenschaftlicher Durchbruch, um nicht zu sagen Durchstoss, ist gelungen. Die Sexpille für die Frau ist erfunden, Halleluja! Eine Pille, die «nicht in die Mechanik des Sexgeschehens eingreift», wie uns ihr Erfinder Adriaan Tuiten erklärt, sondern weibliche «Unlust beseitigt und sexuelle Störungen behebt». Die Pille wirkt auf Gehirn und Psyche und steigert die «Motivation für Sex».

Mich ärgert, wie hier über die weibliche Sexualität geredet wird. Als ob Frauen, die nicht nach den von Männern geprägten Vorstellungen über Sex funktionieren, irgendwie gestört wären. Als ob die weibliche Sexualität analog zur männlichen funktionieren würde, einfach minus das Glied und plus ein paar Störungen, die sich mit einer Pille beheben lassen, um die Frau auf den richtigen Weg zu bringen.

Es gibt einen Witz, bei dem ein alter Mann auf seinen Penis zeigt und Gott anruft: Herr, du nahmst mir das Können, nun nimm mir auch das Wollen. Bei Frauen ist es oft umgekehrt: Sie «können» immer, nur fehlt ihnen zuweilen das Wollen. Ich bin keine Expertin in Sachen Unlust, aber ich weiss, wie die weibliche Sexualität funktioniert. Sie ist komplex und kontextabhängig, wobei die Lebenssituation, der momentane Zustand und das Verhalten des Partners eine wesentliche Rolle spielen. Sie wird ausserdem durch den Zyklus beeinflusst und tritt in Wellen auf. Natürlich kann man deren negative Amplitude als «Unlust» bezeichnen und mit dem Nymphomaninnen-Baukasten aus den Kurven mit den schönen Ausschlägen eine Gerade zu machen versuchen, die im Erektionswinkel von 45 Grad steil nach oben zeigt. Sexuelle Störungen beheben? Ich bitte Sie! Wenn es eine Pille gäbe, die Situationen oder gar die Personen verändern könnte, die zur Unlust führen, der Erfolg von Viagra wäre ein Dreck dagegen.

Aber genau darum gehe es ihm, versichert Tuiten. Denn bei Frauen gebe es immer verschiedene Gründe für ihre Unlust, weshalb er «zwei Pillen entwickelt habe, weil nicht alle Frauen gleich sind.» (Wie aufmerksam, aber ist das nicht ein bisschen wenig?) Ausserdem sagt Tuiten, seine Pille sei der Königsweg zur gelebten Monogamie. Diese sei vor allem dadurch gefährdet, dass Frauen  nach ein paar Jahren die Lust verlören – sozusagen automatisch – und sich dann anderen Männern zuwenden würden, um die Lust zurückzugewinnen. Weil seine Pille aber absolute Befriedigung garantiere, würden sich die Partner hernach treu bleiben. Was für ein rührend eindimensionales Bild der Mann von Frauen und Beziehungen doch hat! Als ob nur Frauen in Beziehungen Unlust verspürten. Mal ganz abgesehen davon, dass die meisten Frauen Sex für ganz unterschiedliche Zwecke benutzen, macht ein aktives Sexualleben eine Beziehung zweifellos intimer. Ich zweifle aber daran, dass ein entfesselter Sexualtrieb automatisch auch treuer macht. Die andere Frage wäre dann noch, wie erstrebenswert Monogamie unter diesen Vorzeichen überhaupt ist und ob der Herr nicht besser eine Pille gegen Eifersucht erfinden würde.

Trotzdem freue ich mich über die Sex-Pille. Wer wollen möchte, es aber nur durch chemische Intervention erreichen kann, dem sei das gegönnt. Nur fürchte ich, wird das alles ein bisschen anders laufen. Wahrscheinlich fehlt am Ende jenen der Wille, bei denen das Wollen nach Ansicht des Mannes frisiert werden müsste. Worauf Männer die Pillen missbrauchen werden, um dem nachzuhelfen. Und dann gibt es noch die, die die Sexpille nicht nötig haben, sie aber genau deshalb schlucken werden. Und dann, liebe Männer, habt ihr den Salat. Aber bestimmt gibt es eine Pille, um auch das in Ordnung zu bringen.

64 Kommentare zu «Das Unlustprinzip»

  • Versuchskaninchen sagt:

    Also ich würde diese Pille sehr gerne ausprobieren, da ich gerne öfters mit meinem Freund schlafen würde aber leider sehr selten wirklich Lust habe.. Und nein, die Unlust hat NICHTS mit meinem Freund oder seinem „nicht genügenden“ Verhalten zu tun. Ich könnte ihn mir besser nicht wünschen. Diese Verbundenheit unmittelbar nach dem miteinanderschlafen, die fehlt mir, diese Intensität kriegt man mit ein bischen kuscheln und busserln nicht hin… Freue mich schon auf die Bewertungen von den ersten Versuchskaninchen und hoffe ich kriege auch mal eine 😉 Lasst doch jede Frau selber entscheiden…

    • Nicole sagt:

      genau (siehe 10:37)… ich wusste, ich bin nicht die einzige, trotzdem schön es auch zu lesen…

    • Peter A. sagt:

      So eine Pille passt perfekt in unsere Plangesellschaft. Alles muss heute geplant sein… Gewisse Frauen plannen ja heute ja schon den Sex per Terminkalender… Boah mich schauert sowas…

    • soso sagt:

      Auch wenn keine Lust da ist, einfach mal anfangen, wenn Sie gerne mehr mit Ihrem Freund schlafen möchten Versuchskaninchen. Meist kommt der „Hunger während dem Essen“. Funktioniert meistens – viel Spass dabei 😉

    • Widerspenstige sagt:

      Natürlich kann jede Frau selber entscheiden, wenn sie es tatsächlich aus eigenem Antrieb tut. Zu oft nahm sie bisher zB Verhütungsmittel und schluckte ‚die Pille‘ aus Mitleid wegen dem Hadern des Liebsten wegen dem störenden Gummi beim erregendsten Moment oder anrüchige Sexpraktiken auszubrobieren etc. Es dürfte in dieselbe Richtung tendieren bei dieser Pille. Frauen lassen sich zu allem möglichen überreden vom Liebsten – sogar zu käuflichem Sex. Zuerst mal erwachsen werden und genau nachdenken bevor wieder eine Pille orgastisches unersättliches Treiben zwischen den Laken verspricht.

  • soso sagt:

    Hmmmm…. Läuft diese Pille dann nicht unter dem Prädikat „Antidepressiva“? Schon kurios für/gegen was es alles Tabletten gibt. Meine Meinung als Frau zu diesem Thema: Meist wird die Unlust ausgelöst, weil in der Beziehung an und für sich etwas krumm läuft. Andererseits, wenn man als Frau offen zu gibt, dass man gerne Sex hat und dies auch 24/7 tun könnte, wird man gleich als Schlampe oder leicht zu haben angesehen. Unterdrückte Sexualität kann auf die Dauer auch auf die Psyche schlagen und somit Unlust auslösen. Schon mal das bedacht?

  • Lukas Müller sagt:

    Frauen die Sex für ganz unterschiedliche Zwecke benutzen lieben sich selber wohl mehr als ihren eigenen Partner, da ist doch eigentlich logisch dass die Qualität des Sexes auf der Strecke bleibt, da dies ja nur noch dem jeweiligen Zweck dient! (Heute blas ich ihm einen, dafür darf ich dann Desperate Housewifes schauen?) Ergo -> keine wirkliche Beziehung mehr!
    Und ob Sie nun daran zweifeln oder nicht, ein befriedigtes und erfülltes Sexualleben macht ganz sicher einige Männer treuer! Natürlich nie/nicht alle…

  • Gerda Schuurman sagt:

    Wenn nun alle und immer Lust haben und ebenso viel Sex betreiben wie sie jetzt Fernsehenschauen oder Internetten, wohin denn mit den Berge und Berge benützte Kondome…..

  • glatzi sagt:

    Sollte es je die Pille geben, dann lassen wir die die sie wollen, diese nehmen. Vielleicht ist Frau B. einfach etwas frustriert? Es gibt sowohl Frauen als auch Männer, die vielleicht echt froh sind für die entsprechend anregende Pille. Seien wir doch etwas toleranter! Aber ob und bis wann die Pille kommt steht ja auch noch in den Sternen.

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