Safe Tea Dance

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Also: Ich bin neulich so am Tippen, meine Damen und Herren, und denke nach über Fragen wie: dass Lindsay Lohan eigentlich stellvertretend für uns alle leidet und dass diese neo-autoritäre freiheitsfeindliche «1:12»-Initiative unbedingt gestoppt werden muss, weil unsere schöne Schweiz sonst endgültig den Bach runtergeht, und wo ich jetzt bitte diese Malin-&-Goetz-Pomade herkriegen soll, die ich in diesem Barbershop in Melrose gekauft habe und die nun langsam zur Neige geht, aber eines der besten Haarprodukte darstellt, das ich je benutzt habe, also, wenn das irgendjemand weiss, bitte melden. Und ausserdem denke ich darüber nach, wieso eigentlich jetzt sogar die deutsche «taz» plötzlich bekennende Nervensägen wie die Schnapsdrossel Margot Kässmann grossartig findet (oder jedenfalls der Homo, der anstelle vom Eurovision Song Contest für die «taz» nun vom Kirchentag berichtet). Look, ich will jetzt wirklich nicht wieder derjenige sein, der darauf hinweisen muss, dass Frau Kässmann mit ihren ewig umgekrempelten Ärmeln den Charme und die Welterfahrung einer Religionslehrerin aus Paderborn aufweist, von diesem einzigen Lindsay-Lohan-Moment abgesehen, wo sie für 15 Minuten interessant wurde; aber: Frau Kässmann weist den Charme und die Welterfahrung einer Religionslehrerin aus Paderborn auf, von diesem einzigen Lindsay-Lohan-Schnapsdrossel-Moment abgesehen, wo sie für 15 Minuten interessant wurde. So enough already!

Dergestalt bin ich am Denken und Tippen und nebenbei mache ich mir Tee, Super-Öko-Kässmann-Gewürztee, denn ich bin nun auch schon über 40 und kann ja nicht unentwegt Kaffee trinken, und während ich nun also darüber nachsinne, dass Kurt Imhof eigentlich aussieht wie eine Mischung aus Roger Schawinski und Dieter Birr, studiere ich gedankenverloren die Rückseite von dieser Teebeutelverpackung, und dort steht, im Anschluss an die Zubereitungsanweisung: «Nur so erhalten Sie einen sicheres Produkt.»

How weird. Und wenn nicht? Wenn ich den Tee jetzt nur sechs Minuten ziehen lasse statt sieben bis zehn? Wird der Teebeutel dann zur loose cannon? Gibt’s dann nen Knall und ich finde plötzlich Margot Kässmann super? Oder sehe aus wie Margot Kässmann? Oder wie der Homo, der für die «taz» vom Kirchentag berichtet? Die sehen sich überhaupt ziemlich ähnlich, aber das ist schon wieder ein anderes Thema … Oder wird mich der Tee bei auch nur minimal abweichender Zubereitung einfach bloss sofort töten? Oder ist dieser Hinweis auf der Teebeutelverpackung lediglich ein Symptom der allgemeinen Sicherheitsbesessenheit? Unsere Zeit pflegt ja aus Gründen, die zum Teil nachvollziehbar sind, eine mittelschwere Obsession mit Sicherheit. Alles soll sicher sein: Flughäfen, Kinderspielzeug, Teebeutel. Der Mensch, die Durchschnittsseele, an sich ist aber durchaus nicht sicher. Der Mensch ist ein orientierungsbedürftiges Hascherl, irritiert durch die scheinbar kategorischen Ideale des materialistischen Digitalkapitalismus, in dem wir glücklicherweise leben – und die inzwischen selbst hochgradig verunsichert sind, weil wir ausserdem in Zeiten leben, die allgemein als «krisenhaft» apostrophiert werden. Und deshalb will man Sicherheit, und deshalb erklärt jemand wie Peter Sloterdijk, er könne sich keinen besseren Platz zum Leben vorstellen als die mittlere Urbanität im deutschen Südwesten, also Karlsruhe, und deshalb ist soviel Misstrauen gegen das Liberale und die Freiheit unterwegs, weil (so schrieb mir neulich Gustav Seibt) diese wohltuend unpersönlichen Daseinsordnungen, die es uns erlauben, aus den Zwängen von Familien und (Klein-)Kollektiven auszubrechen, also Geld, Markt und Staat, sich zur Zeit als vielfach krisenhaft erwiesen. Anscheinend. Das lässt die antiliberale Angst wachsen. Und das erklärt dann wohl auch die Popularität von Frau Kässmann und solchen Phänomenen, obschon Europa viel eher Phänomene wie Frau Thatcher bräuchte statt Frau Kässmann. Und nichts gegen Karlsruhe, aber: I would kill myself. Sofern das nicht der Tee übernimmt. Den ich jetzt trinke, wiewohl ich nicht ganz sicher bin, wie lange er zog. Aber Sicherheit ist mir augenblicklich nur das Zweitwichtigste. Das Wichtigste ist: Woher kriege ich diese Pomade von Malin & Goetz, ohne deshalb gleich nach London fliegen zu müssen? Ich brauche diese Pomade! Ich hab ja schon Haare wie Dieter Birr.

22 Kommentare zu «Safe Tea Dance»

  • Kathrin Berlinger sagt:

    Um Himmels Willen – oder for heaven’s sake, da es anscheinend anders nicht geht: Malin & Goetz haben doch tatsächlich einen on-line shop, der auch in die Schweiz liefert. Google is your friend.

  • Ben sagt:

    Dieser Satz: «Nur so erhalten Sie einen sicheres Produkt.»
    steht so nicht auf der abgebildeten Teebeutelverpackung.
    Teetrinkergrüsse, Ben

  • Katharina I sagt:

    Also, ich empfehle Ihnen Schampus! Scha-hampus! (Der war für den werten Lord.) Beschwipst sehen die Haare nämlich immer plötzlich irgendwie viel besser aus, finde ich. Aber nach dieser Lektüre habe ich mich schon gefragt, wie denn die Gewürze heissen in dem Tee. Das waren ja schwindelerregende Assoziationen! Schampus-Tee? Wo kann man den kaufen?

  • Franz Mueller sagt:

    Ich muss schon schmunzeln, hier schreiben recht viele Teebanausen, die von Tuten und Blasen null Ahnung haben! Immerhin kenne ich (zu) viele Zeitgenossen, die nur den Hopfentee gut kennen und schätzen, ihre Bierwampe beweist es. Die CH ist ein Tee-Entwicklungsland, fast am Schluss der Rangliste. Wer höchstens den „Bütelitee“ kennt, und nichts anderes kennen lernen will, sollte dabei bleiben. Es gibt ja genügend Alk, um die Lampe bis zur Bewusstlosigkeit zu füllen.

  • stefan weber sagt:

    „Woher kriege ich diese Pomade von Malin & Goetz, ohne deshalb gleich nach London fliegen zu müssen?“
    – Ach kommen Sie Herr Tingler, Sie lechzen doch nach einem nur annähernd so guten Grund nach London zu fliegen.

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