Mädchen tun so was nicht

Moral ist leicht korrumpierbar, das zeigte sich in meiner Primarschulzeit immer, wenn wieder eine Papiersammlung anstand. Wir sammelten das Altpapier im Dorf zusammen und die begehrteste Beute waren die Sexheftli. Vor allem bei den Buben, die sie offen sammelten. Vielleicht hätten das auch die Mädchen gern getan, aber so was tun Mädchen nicht. Und wenn, dann geben sie es sicher nicht zu.
Oder etwa doch? Seit dem Erfolg von «50 Shades of Grey», das in neun Monaten 70 Millionen mal verkauft wurde, ist in der Industrie die Erkenntnis gereift, dass da draussen ein schlummernder Markt nur darauf wartet, wach geküsst zu werden. Im Januar liessen die zwei amerikanischen Produktionsfirmen «New Sensations» und «Pink Visuals» verlauten, künftig für eine weibliche Zielgruppe zu produzieren, bereits im Dezember hatte der französische Unterhaltungsunternehmer Marcel Dorcel verkündet, die erste Porno-Seite explizit für Frauen lanciert zu haben. Aber wenn es nichts gibt, was das Internet nicht bietet – warum braucht es dann noch ein Extra-Angebot für Frauen? Und was muss man sich darunter vorstellen? Behaarte Männerbrüste? Blümchensex? George Clooney im Jacuzzi?
Vielleicht ist das aber auch die falsche Frage. Vielleicht geht es Frauen bei der Suche nach Erotika weniger darum, was sie nicht finden, als was sie lieber nicht finden möchten. Zwei junge Frauen, die es wissen müssen, sind Dominique und Tanja. Die beiden betreiben zusammen mit zwei weiteren Kommilitoninnen ein eigenes Pornoblog mit dem neckischen Namen «Klicktoris», das sich, zumindest von der Idee her, ausdrücklich an Frauen richtet.
Ich treffe die beiden Studentinnen in einem Zürcher Kaffee und lasse mir erzählen, was hinter dem Blog steckt. Das Ganze sei aus einem persönlichen Bedürfnis entstanden, sagt Tanja (Namen geändert). «Ich habe mit 16 Jahren zum ersten Mal einen Porno gesehen, das war ein ganz klassischer Porno und ich war enttäuscht. Ich merkte, dass das nicht für mich gemacht ist.» Später kamen Erfahrungen mit dem ersten Freund dazu, der Pornos konsumierte, aber Diskussionen darüber seien schnell an Grenzen gestossen. «Ich hätte mich einfach anpassen können, aber dann wäre mir wohl recht schnell die Lust vergangen.» Statt einfach hinzunehmen beschloss Tanja, der Sache nachzugehen. Sie erkundigte sich bei Freundinnen nach deren Erfahrungen und stellte fest, dass es ihnen ähnlich ging. Zu viert begannen sie, sich zusammen einschlägige Filme anzuschauen und darüber zu diskutieren, was ihnen gefiel – und vor allem was nicht. Zum Beispiel die immer gleiche Dramaturgie, die Kameraperspektive aus dem Blick des Mannes, die angedeutete Gewalt, die rituelle Ejakulation auf die Frau. Aber auch die sogenannte feministische Pornographie mit ihrem dogmatischen und experimentellen Ansatz fanden sie wenig ansprechend. Und so beschlossen sie, sich selber auf die Suche zu machen und in einem eigenen Blog zu posten. Auf «Klicktoris» zeigen sie nicht nur Bilder und Filme, die ihnen gefallen, sie stellen sie auch zur Diskussion und rezensieren selber Filme und Angebote, die ausdrücklich für Frauen gedacht sind.
Man muss als junge Frau selber keine Pornos konsumieren, um mit den Folgen ihrer industriellen Produktion konfrontiert zu werden. Denn die meisten jungen Männer mutieren mit den ersten Vorboten der Pubertät zu emsigen Erforschern der Regel 34. Mit dem Resultat, dass die Porno-Industrie zur grossen Sexualerzieherin wird und die Vorstellungen von Sexualität prägt – auch der weiblichen. Was in etwa so ist, als zöge man aufgrund von Micky-Maus-Comics Rückschlüsse auf das Verhalten real existierender Mäuse.
«Frauen sollten sich selber die Frage stellen, was sie geil finden und nicht immer nur mit dem Bedürfnis der Männer gehen. Sonst wird das nie etwas mit der sexuellen Selbstbestimmtheit», sagt Dominique. Auch deshalb war der Blog für die jungen Frauen in erster Linie eine grosse Befreiung, denn das Lustempfinden hält sich selten an die Grenzen des politisch Korrekten. Aber was ist denn letztlich gute Pornographie? Darauf gibt es natürlich keine abschliessende Antwort – genau so wenig, wie es letztlich Frauenpornographie gibt, da das entsprechende Angebot nicht allen Frauen, dafür auch Männern gefallen dürfte. Oder wie es der grosse Comic-Autor Alan Moore in seinem bestechenden Essay «25’000 Jahre erotischer Freiheit» schreibt: «Der grosse Unterschied zwischen Kunst und Pornografie ist, dass die Kunst es schafft, dass du dich weniger alleine fühlst. Pornografie auf der anderen Seite evoziert Gefühle von Selbstekel, Isolation und Elend.» Da gibt es also noch viel Raum zur Entwicklung.
Dieser Text ist erstmals am 4. April 2013 in der «Zeit» erschienen.
Bild oben: Eine junge Frau schaut zwischen ihren Fingern hindurch. (Foto: Flickr/Petras Gagilas)
40 Kommentare zu «Mädchen tun so was nicht»
Man könnte ja auch sagen, dass gute Pornografie Kunst ist? Aber das ist hier ja nicht das Thema, oder, warum Pornografie meist so schlecht ist. Dabei wird es immer schwieriger zu erkennen ob denn Pornografie selbst nun eigentlich gut ist oder schlecht. Sexuelle Selbstbestimmung durch den Konsum guter Pornografie? Wegen des Inhalts, wegen dem Umstand an und für sich oder wegen der Erkenntnis, dass es einem gefällt und man nicht tot vom Stuhl fällt?
Was mir an der Idee nicht gefällt ist, dass das „miteinander darüber reden“ zu kurz kommt – derjenigen, die zusammen Sex haben wollen oder sollen.
ja, weshalb sollten Frauen keine Pornos gucken? Frauen sind ebenso menschliche Wesen wie Männer, haben (wenn sie ehrlich sind) dieselben Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche. d a s gehört für mich zur Emanzipation dies auch zu äussern und auszuleben, das ist für mich gesundes Selbstbewusstsein von Frauen. Frauen habe das gleiche Recht auf ungehemmte sexuelle Wünsche wir Männer, wie sie sie dann umsetzen das ist ihre Sache. aber solange Frau da zu steht ,was sie tut und was sie will und auch bereit die konsequenzen dafür zu tragen ist doch alles paletti!
„Männer, die Pornos benutzen, erleben in ihren Körpern und Köpfen , dass Einweg-Sex sexy ist; dass sexueller Missbrauch sexy ist; dass sexuelle Unterdrückung sexy ist. Das ist die Sexualität, die diese Männer dann fordern, kaufen und praktizieren. Pornografie ermöglicht ihnen, geschlechtliche Hierarchien so richtig zu genießen und auszuleben.“(Catharine MacKinnon, 1987)
Pornografie hat das Sexleben der Menschen nicht verbessert, ganz im Gegenteil! Wir leben in einer „Rape-Unkultur“ und die Herrschenden tun alles dafür, dass das auch so bleibt.
@Pipi Lederstrumpf: Verallgemeinern ist ebenso unrichtig, wie pauschale Verurteilung, Kollektivstrafe und Sippenhaft. Männer werden von Frauen erzogen. Frauen beschneiden Frauen. Erleben Frauen Penisneid? Frauen haben ihre eigenen Waffen. Frauen üben verbale und psychische Gewalt aus, auch zuhause und schon bei der Erziehung ihrer Kinder. Frauen haben so viel Macht wie Männer, auch in der Sexualität. Froh zu sein bedarf es wenig und wer froh ist, ist eine Königin/König der Herzen. Der Geist ist beim höher entwickelten Menschen stärker als der Körper, oder nicht…?
Vom blossen Abreagieren zum Genuss wird Porno erst, wenn man ihn zusammen geniessen kann.
Zusammen den Abend inszenieren, schöne Wäsche anziehen, etwas Anregendes zu Trinken und zu Essen und mit einem ästetisch schönen Porno, zB von Petra Joy, auf das Weitere einstimmen.
Die Filme die für beide kribbeln, sind die besten.